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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Staaten und Stämme in Dentschland.



Wenn ich in der alten Zeit meine Augen über die Karte Deutschlands schwei¬
fen ließ, so geschah es nur so oft ich mit Reiseplänen umging, die ich trotz aller
an Volger und Cannabich geopferten Stunden doch niemals im Kopfe zu verfer¬
tigen im Stande war. Außerdem hütete ich mich mit einer wahren ängstlichen
Scheu, meinem ästhetischen und politischen Schicklichkeitsgefühl durch einen Blick
auf die wirren Farbenklekse, zu denen kaum der Vorrath einer ganzen Palette
ausgereicht haben mochte, zu nahe zu treten. Und doch bedeutete ein jeder einen
vollständigen, untadeligem, souveränen königlichen, großherzoglichen, herzoglichen
oder fürstlichen Staatencomplex, der laut des gothaischen Hosalmanachs zu der drit¬
ten, vierten, fünften oder sechsten Klasse der europäischen Mächte gehören sollte.
Nur in die nordöstliche Ecke schaute man uoch mit einigem Behagen, dort war alles
weit und breit mit einer und derselben höchst soliden Farbe, dem bekannten Preußisch-
Blau überzogen und es war tröstlich zu denken, daß auch hier einstmals, laut
Spruners historischem Atlas, der Leib unseres deutschen Vaterlands eine verzwei¬
felt scheckige, aus rothen, gelben, grünen und blauen Lappen zusammengeflickte
Jacke getragen hatte; aber jetzt sah sie so viel einfacher und anständiger ans,
warum -- so flüsterte eine tröstende Stimme -- sollten die übrigen Glieder sich
nicht auch allmälig zu der erweislich höchst praktischen Farbe bequemen? Indessen,
damals mußte man sich mit dergleichen Hochverrätherischen Gedanken vor der Polizei
und fast noch mehr vor den lieben Landsleuten gewaltig in Acht nehmen, denn
diese letzteren behaupteten steif und fest jeder von seinem eignen Fetzen, daß seine
Farbe höchst anmuthig und den Augen zuträglich und nur die des Nachbarn allzu
grell und glotzig aufgetragen sei, während die erstere blos von der Ansicht aus¬
ging, daß jeder, also auch der deutsche Rechtsboden, etwas buntscheckig aussehe,
und die Aesthetik nichts hinein zu sprechen habe. Ich wußte wohl, es gab uoch
viele, die ebenso dachten, wie ich, aber aus Furcht vor der Polizei und den Lands¬
leuten schwiegen sie eben so stille, wie ich. Wunderlich jedoch kam es mir vor,
daß sie auch in diesem gesegneten Frühjahr und Sommer, wo alles, dem Gesaug
gegeben gesungen, oder doch wenigstens gezwitschert und gekrächzt hat, noch stille,
wie vordem geblieben sind. Vor der Polizei konnten sie sich doch nicht fürchten,


Brenzboten. IV. t"is. 47
Staaten und Stämme in Dentschland.



Wenn ich in der alten Zeit meine Augen über die Karte Deutschlands schwei¬
fen ließ, so geschah es nur so oft ich mit Reiseplänen umging, die ich trotz aller
an Volger und Cannabich geopferten Stunden doch niemals im Kopfe zu verfer¬
tigen im Stande war. Außerdem hütete ich mich mit einer wahren ängstlichen
Scheu, meinem ästhetischen und politischen Schicklichkeitsgefühl durch einen Blick
auf die wirren Farbenklekse, zu denen kaum der Vorrath einer ganzen Palette
ausgereicht haben mochte, zu nahe zu treten. Und doch bedeutete ein jeder einen
vollständigen, untadeligem, souveränen königlichen, großherzoglichen, herzoglichen
oder fürstlichen Staatencomplex, der laut des gothaischen Hosalmanachs zu der drit¬
ten, vierten, fünften oder sechsten Klasse der europäischen Mächte gehören sollte.
Nur in die nordöstliche Ecke schaute man uoch mit einigem Behagen, dort war alles
weit und breit mit einer und derselben höchst soliden Farbe, dem bekannten Preußisch-
Blau überzogen und es war tröstlich zu denken, daß auch hier einstmals, laut
Spruners historischem Atlas, der Leib unseres deutschen Vaterlands eine verzwei¬
felt scheckige, aus rothen, gelben, grünen und blauen Lappen zusammengeflickte
Jacke getragen hatte; aber jetzt sah sie so viel einfacher und anständiger ans,
warum — so flüsterte eine tröstende Stimme — sollten die übrigen Glieder sich
nicht auch allmälig zu der erweislich höchst praktischen Farbe bequemen? Indessen,
damals mußte man sich mit dergleichen Hochverrätherischen Gedanken vor der Polizei
und fast noch mehr vor den lieben Landsleuten gewaltig in Acht nehmen, denn
diese letzteren behaupteten steif und fest jeder von seinem eignen Fetzen, daß seine
Farbe höchst anmuthig und den Augen zuträglich und nur die des Nachbarn allzu
grell und glotzig aufgetragen sei, während die erstere blos von der Ansicht aus¬
ging, daß jeder, also auch der deutsche Rechtsboden, etwas buntscheckig aussehe,
und die Aesthetik nichts hinein zu sprechen habe. Ich wußte wohl, es gab uoch
viele, die ebenso dachten, wie ich, aber aus Furcht vor der Polizei und den Lands¬
leuten schwiegen sie eben so stille, wie ich. Wunderlich jedoch kam es mir vor,
daß sie auch in diesem gesegneten Frühjahr und Sommer, wo alles, dem Gesaug
gegeben gesungen, oder doch wenigstens gezwitschert und gekrächzt hat, noch stille,
wie vordem geblieben sind. Vor der Polizei konnten sie sich doch nicht fürchten,


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[0373] Staaten und Stämme in Dentschland. Wenn ich in der alten Zeit meine Augen über die Karte Deutschlands schwei¬ fen ließ, so geschah es nur so oft ich mit Reiseplänen umging, die ich trotz aller an Volger und Cannabich geopferten Stunden doch niemals im Kopfe zu verfer¬ tigen im Stande war. Außerdem hütete ich mich mit einer wahren ängstlichen Scheu, meinem ästhetischen und politischen Schicklichkeitsgefühl durch einen Blick auf die wirren Farbenklekse, zu denen kaum der Vorrath einer ganzen Palette ausgereicht haben mochte, zu nahe zu treten. Und doch bedeutete ein jeder einen vollständigen, untadeligem, souveränen königlichen, großherzoglichen, herzoglichen oder fürstlichen Staatencomplex, der laut des gothaischen Hosalmanachs zu der drit¬ ten, vierten, fünften oder sechsten Klasse der europäischen Mächte gehören sollte. Nur in die nordöstliche Ecke schaute man uoch mit einigem Behagen, dort war alles weit und breit mit einer und derselben höchst soliden Farbe, dem bekannten Preußisch- Blau überzogen und es war tröstlich zu denken, daß auch hier einstmals, laut Spruners historischem Atlas, der Leib unseres deutschen Vaterlands eine verzwei¬ felt scheckige, aus rothen, gelben, grünen und blauen Lappen zusammengeflickte Jacke getragen hatte; aber jetzt sah sie so viel einfacher und anständiger ans, warum — so flüsterte eine tröstende Stimme — sollten die übrigen Glieder sich nicht auch allmälig zu der erweislich höchst praktischen Farbe bequemen? Indessen, damals mußte man sich mit dergleichen Hochverrätherischen Gedanken vor der Polizei und fast noch mehr vor den lieben Landsleuten gewaltig in Acht nehmen, denn diese letzteren behaupteten steif und fest jeder von seinem eignen Fetzen, daß seine Farbe höchst anmuthig und den Augen zuträglich und nur die des Nachbarn allzu grell und glotzig aufgetragen sei, während die erstere blos von der Ansicht aus¬ ging, daß jeder, also auch der deutsche Rechtsboden, etwas buntscheckig aussehe, und die Aesthetik nichts hinein zu sprechen habe. Ich wußte wohl, es gab uoch viele, die ebenso dachten, wie ich, aber aus Furcht vor der Polizei und den Lands¬ leuten schwiegen sie eben so stille, wie ich. Wunderlich jedoch kam es mir vor, daß sie auch in diesem gesegneten Frühjahr und Sommer, wo alles, dem Gesaug gegeben gesungen, oder doch wenigstens gezwitschert und gekrächzt hat, noch stille, wie vordem geblieben sind. Vor der Polizei konnten sie sich doch nicht fürchten, Brenzboten. IV. t«is. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/373>, abgerufen am 25.05.2024.