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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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die war ja nicht mehr, also vielleicht vor den Landsleuten? Aber die sangen sich
ja heiser von dem "das ganze Deutschland soll es sein" und nach richtiger philo¬
logisch gegründeter Interpretation ist doch "ganz" so viel als das Gegentheil von
"zerrissen." Nicht einmal durch irgend ein harmloses Kärtchen haben sie die anderen
von der rationellen Einfachheit des Dogma's ihrer stillen Gemeinde zu überzeugen
sich bemüht, während es Dutzende von Karten der wiederhergestellten polnischen
Wirthschaft und der regenirten de-IIa Itiili" regnete. Ich meine, sie hätten ihre
Partei wenigstens durch alle Landkarteuzeichner und Illuminatoren verstärkt, von
denen es in unserem fleißigen und gelehrten Vaterlande eine erkleckliche Anzahl
gibt, mehr als genug, um sie nach der neuen Mode vorkommenden Falls als
deutsches Volk anzureden und wenn man sie nun auf einem Flecke zusammen hatte,
mittelst einer Sturmpetition den Volkswillen durchzusetzen.

Dafür zeigte sich neulich an den Schaufenstern der Buch- und Bilderläden
ein Produkt der kartographischen Industrie, das ich im ersten Augenblicke für eine
mit etwas Nachhilfe von Seiten der Phantasie gefertigte Darstellung der neuent¬
deckten Länder auf der Mondscheibe hielt, bis ich in dem Geäder der Stromgebiete
und dem Knochengerüste der Bergzüge gewisse Reminiscenzen an den mir am be¬
sten bekannten Theil der Muttererde entdeckte. Nicht ohne Staunen las ich nun
die Unterschrift "Karte des deutscheu Bundesstaats nach der organischen Abgren¬
zung der einzelnen Staatsgebiete." Es ging mir ein Stich durchs Herz, als ich
nach der alten trostreichen Ecke im Nordosten schaute, und dort, wie auf den
Nürnberger Planigloben von 1560 nicht weniger als vier oder fünf grüne, rothe
und gelbe Farbenklekse fand.

Ich bin sonst, wie ich zur Beruhigung des geneigten Lesers zu bekennen mich
gedrungen fühle, zwar ein großer Freund von allem organischen, aber diesmal
wollte es mir durchaus nicht munden, selbst nicht, als ich nachgerade zu der Ein¬
sicht gelangte, daß besagte Karte offenbar unter den Auspielen des Herrn Schaff¬
rath entstanden sein muß, dessen Verdienste jedes Kind kennt, und des Herrn
Karl Hagen, Professors der Geschichte zu Heidelberg, der mehr als ein gutes Buch
geschrieben hatte, bis er sich auf den Bänken der Linken in der Paulskirche dicht
neben Herrn Simon und Zitz niederließ. Neulich, als man den ersten Paragra¬
phen der deutschen Verfassung in der !>!>. Sitzung in Angriff zu nehmen begann
-- sie kosten dem deutschen Volke viel Geld diese Sitzungen, wie Herrn Hagen's
neue Freunde uns das auch wenigstens 99mal vorgerechnet haben -- erschien plötz¬
lich ein von den beiden genannten und noch vielen anderen gleichgestnnten Män¬
nern des Volks und der Zukunft unterzeichneter Antrag -- die Namen Minckus,
Schlüssel, Titus, Marcel, Schmidt aus Löwenberg sind mir darunter im Gedächt¬
niß geblieben -- der das was jene Karte in allen Regenbogenfarben demonstrirt
hatte, und schwarz auf weiß in der bekannten kategorischen Form aussprach, die
jedem, der die benannten Herren persönlich zu kennen die Ehre hat, lange nicht


die war ja nicht mehr, also vielleicht vor den Landsleuten? Aber die sangen sich
ja heiser von dem „das ganze Deutschland soll es sein" und nach richtiger philo¬
logisch gegründeter Interpretation ist doch „ganz" so viel als das Gegentheil von
„zerrissen." Nicht einmal durch irgend ein harmloses Kärtchen haben sie die anderen
von der rationellen Einfachheit des Dogma's ihrer stillen Gemeinde zu überzeugen
sich bemüht, während es Dutzende von Karten der wiederhergestellten polnischen
Wirthschaft und der regenirten de-IIa Itiili» regnete. Ich meine, sie hätten ihre
Partei wenigstens durch alle Landkarteuzeichner und Illuminatoren verstärkt, von
denen es in unserem fleißigen und gelehrten Vaterlande eine erkleckliche Anzahl
gibt, mehr als genug, um sie nach der neuen Mode vorkommenden Falls als
deutsches Volk anzureden und wenn man sie nun auf einem Flecke zusammen hatte,
mittelst einer Sturmpetition den Volkswillen durchzusetzen.

Dafür zeigte sich neulich an den Schaufenstern der Buch- und Bilderläden
ein Produkt der kartographischen Industrie, das ich im ersten Augenblicke für eine
mit etwas Nachhilfe von Seiten der Phantasie gefertigte Darstellung der neuent¬
deckten Länder auf der Mondscheibe hielt, bis ich in dem Geäder der Stromgebiete
und dem Knochengerüste der Bergzüge gewisse Reminiscenzen an den mir am be¬
sten bekannten Theil der Muttererde entdeckte. Nicht ohne Staunen las ich nun
die Unterschrift „Karte des deutscheu Bundesstaats nach der organischen Abgren¬
zung der einzelnen Staatsgebiete." Es ging mir ein Stich durchs Herz, als ich
nach der alten trostreichen Ecke im Nordosten schaute, und dort, wie auf den
Nürnberger Planigloben von 1560 nicht weniger als vier oder fünf grüne, rothe
und gelbe Farbenklekse fand.

Ich bin sonst, wie ich zur Beruhigung des geneigten Lesers zu bekennen mich
gedrungen fühle, zwar ein großer Freund von allem organischen, aber diesmal
wollte es mir durchaus nicht munden, selbst nicht, als ich nachgerade zu der Ein¬
sicht gelangte, daß besagte Karte offenbar unter den Auspielen des Herrn Schaff¬
rath entstanden sein muß, dessen Verdienste jedes Kind kennt, und des Herrn
Karl Hagen, Professors der Geschichte zu Heidelberg, der mehr als ein gutes Buch
geschrieben hatte, bis er sich auf den Bänken der Linken in der Paulskirche dicht
neben Herrn Simon und Zitz niederließ. Neulich, als man den ersten Paragra¬
phen der deutschen Verfassung in der !>!>. Sitzung in Angriff zu nehmen begann
— sie kosten dem deutschen Volke viel Geld diese Sitzungen, wie Herrn Hagen's
neue Freunde uns das auch wenigstens 99mal vorgerechnet haben — erschien plötz¬
lich ein von den beiden genannten und noch vielen anderen gleichgestnnten Män¬
nern des Volks und der Zukunft unterzeichneter Antrag — die Namen Minckus,
Schlüssel, Titus, Marcel, Schmidt aus Löwenberg sind mir darunter im Gedächt¬
niß geblieben — der das was jene Karte in allen Regenbogenfarben demonstrirt
hatte, und schwarz auf weiß in der bekannten kategorischen Form aussprach, die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/374>, abgerufen am 17.06.2024.