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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ten. Der einzige, der dies bestimmt aussprach, war Wilhelm Jordan; er nahm
voraus, was früher oder später doch die Hauptfrage des Reichstags ausmachen
wird, nur beging er deu Fehler, es an unrechter Stelle anzubringen. Denn jenes
Geldausfuhrverbot gehört zugleich in die Reihe der internationalen Maßregeln
und würde nothwendigerweise Gegenstand der Debatte in einem deutschen Reichs¬
tag werden müssen, auch wenn Oestreich ein politisch von denselben durchaus ge¬
5 5. trennter Staat wäre.

Anm. der Red. Das preußische Ministerium hat es sich in der That
entgehen lassen, in der Anschlußfrage an das Reich die Initiative zu ergreisen.
So ist es nun der Chef des linken Centrums, Herr Rodbertus gewesen, der
eine darauf bezügliche Erklärung der Kammer hervorgerufen hat. Die deutsche
Gesinnung des preußischen Volks hat sich bei dieser Abstimmung auf eine glän¬
zende Weise bewährt; nachdem vorher die motivirte Tagesordnung, die nur in
der Form von dem Hauptantrag abwich, beseitigt war, hat sich die ganze Ver¬
sammlung, gegen nur 17 Stimmen, für unbedingtes Aufgehen der preußischen
Politik in Deutschland ausgesprochen. Wie die Sachen jetzt stehen, ist ein solches
Aufgehen keineswegs ein Untergang der eigenthümlichen politischen Organisation,
die wir preußischen Staat nennen; sie wird vielmehr dadurch die Realität des
Reichs, wie ihre Realität nur im Reich liegt.




Llus Prag.

Am S. Wenzelsfeste -- welches aus den 28. September fiel -- befürchteten viele,
eine neue Schilderhebung der ultraczcchischen Partei, eine Wiederholung des verunglück¬
ten blutigen Experimentes der Pfingstwoche. Zu diesem Gerüchte hatte hauptsächlich
der Umstand Anlaß gegeben, daß an dem genannten Feste das Corps Swornvst noch
vor seiner Auflösung zu einer feierlichen Messe vor der Wenzclsstatue am Roßmarkt sich
versammeln wollte. Da nun die blutigen Tage der Pfingstwoche durch eine ahnliche
Messe an demselben Orte eröffnet wurden, so glaubten ängstliche Gemüther in diesem
zufälligen Faktum ein nothwendig wiederkehrendes Naturgesetz sür alle zukünftigen Kra¬
watte Prags entdeckt zu haben. Das erwähnte Gerücht zeigte seine contagiöse Natur
in weiten Umkreisen, un? veranlaßte nicht nur einen bedeutenden Aufwand strategischer
Vorsichtsmaßregeln in Prag, sondern auch lebhafte Besorgnisse bei dem Ncichsministe-
rium in Wien. Daher erklärte auch der Kriegsminister Latour der Prager Bürgerde¬
putation, als sie ihn um die Überlassung von 60s>0 Stück Gewehren sür die Natio¬
nalgarde ansuchte -- daß er ihren Begehren der nöthigen Vorsicht halber nur zur Hälfte
genügen könne, weil ihm ans Prag über den sür den S. Wcnzelstag vorbereiteten
Aufstand Nachrichten eingelaufen seien. Erst als die Deputation sich sogar mit ihrem
Leben sür die loyale Stimmung Prags und sür die Grundlosigkeit dieser Denunziation


ten. Der einzige, der dies bestimmt aussprach, war Wilhelm Jordan; er nahm
voraus, was früher oder später doch die Hauptfrage des Reichstags ausmachen
wird, nur beging er deu Fehler, es an unrechter Stelle anzubringen. Denn jenes
Geldausfuhrverbot gehört zugleich in die Reihe der internationalen Maßregeln
und würde nothwendigerweise Gegenstand der Debatte in einem deutschen Reichs¬
tag werden müssen, auch wenn Oestreich ein politisch von denselben durchaus ge¬
5 5. trennter Staat wäre.

Anm. der Red. Das preußische Ministerium hat es sich in der That
entgehen lassen, in der Anschlußfrage an das Reich die Initiative zu ergreisen.
So ist es nun der Chef des linken Centrums, Herr Rodbertus gewesen, der
eine darauf bezügliche Erklärung der Kammer hervorgerufen hat. Die deutsche
Gesinnung des preußischen Volks hat sich bei dieser Abstimmung auf eine glän¬
zende Weise bewährt; nachdem vorher die motivirte Tagesordnung, die nur in
der Form von dem Hauptantrag abwich, beseitigt war, hat sich die ganze Ver¬
sammlung, gegen nur 17 Stimmen, für unbedingtes Aufgehen der preußischen
Politik in Deutschland ausgesprochen. Wie die Sachen jetzt stehen, ist ein solches
Aufgehen keineswegs ein Untergang der eigenthümlichen politischen Organisation,
die wir preußischen Staat nennen; sie wird vielmehr dadurch die Realität des
Reichs, wie ihre Realität nur im Reich liegt.




Llus Prag.

Am S. Wenzelsfeste — welches aus den 28. September fiel — befürchteten viele,
eine neue Schilderhebung der ultraczcchischen Partei, eine Wiederholung des verunglück¬
ten blutigen Experimentes der Pfingstwoche. Zu diesem Gerüchte hatte hauptsächlich
der Umstand Anlaß gegeben, daß an dem genannten Feste das Corps Swornvst noch
vor seiner Auflösung zu einer feierlichen Messe vor der Wenzclsstatue am Roßmarkt sich
versammeln wollte. Da nun die blutigen Tage der Pfingstwoche durch eine ahnliche
Messe an demselben Orte eröffnet wurden, so glaubten ängstliche Gemüther in diesem
zufälligen Faktum ein nothwendig wiederkehrendes Naturgesetz sür alle zukünftigen Kra¬
watte Prags entdeckt zu haben. Das erwähnte Gerücht zeigte seine contagiöse Natur
in weiten Umkreisen, un? veranlaßte nicht nur einen bedeutenden Aufwand strategischer
Vorsichtsmaßregeln in Prag, sondern auch lebhafte Besorgnisse bei dem Ncichsministe-
rium in Wien. Daher erklärte auch der Kriegsminister Latour der Prager Bürgerde¬
putation, als sie ihn um die Überlassung von 60s>0 Stück Gewehren sür die Natio¬
nalgarde ansuchte — daß er ihren Begehren der nöthigen Vorsicht halber nur zur Hälfte
genügen könne, weil ihm ans Prag über den sür den S. Wcnzelstag vorbereiteten
Aufstand Nachrichten eingelaufen seien. Erst als die Deputation sich sogar mit ihrem
Leben sür die loyale Stimmung Prags und sür die Grundlosigkeit dieser Denunziation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/46>, abgerufen am 26.05.2024.