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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ordnung gegen allen parlamentarischen Gebrauch das Wort abschneiden. Allein
es ist ihre Pflicht, auszuhalten, so lange die Kammer den formellen Rechtsboden
nicht verläßt. Es ist ferner den wenigen Vertretern der conservativen Partei, die
in dieser Kammer vorhanden sind, kaum zu verdenke", wenn sie es scheuen, sich
auf einen Wettstreit der Lungen einzulassen -- denn darauf ungefähr kommt doch
die Debatte heraus. Ihr Amt ist keine Sinecure, aber es muß verwaltet werden.
Ein blasirtes Aufgeben des Kampfes wäre Verrath am Volke. Unaufhörlich muß
der verleiteten Majorität und der gesammten Nation gegenüber die Stimme der
Vernunft und des Rechts ertönen, auch wenn sie vorläufig wirkungslos verhallen
sollte. Freilich ist es unbequem, in der Minorität zu sitzen; aber jene Männer
mögen bedenken, daß sie eine mächtige Partei hinter sich haben. In dieser Be¬
ziehung müssen die Conservativen bei den Radicalen in die Schule gehen. Selbst
in den spanischen Cortes hat ein einzelner Progressist mehrere Jahre hindurch der
ungeheuern Majorität der Moderados gegenüber die Ansichten seiner Partei gel¬
tend gemacht.

Sollte es aber endlich dahin kommen, daß die Regierung von dem "übel
unterrichteten" Volke an das "besser zu unterrichtende" appelliren muß, so möge
sie bei Zeiten auf einen Rückhalt denken. Die größere Zahl der gebildeten Be¬
wohner Sachsens stützt ihre Hoffnungen ans das Reich; nur in ihm findet Sachsen
seine Zukunft. Wir billigen es, daß die Negierung sich nicht für eine preußische
Hegemonie ausspricht, denn sie würde dadurch ihr Volk verletzen; nicht für das
Erbkaiserthum -- denn das könnte möglicherweise auch in Oestreich liegen; aber
eben so bestimmt, wie sie ihr Recht gewahrt hat, nach Befinden sich dem Reich
anschließen zu dürfen oder nicht, muß sie ihren Willen verkünden, dieses Recht
zu opfern, wenn es Deutschlands Ehre und Wohlfahrt gilt.


55.


Preußen und Deutschland.
Betrachtungen eines Stockpreußen.



Ich nehme mir die Freiheit, zu erklären, daß ich ein guter Preuße bin, ich
bin zuerst preußisch und hernach alles Uebnge, was ein vernünftiger Mensch sein
darf, Deutscher und Weltbürger. Ich habe mich nie befreunden können mit der
Politik z. B. des Herrn Heinrich Simon, dessen größte Thätigkeit seit dem Vor¬
parlament und dem Funfzigerausschnß stets gewesen ist, bitter und hämisch gegen
sein Vaterland und dessen Idee loszuziehen, ausgenommen wo er es vorzog feier¬
lich zu schweigen, und ferner vermag ich auch nicht zu fühlen, wie z. B. Herr v.


ordnung gegen allen parlamentarischen Gebrauch das Wort abschneiden. Allein
es ist ihre Pflicht, auszuhalten, so lange die Kammer den formellen Rechtsboden
nicht verläßt. Es ist ferner den wenigen Vertretern der conservativen Partei, die
in dieser Kammer vorhanden sind, kaum zu verdenke», wenn sie es scheuen, sich
auf einen Wettstreit der Lungen einzulassen — denn darauf ungefähr kommt doch
die Debatte heraus. Ihr Amt ist keine Sinecure, aber es muß verwaltet werden.
Ein blasirtes Aufgeben des Kampfes wäre Verrath am Volke. Unaufhörlich muß
der verleiteten Majorität und der gesammten Nation gegenüber die Stimme der
Vernunft und des Rechts ertönen, auch wenn sie vorläufig wirkungslos verhallen
sollte. Freilich ist es unbequem, in der Minorität zu sitzen; aber jene Männer
mögen bedenken, daß sie eine mächtige Partei hinter sich haben. In dieser Be¬
ziehung müssen die Conservativen bei den Radicalen in die Schule gehen. Selbst
in den spanischen Cortes hat ein einzelner Progressist mehrere Jahre hindurch der
ungeheuern Majorität der Moderados gegenüber die Ansichten seiner Partei gel¬
tend gemacht.

Sollte es aber endlich dahin kommen, daß die Regierung von dem „übel
unterrichteten" Volke an das „besser zu unterrichtende" appelliren muß, so möge
sie bei Zeiten auf einen Rückhalt denken. Die größere Zahl der gebildeten Be¬
wohner Sachsens stützt ihre Hoffnungen ans das Reich; nur in ihm findet Sachsen
seine Zukunft. Wir billigen es, daß die Negierung sich nicht für eine preußische
Hegemonie ausspricht, denn sie würde dadurch ihr Volk verletzen; nicht für das
Erbkaiserthum — denn das könnte möglicherweise auch in Oestreich liegen; aber
eben so bestimmt, wie sie ihr Recht gewahrt hat, nach Befinden sich dem Reich
anschließen zu dürfen oder nicht, muß sie ihren Willen verkünden, dieses Recht
zu opfern, wenn es Deutschlands Ehre und Wohlfahrt gilt.


55.


Preußen und Deutschland.
Betrachtungen eines Stockpreußen.



Ich nehme mir die Freiheit, zu erklären, daß ich ein guter Preuße bin, ich
bin zuerst preußisch und hernach alles Uebnge, was ein vernünftiger Mensch sein
darf, Deutscher und Weltbürger. Ich habe mich nie befreunden können mit der
Politik z. B. des Herrn Heinrich Simon, dessen größte Thätigkeit seit dem Vor¬
parlament und dem Funfzigerausschnß stets gewesen ist, bitter und hämisch gegen
sein Vaterland und dessen Idee loszuziehen, ausgenommen wo er es vorzog feier¬
lich zu schweigen, und ferner vermag ich auch nicht zu fühlen, wie z. B. Herr v.


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[0216] ordnung gegen allen parlamentarischen Gebrauch das Wort abschneiden. Allein es ist ihre Pflicht, auszuhalten, so lange die Kammer den formellen Rechtsboden nicht verläßt. Es ist ferner den wenigen Vertretern der conservativen Partei, die in dieser Kammer vorhanden sind, kaum zu verdenke», wenn sie es scheuen, sich auf einen Wettstreit der Lungen einzulassen — denn darauf ungefähr kommt doch die Debatte heraus. Ihr Amt ist keine Sinecure, aber es muß verwaltet werden. Ein blasirtes Aufgeben des Kampfes wäre Verrath am Volke. Unaufhörlich muß der verleiteten Majorität und der gesammten Nation gegenüber die Stimme der Vernunft und des Rechts ertönen, auch wenn sie vorläufig wirkungslos verhallen sollte. Freilich ist es unbequem, in der Minorität zu sitzen; aber jene Männer mögen bedenken, daß sie eine mächtige Partei hinter sich haben. In dieser Be¬ ziehung müssen die Conservativen bei den Radicalen in die Schule gehen. Selbst in den spanischen Cortes hat ein einzelner Progressist mehrere Jahre hindurch der ungeheuern Majorität der Moderados gegenüber die Ansichten seiner Partei gel¬ tend gemacht. Sollte es aber endlich dahin kommen, daß die Regierung von dem „übel unterrichteten" Volke an das „besser zu unterrichtende" appelliren muß, so möge sie bei Zeiten auf einen Rückhalt denken. Die größere Zahl der gebildeten Be¬ wohner Sachsens stützt ihre Hoffnungen ans das Reich; nur in ihm findet Sachsen seine Zukunft. Wir billigen es, daß die Negierung sich nicht für eine preußische Hegemonie ausspricht, denn sie würde dadurch ihr Volk verletzen; nicht für das Erbkaiserthum — denn das könnte möglicherweise auch in Oestreich liegen; aber eben so bestimmt, wie sie ihr Recht gewahrt hat, nach Befinden sich dem Reich anschließen zu dürfen oder nicht, muß sie ihren Willen verkünden, dieses Recht zu opfern, wenn es Deutschlands Ehre und Wohlfahrt gilt. 55. Preußen und Deutschland. Betrachtungen eines Stockpreußen. Ich nehme mir die Freiheit, zu erklären, daß ich ein guter Preuße bin, ich bin zuerst preußisch und hernach alles Uebnge, was ein vernünftiger Mensch sein darf, Deutscher und Weltbürger. Ich habe mich nie befreunden können mit der Politik z. B. des Herrn Heinrich Simon, dessen größte Thätigkeit seit dem Vor¬ parlament und dem Funfzigerausschnß stets gewesen ist, bitter und hämisch gegen sein Vaterland und dessen Idee loszuziehen, ausgenommen wo er es vorzog feier¬ lich zu schweigen, und ferner vermag ich auch nicht zu fühlen, wie z. B. Herr v.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/216>, abgerufen am 06.05.2024.