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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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entstanden seien. Er bejahte dieselbe ohne Weiteres und erklärte, "kein vernünf¬
tiger Rechtsgelehrter könne darüber heute zu Tage noch den leisesten Zweifel hegen."
Die Machtvollkommenheit, die er sich und seinen Kollegen dabei vindicirte, war
eine ziemlich ausgedehnte. Jedermann weiß, daß dasselbe Thema früher von preu¬
ßischen Juristen eifrig discutirt ward und die liberalen unter ihnen sich darüber
vereinigten, das Gesetz über Einführung von Proviuzialständcn garantire uns be¬
reits eine Art von Verfassung, und der Richter sei demnach verpflichtet, daraus
zu achten, ob die betreffenden Verordnungen in vorgeschriebener Weise den Land¬
ständen zur Begutachtung vorgelegt wären. Hören wir nun den Temme von 46!
Allerdings, im Principe erkennt er dies an, aber "im absoluten Staate ruht auch
die legislative Gewalt unbeschränkt im Staatsoberhaupte. Der Regent, so wie
die Gesetze allein aus seinem Willen hervorgehen, kann sie auch allein aus diesem
wieder aufheben. Auch das Gesetz vom 5. Juni 1823 ist eben nur ein Gesetz."
Das ist denn doch eine Philosophie, die wenigstens nicht nach Radicalismus schmeckt.
"Indessen," fährt der freundliche Mentor fort, um den trauernden Telemach über
den völligen Umsturz der eben aufgestellten Maxime zu trösten, "indessen ist an
die Stelle einer geschriebenen und garantirten Verfassung bei uns das Band eines
unerschütterliche" Vertrauens zwischen dem Regenten und dem Volke getreten."
Nun, wir sind billig eben so erfreut als verwundert, Herrn Temme hier auf dem
Boden "eines unerschütterlichen Vertrauens" zu finden.

Wenn wir in der eben citirten Stelle einen Passus ans den vormaligen Thron¬
reden und Cabinetsordres zu hören glauben, so sehen wir Eichhorn ivclivivus vor
und in dein Kapitel über die Ehe. Hier wird tief beklagt, daß "die evangelische
Kirche den sakramentalischen Charakter der Ehe aufgegeben, indem diese dadurch
als religiöse Institution vielfach blosgestellt sei. Um den Begriff derselben richtig
aufzufassen, müsse man von ihrer Heiligkeit ausgehen." Ja, in wahrhaft aute-
dilnvianischem und völlig contrerevolutivnärem Entsetzen fügt der Ehrenmann
in einer Anmerkung noch hinzu: "In neuerer Zeit sucht sich sogar der
Vorschlag eiuer bloßen Civilehe geltend zu machen!"

Solches war der Temme von 1846, zwei Jahre vor der glorreichen Revolution!!




Kleine Briefe der Grenzboten.
I.
An -ö. Ä. Oppermmm in -öoya.

Ihr vortreffliches Werk "Hannöversche Zustände seit dem 24. Februar-
i-848" (Bremen, Heyse) veranlaßt uns, geehrter Herr, zu einigen Bemerkungen. Einer
Empfehlung bedarf dasselbe nicht. Sie gehen zwar in Ihrer Darstellung, wie Innig,
von einem bestimmten Parteistandpunkte aus; aber sie werden jedem andern Stand¬
punkt gerecht. ES würde für unsere Selbstkenntniß nur förderlich sein, wenn uns eine


entstanden seien. Er bejahte dieselbe ohne Weiteres und erklärte, „kein vernünf¬
tiger Rechtsgelehrter könne darüber heute zu Tage noch den leisesten Zweifel hegen."
Die Machtvollkommenheit, die er sich und seinen Kollegen dabei vindicirte, war
eine ziemlich ausgedehnte. Jedermann weiß, daß dasselbe Thema früher von preu¬
ßischen Juristen eifrig discutirt ward und die liberalen unter ihnen sich darüber
vereinigten, das Gesetz über Einführung von Proviuzialständcn garantire uns be¬
reits eine Art von Verfassung, und der Richter sei demnach verpflichtet, daraus
zu achten, ob die betreffenden Verordnungen in vorgeschriebener Weise den Land¬
ständen zur Begutachtung vorgelegt wären. Hören wir nun den Temme von 46!
Allerdings, im Principe erkennt er dies an, aber „im absoluten Staate ruht auch
die legislative Gewalt unbeschränkt im Staatsoberhaupte. Der Regent, so wie
die Gesetze allein aus seinem Willen hervorgehen, kann sie auch allein aus diesem
wieder aufheben. Auch das Gesetz vom 5. Juni 1823 ist eben nur ein Gesetz."
Das ist denn doch eine Philosophie, die wenigstens nicht nach Radicalismus schmeckt.
„Indessen," fährt der freundliche Mentor fort, um den trauernden Telemach über
den völligen Umsturz der eben aufgestellten Maxime zu trösten, „indessen ist an
die Stelle einer geschriebenen und garantirten Verfassung bei uns das Band eines
unerschütterliche» Vertrauens zwischen dem Regenten und dem Volke getreten."
Nun, wir sind billig eben so erfreut als verwundert, Herrn Temme hier auf dem
Boden „eines unerschütterlichen Vertrauens" zu finden.

Wenn wir in der eben citirten Stelle einen Passus ans den vormaligen Thron¬
reden und Cabinetsordres zu hören glauben, so sehen wir Eichhorn ivclivivus vor
und in dein Kapitel über die Ehe. Hier wird tief beklagt, daß „die evangelische
Kirche den sakramentalischen Charakter der Ehe aufgegeben, indem diese dadurch
als religiöse Institution vielfach blosgestellt sei. Um den Begriff derselben richtig
aufzufassen, müsse man von ihrer Heiligkeit ausgehen." Ja, in wahrhaft aute-
dilnvianischem und völlig contrerevolutivnärem Entsetzen fügt der Ehrenmann
in einer Anmerkung noch hinzu: „In neuerer Zeit sucht sich sogar der
Vorschlag eiuer bloßen Civilehe geltend zu machen!"

Solches war der Temme von 1846, zwei Jahre vor der glorreichen Revolution!!




Kleine Briefe der Grenzboten.
I.
An -ö. Ä. Oppermmm in -öoya.

Ihr vortreffliches Werk „Hannöversche Zustände seit dem 24. Februar-
i-848" (Bremen, Heyse) veranlaßt uns, geehrter Herr, zu einigen Bemerkungen. Einer
Empfehlung bedarf dasselbe nicht. Sie gehen zwar in Ihrer Darstellung, wie Innig,
von einem bestimmten Parteistandpunkte aus; aber sie werden jedem andern Stand¬
punkt gerecht. ES würde für unsere Selbstkenntniß nur förderlich sein, wenn uns eine


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[0286] entstanden seien. Er bejahte dieselbe ohne Weiteres und erklärte, „kein vernünf¬ tiger Rechtsgelehrter könne darüber heute zu Tage noch den leisesten Zweifel hegen." Die Machtvollkommenheit, die er sich und seinen Kollegen dabei vindicirte, war eine ziemlich ausgedehnte. Jedermann weiß, daß dasselbe Thema früher von preu¬ ßischen Juristen eifrig discutirt ward und die liberalen unter ihnen sich darüber vereinigten, das Gesetz über Einführung von Proviuzialständcn garantire uns be¬ reits eine Art von Verfassung, und der Richter sei demnach verpflichtet, daraus zu achten, ob die betreffenden Verordnungen in vorgeschriebener Weise den Land¬ ständen zur Begutachtung vorgelegt wären. Hören wir nun den Temme von 46! Allerdings, im Principe erkennt er dies an, aber „im absoluten Staate ruht auch die legislative Gewalt unbeschränkt im Staatsoberhaupte. Der Regent, so wie die Gesetze allein aus seinem Willen hervorgehen, kann sie auch allein aus diesem wieder aufheben. Auch das Gesetz vom 5. Juni 1823 ist eben nur ein Gesetz." Das ist denn doch eine Philosophie, die wenigstens nicht nach Radicalismus schmeckt. „Indessen," fährt der freundliche Mentor fort, um den trauernden Telemach über den völligen Umsturz der eben aufgestellten Maxime zu trösten, „indessen ist an die Stelle einer geschriebenen und garantirten Verfassung bei uns das Band eines unerschütterliche» Vertrauens zwischen dem Regenten und dem Volke getreten." Nun, wir sind billig eben so erfreut als verwundert, Herrn Temme hier auf dem Boden „eines unerschütterlichen Vertrauens" zu finden. Wenn wir in der eben citirten Stelle einen Passus ans den vormaligen Thron¬ reden und Cabinetsordres zu hören glauben, so sehen wir Eichhorn ivclivivus vor und in dein Kapitel über die Ehe. Hier wird tief beklagt, daß „die evangelische Kirche den sakramentalischen Charakter der Ehe aufgegeben, indem diese dadurch als religiöse Institution vielfach blosgestellt sei. Um den Begriff derselben richtig aufzufassen, müsse man von ihrer Heiligkeit ausgehen." Ja, in wahrhaft aute- dilnvianischem und völlig contrerevolutivnärem Entsetzen fügt der Ehrenmann in einer Anmerkung noch hinzu: „In neuerer Zeit sucht sich sogar der Vorschlag eiuer bloßen Civilehe geltend zu machen!" Solches war der Temme von 1846, zwei Jahre vor der glorreichen Revolution!! Kleine Briefe der Grenzboten. I. An -ö. Ä. Oppermmm in -öoya. Ihr vortreffliches Werk „Hannöversche Zustände seit dem 24. Februar- i-848" (Bremen, Heyse) veranlaßt uns, geehrter Herr, zu einigen Bemerkungen. Einer Empfehlung bedarf dasselbe nicht. Sie gehen zwar in Ihrer Darstellung, wie Innig, von einem bestimmten Parteistandpunkte aus; aber sie werden jedem andern Stand¬ punkt gerecht. ES würde für unsere Selbstkenntniß nur förderlich sein, wenn uns eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/286>, abgerufen am 06.05.2024.