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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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war als triebe ein böser Kobold recht absichtlich sein Spiel mit ihm -- immer
hieß es llvsinit in jiiscom mulier se"mo5!l ""nerue. So bringt er am 7. Sep¬
tember die Phrase deö feurigen Waldeck wieder vor: "Ich und meine Freunde
können nicht länger mit Ehren hier sitzen, wenn dieser Beschluß nicht ausgeführt
wird" -- in dieser Sitzung nicht mehr ein Erguß der Erregtheit, sondern eine
hämische Drohung. Da macht ihm ein Mitglied der Rechten bemcvtlich, seine
Neuwahl sei noch nicht verificirt, daher habe er eigentlich gar keinen Sitz in
der Kammer. -- So erhob er sich mit den Worten: "Wir schwören es Alle!" als
Unruh nach der Präsidentenwahl im Schützenhausc den Eid leistete, nicht von
der Stelle zu weichen. Ein allgemeines "Phe!" war die Antwort: Jedermann
fühlte die Unschicklichkeit, in solcher Weise die schwankenden Deputirten zu über¬
rumpeln und Herr Temme machte glänzend Fiasco mit der Scene des ^en ac
niwmo. -- Denselben Eindruck macht auf den ruhigen Beschauer sein Bild mit
dem pomphaften Autograph: "Von allen Uebeln ist eine schlechte Rechtspflege
das größte, sie schreit gen Himmel um Rache!" -- Er ist überall nichts mehr
als der wortklaubende Jurist, selbst in seinen Brochüren.über die Novembertage
-- diesem sonderbaren Sammelsurium altlandrechtlichcn und revolutionären Geistes.
Es ist zu komisch, wenn ein Radicaler, einer vollbrachten Revolution gegenüber,
sich auf die Gesetze über Provinzialstände beruft, die in diesem Schriftchen bald
als Antiquitäten behandelt werden, bald wieder als Evangelien, und aus ihnen
die Nichtbercchrigung eines l'nie ilccvm>>Il nachzuweisen versucht! --

So enge übrigens Herr Temme mit der äußersten Linken liirt war, glauben
wir doch, um der Gerechtigkeit die Ehre zu geben, daß ihn ein Vorwurf nicht
trifft, den man dieser Partei sonst wohl zu machen pflegt -- wir meinen das
Bündniß mit dem Pöbel. Wenigstens hat er in seiner richterlichen Carriere sich
stets als eifriger Verfechter einer strengen Polizei bewiesen und namentlich in den
Gefängnissen Ordnung und Sitte durch eiserne Zucht und harte Körperstrafen zu
erhalten gewußt. Er genoß in dieser Beziehung eine Art von Berühmtheit nnter
seinen Kollegen und, sobald er nu irgend ein Gericht versetzt war, wünschte man
sich dort Glück mit den Worten: "Gott sei Dank! der Temme wird uns schon
Ordnung schaffen!" Ob er sich dieses Ruhmes auch heute, in seinen radicalen
Tagen, noch gerne erinnert, ist freilich eine andere Frage. Wundern dürfen wir
uns jedoch darüber nicht, da Temme's geistige Entwicklung überhaupt in dem
letzten Jahre eine äußerst rapide gewesen zu sein scheint. Die Belege zu diesem
nicht uninteressanter psychologischen Factum entnehmen wir der zweiten Auflage
seines preußischen Eivilrechtes von 184K. --

Bei Gelegenheit des bekannten Waldeck'schen Antrags über die Publication
der Frankfurter Decrete in Preußen besprach Herr Temme mit gewohnter Weit-
läuftigkeit die Frage, ob der Jurist das Recht und die Pflicht habe, danach zu
sehen , ob die Gesetze, nach denen er seine Sprüche fällen solle, aus legalem Wege


war als triebe ein böser Kobold recht absichtlich sein Spiel mit ihm — immer
hieß es llvsinit in jiiscom mulier se»mo5!l «»nerue. So bringt er am 7. Sep¬
tember die Phrase deö feurigen Waldeck wieder vor: „Ich und meine Freunde
können nicht länger mit Ehren hier sitzen, wenn dieser Beschluß nicht ausgeführt
wird" — in dieser Sitzung nicht mehr ein Erguß der Erregtheit, sondern eine
hämische Drohung. Da macht ihm ein Mitglied der Rechten bemcvtlich, seine
Neuwahl sei noch nicht verificirt, daher habe er eigentlich gar keinen Sitz in
der Kammer. — So erhob er sich mit den Worten: „Wir schwören es Alle!" als
Unruh nach der Präsidentenwahl im Schützenhausc den Eid leistete, nicht von
der Stelle zu weichen. Ein allgemeines „Phe!" war die Antwort: Jedermann
fühlte die Unschicklichkeit, in solcher Weise die schwankenden Deputirten zu über¬
rumpeln und Herr Temme machte glänzend Fiasco mit der Scene des ^en ac
niwmo. — Denselben Eindruck macht auf den ruhigen Beschauer sein Bild mit
dem pomphaften Autograph: „Von allen Uebeln ist eine schlechte Rechtspflege
das größte, sie schreit gen Himmel um Rache!" — Er ist überall nichts mehr
als der wortklaubende Jurist, selbst in seinen Brochüren.über die Novembertage
— diesem sonderbaren Sammelsurium altlandrechtlichcn und revolutionären Geistes.
Es ist zu komisch, wenn ein Radicaler, einer vollbrachten Revolution gegenüber,
sich auf die Gesetze über Provinzialstände beruft, die in diesem Schriftchen bald
als Antiquitäten behandelt werden, bald wieder als Evangelien, und aus ihnen
die Nichtbercchrigung eines l'nie ilccvm>>Il nachzuweisen versucht! —

So enge übrigens Herr Temme mit der äußersten Linken liirt war, glauben
wir doch, um der Gerechtigkeit die Ehre zu geben, daß ihn ein Vorwurf nicht
trifft, den man dieser Partei sonst wohl zu machen pflegt — wir meinen das
Bündniß mit dem Pöbel. Wenigstens hat er in seiner richterlichen Carriere sich
stets als eifriger Verfechter einer strengen Polizei bewiesen und namentlich in den
Gefängnissen Ordnung und Sitte durch eiserne Zucht und harte Körperstrafen zu
erhalten gewußt. Er genoß in dieser Beziehung eine Art von Berühmtheit nnter
seinen Kollegen und, sobald er nu irgend ein Gericht versetzt war, wünschte man
sich dort Glück mit den Worten: „Gott sei Dank! der Temme wird uns schon
Ordnung schaffen!" Ob er sich dieses Ruhmes auch heute, in seinen radicalen
Tagen, noch gerne erinnert, ist freilich eine andere Frage. Wundern dürfen wir
uns jedoch darüber nicht, da Temme's geistige Entwicklung überhaupt in dem
letzten Jahre eine äußerst rapide gewesen zu sein scheint. Die Belege zu diesem
nicht uninteressanter psychologischen Factum entnehmen wir der zweiten Auflage
seines preußischen Eivilrechtes von 184K. —

Bei Gelegenheit des bekannten Waldeck'schen Antrags über die Publication
der Frankfurter Decrete in Preußen besprach Herr Temme mit gewohnter Weit-
läuftigkeit die Frage, ob der Jurist das Recht und die Pflicht habe, danach zu
sehen , ob die Gesetze, nach denen er seine Sprüche fällen solle, aus legalem Wege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/285>, abgerufen am 27.05.2024.