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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die siegreiche das zweischneidige Schwert des formalen Rechtes gegen ihre Gegner
wendet, so ist das keine Gerechtigkeit, sondern Rache.

In solchen Zeiten thut Amnestie noth -- nicht Gnade, denn die setzt ein Ur¬
theil voraus -- sondern die Anerkennung, daß sich in jener Verwirrung das Recht
vom Unrecht nicht mehr unterscheiden läßt.

Nur leidenschaftliche Verblendung kann verkennen, daß hier ein solcher Fall
vorliegt. In jener Erklärung der obersten Gerichtshöfe liegt zunächst keine Rechts¬
verletzung -- denn wer sollte sie hindern, ihre Meinung auszusprechen? -- aber
eine politische Unschicklichkeit, die wenigstens den Verdacht des Servilismus auf
sich zieht. Uuter diesen Umständen wäre es der höchste Grad der Verwirrung,
wenn die Regierung irgend welche Rücksicht auf derartige Meinungsäußerungen
nähme.

Vor Allem aber soll die conservative Presse, die in neuester Zeit in unerwar¬
teter Fülle sich aufgethan hat, und die wir im Uebrigen nur freudig begrüßen,
sich hüten, aus Abneigung gegen den Wahnsinn des Radikalismus sich geradezu servil
zu gebärde". Sie erstirbt schon gar zu sehr in allerunterthänigster Devotion vor
der siegreichen Majestät, vielleicht so eifriger, um frühere Sünden vergessen zu
machen. Mit Knechten kann man wohl zur Noth das marodirende Gesindel aus-
-j- -j-. einandertreiben, aber kein freies Familienleben gründen.



Naturrecht und Volksrecht ).



Bei der Reorganisation unsers Staatslebens werden die Urrechte oder ange-
bornen oder allgemeinen Menschenrechte, wie man sie nennt, eine gar wichtige
Rolle spielen. Es sind das die Rechte, die alle Dichter verherrlicht haben, und
die man noch jetzt in Zeitungen mancherlei Art tagtäglich ausposaunen hört.

Das deutsche Volk will bei dem konstitutionellen Fürstenthum verbleiben. Es
hat seinen Willen dahin ausgesprochen. Allein das hindert nicht, daß der deutsche
Dichter Her weg h mit einer Schaar von 2000 Mann ans Frankreich zieht, und
ihm wider seinen Willen die Wohlthat der Republik aufnöthigen will.

Was berechtigt ihn zu diesem Zuge? Es ist ein Urrecht, nichts Höheres,
keine Fürstengewalt über sich zu haben, es ist ein Urrecht in der Republik zu
leben. Und wenn die Mehrzahl so thöricht ist, den Genuß dieses Urrechts nicht
zu wollen, so muß er ihr gewaltsam, wie eine bittere aber heilsame Arzenei einem
störrischen Knaben beigebracht werden. Und eine andere Schaar Deutscher zieht



-) Vortrag, gehalten im Gewerbeverein zu Danzig, von Henning, Kammergericht"-
Assessor. (Im Auszug mitgetheilt.)

die siegreiche das zweischneidige Schwert des formalen Rechtes gegen ihre Gegner
wendet, so ist das keine Gerechtigkeit, sondern Rache.

In solchen Zeiten thut Amnestie noth — nicht Gnade, denn die setzt ein Ur¬
theil voraus — sondern die Anerkennung, daß sich in jener Verwirrung das Recht
vom Unrecht nicht mehr unterscheiden läßt.

Nur leidenschaftliche Verblendung kann verkennen, daß hier ein solcher Fall
vorliegt. In jener Erklärung der obersten Gerichtshöfe liegt zunächst keine Rechts¬
verletzung — denn wer sollte sie hindern, ihre Meinung auszusprechen? — aber
eine politische Unschicklichkeit, die wenigstens den Verdacht des Servilismus auf
sich zieht. Uuter diesen Umständen wäre es der höchste Grad der Verwirrung,
wenn die Regierung irgend welche Rücksicht auf derartige Meinungsäußerungen
nähme.

Vor Allem aber soll die conservative Presse, die in neuester Zeit in unerwar¬
teter Fülle sich aufgethan hat, und die wir im Uebrigen nur freudig begrüßen,
sich hüten, aus Abneigung gegen den Wahnsinn des Radikalismus sich geradezu servil
zu gebärde». Sie erstirbt schon gar zu sehr in allerunterthänigster Devotion vor
der siegreichen Majestät, vielleicht so eifriger, um frühere Sünden vergessen zu
machen. Mit Knechten kann man wohl zur Noth das marodirende Gesindel aus-
-j- -j-. einandertreiben, aber kein freies Familienleben gründen.



Naturrecht und Volksrecht ).



Bei der Reorganisation unsers Staatslebens werden die Urrechte oder ange-
bornen oder allgemeinen Menschenrechte, wie man sie nennt, eine gar wichtige
Rolle spielen. Es sind das die Rechte, die alle Dichter verherrlicht haben, und
die man noch jetzt in Zeitungen mancherlei Art tagtäglich ausposaunen hört.

Das deutsche Volk will bei dem konstitutionellen Fürstenthum verbleiben. Es
hat seinen Willen dahin ausgesprochen. Allein das hindert nicht, daß der deutsche
Dichter Her weg h mit einer Schaar von 2000 Mann ans Frankreich zieht, und
ihm wider seinen Willen die Wohlthat der Republik aufnöthigen will.

Was berechtigt ihn zu diesem Zuge? Es ist ein Urrecht, nichts Höheres,
keine Fürstengewalt über sich zu haben, es ist ein Urrecht in der Republik zu
leben. Und wenn die Mehrzahl so thöricht ist, den Genuß dieses Urrechts nicht
zu wollen, so muß er ihr gewaltsam, wie eine bittere aber heilsame Arzenei einem
störrischen Knaben beigebracht werden. Und eine andere Schaar Deutscher zieht



-) Vortrag, gehalten im Gewerbeverein zu Danzig, von Henning, Kammergericht«-
Assessor. (Im Auszug mitgetheilt.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/70>, abgerufen am 07.05.2024.