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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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aus Frankreich aus, denen auch die Republik nicht genügt. Sie tragen das
Motto voran:

Auf! auf! Ihr Proletarier, freuet Euch!

und wollen einen Zustand, der so ziemlich alles Eigenthum aufhebt. Denn von
Natur haben alle Menschen gleichen Anspruch ans alle Gaben der Natur und die¬
ses Natur- und Urrecht wollen sie verwirklichen.

Und ferner ist es ein eingebornes, ein allgemeines Menschenrecht, für das
am Gründonnerstage jene Tausende in Berlin eine Demonstration machen wollten,
eS ist ein eingebornes Recht, daß das Volk seine Vertreter unmittelbar aus sei¬
ner Mitte wählt und nicht gezwungen ist, Mittels - Personen aufzustellen, durch
welche die Wahlen ganz anders ausfallen, als sie sonst ausfallen würden.

Lassen sie uns, meine Herren! diesen angebornen, diesen Urrechten, deren
die französische Revolution eine große Masse aufgestellt hat, näher zu Leibe gehen.

Die Urrechte folgen aus der Annahme eines sogenannten Naturrechts, als
eines festen unwandelbaren Rechts, das die Menschen nur anzunehmen brauchten,
um den Himmel auf Erden zu haben. Man geht davon aus, daß die Menschen
von Natur ungesellig und feindselig sind, und daß sie sich mit wohlangestellter
Ueberlegung blos zum gegenseitigen Schutze der Güter, welche sie der Natur ent¬
rissen haben, zu dem Staate als einem Ganzen verbinden, dessen oberste Leitung
sie willkürlich, so oder so bestimmen. Der Staat ist nach dieser Ansicht das Pro¬
dukt einer freiwilligen Uebereinkunft aller von Natur gleiche" Mitglieder eines
Volkes, welche ihren Einzelwillen für die Zukunft einem allgemeinen Willen durch
Vertrag unterwerfen. Dieser Vertrag wird aber von Seiten der Regierung selten
gehalten; die Regierung greift über die unveräußerlichen Rechte, welche sich ur¬
sprünglich ein Jeder bei Stiftung des Staats vorbehielt, stets hinaus. Wo dies
aber geschehen -- und die Anhänger dieser Ansicht sagen, daß es beinahe überall
geschehen ist -- da ist es die Pflicht eines Jeden, seine ursprünglich bei Stif¬
tung des Staats stattgehabte Urrechte wieder zu erobern.

Daher liegen die Urrechte stets im Kampfe mit dem Staate und jedem noch
so lebendigen Volksrechte. Diese Theorie, diese Ansicht vom Staat und von den
Urrechten ist eine durch und dnrch falsche. Der Mensch hat von Natur nichts,
auf die Welt gebracht; des Menschen Natur ist eben die Kunst! das Recht ist
nichts Festes, Angebornes, es ist etwas Flüssiges, sich ewig Verjüngendes und
will mühsam errungen sein. Von einem vvrstaatlichen Zustande haben wir eben
so wenig einen Begriff, als wir ihn davou haben, daß Menschen ohne Sprache
je gewesen sind. Es lehrt uns die Geschichte, es lehren uns die Sagen der al¬
ten Dichter, daß Volker nie anders als im Staat, d. h. in einer durch Gesetze
geregelten Gesellschaft auftauche", Gesetze, die zwar oft noch nicht auf Stein oder
Erz geschrieben waren, aber geschrieben um so deutlicher in die Herzen der Men¬
schen. Die Völker kannten den Namen Staat nicht, aber sie waren zu einem


aus Frankreich aus, denen auch die Republik nicht genügt. Sie tragen das
Motto voran:

Auf! auf! Ihr Proletarier, freuet Euch!

und wollen einen Zustand, der so ziemlich alles Eigenthum aufhebt. Denn von
Natur haben alle Menschen gleichen Anspruch ans alle Gaben der Natur und die¬
ses Natur- und Urrecht wollen sie verwirklichen.

Und ferner ist es ein eingebornes, ein allgemeines Menschenrecht, für das
am Gründonnerstage jene Tausende in Berlin eine Demonstration machen wollten,
eS ist ein eingebornes Recht, daß das Volk seine Vertreter unmittelbar aus sei¬
ner Mitte wählt und nicht gezwungen ist, Mittels - Personen aufzustellen, durch
welche die Wahlen ganz anders ausfallen, als sie sonst ausfallen würden.

Lassen sie uns, meine Herren! diesen angebornen, diesen Urrechten, deren
die französische Revolution eine große Masse aufgestellt hat, näher zu Leibe gehen.

Die Urrechte folgen aus der Annahme eines sogenannten Naturrechts, als
eines festen unwandelbaren Rechts, das die Menschen nur anzunehmen brauchten,
um den Himmel auf Erden zu haben. Man geht davon aus, daß die Menschen
von Natur ungesellig und feindselig sind, und daß sie sich mit wohlangestellter
Ueberlegung blos zum gegenseitigen Schutze der Güter, welche sie der Natur ent¬
rissen haben, zu dem Staate als einem Ganzen verbinden, dessen oberste Leitung
sie willkürlich, so oder so bestimmen. Der Staat ist nach dieser Ansicht das Pro¬
dukt einer freiwilligen Uebereinkunft aller von Natur gleiche» Mitglieder eines
Volkes, welche ihren Einzelwillen für die Zukunft einem allgemeinen Willen durch
Vertrag unterwerfen. Dieser Vertrag wird aber von Seiten der Regierung selten
gehalten; die Regierung greift über die unveräußerlichen Rechte, welche sich ur¬
sprünglich ein Jeder bei Stiftung des Staats vorbehielt, stets hinaus. Wo dies
aber geschehen — und die Anhänger dieser Ansicht sagen, daß es beinahe überall
geschehen ist — da ist es die Pflicht eines Jeden, seine ursprünglich bei Stif¬
tung des Staats stattgehabte Urrechte wieder zu erobern.

Daher liegen die Urrechte stets im Kampfe mit dem Staate und jedem noch
so lebendigen Volksrechte. Diese Theorie, diese Ansicht vom Staat und von den
Urrechten ist eine durch und dnrch falsche. Der Mensch hat von Natur nichts,
auf die Welt gebracht; des Menschen Natur ist eben die Kunst! das Recht ist
nichts Festes, Angebornes, es ist etwas Flüssiges, sich ewig Verjüngendes und
will mühsam errungen sein. Von einem vvrstaatlichen Zustande haben wir eben
so wenig einen Begriff, als wir ihn davou haben, daß Menschen ohne Sprache
je gewesen sind. Es lehrt uns die Geschichte, es lehren uns die Sagen der al¬
ten Dichter, daß Volker nie anders als im Staat, d. h. in einer durch Gesetze
geregelten Gesellschaft auftauche», Gesetze, die zwar oft noch nicht auf Stein oder
Erz geschrieben waren, aber geschrieben um so deutlicher in die Herzen der Men¬
schen. Die Völker kannten den Namen Staat nicht, aber sie waren zu einem


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[0071] aus Frankreich aus, denen auch die Republik nicht genügt. Sie tragen das Motto voran: Auf! auf! Ihr Proletarier, freuet Euch! und wollen einen Zustand, der so ziemlich alles Eigenthum aufhebt. Denn von Natur haben alle Menschen gleichen Anspruch ans alle Gaben der Natur und die¬ ses Natur- und Urrecht wollen sie verwirklichen. Und ferner ist es ein eingebornes, ein allgemeines Menschenrecht, für das am Gründonnerstage jene Tausende in Berlin eine Demonstration machen wollten, eS ist ein eingebornes Recht, daß das Volk seine Vertreter unmittelbar aus sei¬ ner Mitte wählt und nicht gezwungen ist, Mittels - Personen aufzustellen, durch welche die Wahlen ganz anders ausfallen, als sie sonst ausfallen würden. Lassen sie uns, meine Herren! diesen angebornen, diesen Urrechten, deren die französische Revolution eine große Masse aufgestellt hat, näher zu Leibe gehen. Die Urrechte folgen aus der Annahme eines sogenannten Naturrechts, als eines festen unwandelbaren Rechts, das die Menschen nur anzunehmen brauchten, um den Himmel auf Erden zu haben. Man geht davon aus, daß die Menschen von Natur ungesellig und feindselig sind, und daß sie sich mit wohlangestellter Ueberlegung blos zum gegenseitigen Schutze der Güter, welche sie der Natur ent¬ rissen haben, zu dem Staate als einem Ganzen verbinden, dessen oberste Leitung sie willkürlich, so oder so bestimmen. Der Staat ist nach dieser Ansicht das Pro¬ dukt einer freiwilligen Uebereinkunft aller von Natur gleiche» Mitglieder eines Volkes, welche ihren Einzelwillen für die Zukunft einem allgemeinen Willen durch Vertrag unterwerfen. Dieser Vertrag wird aber von Seiten der Regierung selten gehalten; die Regierung greift über die unveräußerlichen Rechte, welche sich ur¬ sprünglich ein Jeder bei Stiftung des Staats vorbehielt, stets hinaus. Wo dies aber geschehen — und die Anhänger dieser Ansicht sagen, daß es beinahe überall geschehen ist — da ist es die Pflicht eines Jeden, seine ursprünglich bei Stif¬ tung des Staats stattgehabte Urrechte wieder zu erobern. Daher liegen die Urrechte stets im Kampfe mit dem Staate und jedem noch so lebendigen Volksrechte. Diese Theorie, diese Ansicht vom Staat und von den Urrechten ist eine durch und dnrch falsche. Der Mensch hat von Natur nichts, auf die Welt gebracht; des Menschen Natur ist eben die Kunst! das Recht ist nichts Festes, Angebornes, es ist etwas Flüssiges, sich ewig Verjüngendes und will mühsam errungen sein. Von einem vvrstaatlichen Zustande haben wir eben so wenig einen Begriff, als wir ihn davou haben, daß Menschen ohne Sprache je gewesen sind. Es lehrt uns die Geschichte, es lehren uns die Sagen der al¬ ten Dichter, daß Volker nie anders als im Staat, d. h. in einer durch Gesetze geregelten Gesellschaft auftauche», Gesetze, die zwar oft noch nicht auf Stein oder Erz geschrieben waren, aber geschrieben um so deutlicher in die Herzen der Men¬ schen. Die Völker kannten den Namen Staat nicht, aber sie waren zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/71>, abgerufen am 27.05.2024.