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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Wilder und Scenen ans der Slovakei.
3.
Der Panslavismus unter den Slovake".

Unter den Nordslaven Ungarns hat der Panslavismus seine Hauptstütze in
dem höheren Lehrerstand der lutherischen Schulen. Diese auffallende Erscheinung
erklärt sich aus der furchtsamen Politik des alten Oestreich. In Ungarn war der
Besuch ausländischer, besonders deutscher Universitäten für jeden Nich"Protestanten
mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Absperrung der Monarchie von
deutschem Geiste, zumal von der alles niederreißenden deutscheu Philosophie er¬
schien höchst wünschenswert!), und uur besondere Umstände oder mächtige Protek¬
tion konnten dem Jüngling einen Paß in's Ausland verschaffen. Freier waren
die Protestanten. Diese hatten sich in den Religionskriegen uuter Bocskai, Beth-
len, N-ckoczy ihr eigenes vom Staate unabhängiges Schulwesen zu sichern, und
durch muthige Ausdauer bis ans den heutigen Tag zu erhalten gewußt; nud da
in diesen Schulen unvermeidlich ein freierer Geist herrschte, so glaubte die Re¬
gierung uicht viel zu verlieren, wenn die jungen Ketzer in das Vaterland des
Ketzerthums wanderte"; und obwohl zur Zeit der burschenschaftlichen Unruhen der
Besuch deutscher Universitäten durchaus verpönt wurde und deshalb in Wien selbst
ein protestantisch-theologisches Seminar errichtet worden war, so hob man doch
später dieses Verbot noch unter Kaiser Franz auf und die Schüler Luther's und
Kalviu's durften wieder nach Berlin, Leipzig, Göttingen, Halle u. s. w. wall¬
fahrten, wo anch mehrere ungarische Stipendien bestanden. Uuter den protestan¬
tische" Jünglinge" machte" natürlich die Candidaten der Theologie am meisten von
diesem Rechte Gebrauch; und viele vou ihnen brachten wirklich gründliche Kennt¬
nisse in den classischen Sprachen, in Philosophie, Geschichte, Mathematik und
Physik in die Heimath zurück, stets gemischt mit einer starken Dosis deutscher
Schwärmerei. Nur war das Resultat bei deu zwei verschiedenen Coufcssionc" des
Protestantismus ein sehr verschiedenes. Die Kalvinisten, welche meist dem magyari¬
schen Stamme angehörten, fanden bei ihrer Rückkehr in'S Vaterland ihre heimath¬
liche" Fluren blühend, ihr stolzes Volk i" kräftiger Entwickelung, ihre Nationalität
i" frohem Aufschwung, die Suprematie ihrer Sprache im Staate durch die
Gesetzgebung, in der Literatur durch die Werke einiger wahrhaft dichterischer Talente
gesichert; die jungen Idealisten hatten also eine große lebendige Welt, sür welche
sie sich begeistern konnten, sie wurden eifrige Patrioten, nud schwärmten über die
Wirklichkeit hinaus noch für die Unabhängigkeit des MagyarcnlandeS;
so kam es, daß die äußerste Linke des ungarischen Reichstags in dein Kalvinis-
mus ihre festeste Stütze fand. Der lutherische Theologe hingegen war fast nie


GrniMcn II. 1850. 1-4
Wilder und Scenen ans der Slovakei.
3.
Der Panslavismus unter den Slovake».

Unter den Nordslaven Ungarns hat der Panslavismus seine Hauptstütze in
dem höheren Lehrerstand der lutherischen Schulen. Diese auffallende Erscheinung
erklärt sich aus der furchtsamen Politik des alten Oestreich. In Ungarn war der
Besuch ausländischer, besonders deutscher Universitäten für jeden Nich«Protestanten
mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Absperrung der Monarchie von
deutschem Geiste, zumal von der alles niederreißenden deutscheu Philosophie er¬
schien höchst wünschenswert!), und uur besondere Umstände oder mächtige Protek¬
tion konnten dem Jüngling einen Paß in's Ausland verschaffen. Freier waren
die Protestanten. Diese hatten sich in den Religionskriegen uuter Bocskai, Beth-
len, N-ckoczy ihr eigenes vom Staate unabhängiges Schulwesen zu sichern, und
durch muthige Ausdauer bis ans den heutigen Tag zu erhalten gewußt; nud da
in diesen Schulen unvermeidlich ein freierer Geist herrschte, so glaubte die Re¬
gierung uicht viel zu verlieren, wenn die jungen Ketzer in das Vaterland des
Ketzerthums wanderte»; und obwohl zur Zeit der burschenschaftlichen Unruhen der
Besuch deutscher Universitäten durchaus verpönt wurde und deshalb in Wien selbst
ein protestantisch-theologisches Seminar errichtet worden war, so hob man doch
später dieses Verbot noch unter Kaiser Franz auf und die Schüler Luther's und
Kalviu's durften wieder nach Berlin, Leipzig, Göttingen, Halle u. s. w. wall¬
fahrten, wo anch mehrere ungarische Stipendien bestanden. Uuter den protestan¬
tische» Jünglinge» machte» natürlich die Candidaten der Theologie am meisten von
diesem Rechte Gebrauch; und viele vou ihnen brachten wirklich gründliche Kennt¬
nisse in den classischen Sprachen, in Philosophie, Geschichte, Mathematik und
Physik in die Heimath zurück, stets gemischt mit einer starken Dosis deutscher
Schwärmerei. Nur war das Resultat bei deu zwei verschiedenen Coufcssionc» des
Protestantismus ein sehr verschiedenes. Die Kalvinisten, welche meist dem magyari¬
schen Stamme angehörten, fanden bei ihrer Rückkehr in'S Vaterland ihre heimath¬
liche» Fluren blühend, ihr stolzes Volk i» kräftiger Entwickelung, ihre Nationalität
i» frohem Aufschwung, die Suprematie ihrer Sprache im Staate durch die
Gesetzgebung, in der Literatur durch die Werke einiger wahrhaft dichterischer Talente
gesichert; die jungen Idealisten hatten also eine große lebendige Welt, sür welche
sie sich begeistern konnten, sie wurden eifrige Patrioten, nud schwärmten über die
Wirklichkeit hinaus noch für die Unabhängigkeit des MagyarcnlandeS;
so kam es, daß die äußerste Linke des ungarischen Reichstags in dein Kalvinis-
mus ihre festeste Stütze fand. Der lutherische Theologe hingegen war fast nie


GrniMcn II. 1850. 1-4
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[0113] Wilder und Scenen ans der Slovakei. 3. Der Panslavismus unter den Slovake». Unter den Nordslaven Ungarns hat der Panslavismus seine Hauptstütze in dem höheren Lehrerstand der lutherischen Schulen. Diese auffallende Erscheinung erklärt sich aus der furchtsamen Politik des alten Oestreich. In Ungarn war der Besuch ausländischer, besonders deutscher Universitäten für jeden Nich«Protestanten mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Absperrung der Monarchie von deutschem Geiste, zumal von der alles niederreißenden deutscheu Philosophie er¬ schien höchst wünschenswert!), und uur besondere Umstände oder mächtige Protek¬ tion konnten dem Jüngling einen Paß in's Ausland verschaffen. Freier waren die Protestanten. Diese hatten sich in den Religionskriegen uuter Bocskai, Beth- len, N-ckoczy ihr eigenes vom Staate unabhängiges Schulwesen zu sichern, und durch muthige Ausdauer bis ans den heutigen Tag zu erhalten gewußt; nud da in diesen Schulen unvermeidlich ein freierer Geist herrschte, so glaubte die Re¬ gierung uicht viel zu verlieren, wenn die jungen Ketzer in das Vaterland des Ketzerthums wanderte»; und obwohl zur Zeit der burschenschaftlichen Unruhen der Besuch deutscher Universitäten durchaus verpönt wurde und deshalb in Wien selbst ein protestantisch-theologisches Seminar errichtet worden war, so hob man doch später dieses Verbot noch unter Kaiser Franz auf und die Schüler Luther's und Kalviu's durften wieder nach Berlin, Leipzig, Göttingen, Halle u. s. w. wall¬ fahrten, wo anch mehrere ungarische Stipendien bestanden. Uuter den protestan¬ tische» Jünglinge» machte» natürlich die Candidaten der Theologie am meisten von diesem Rechte Gebrauch; und viele vou ihnen brachten wirklich gründliche Kennt¬ nisse in den classischen Sprachen, in Philosophie, Geschichte, Mathematik und Physik in die Heimath zurück, stets gemischt mit einer starken Dosis deutscher Schwärmerei. Nur war das Resultat bei deu zwei verschiedenen Coufcssionc» des Protestantismus ein sehr verschiedenes. Die Kalvinisten, welche meist dem magyari¬ schen Stamme angehörten, fanden bei ihrer Rückkehr in'S Vaterland ihre heimath¬ liche» Fluren blühend, ihr stolzes Volk i» kräftiger Entwickelung, ihre Nationalität i» frohem Aufschwung, die Suprematie ihrer Sprache im Staate durch die Gesetzgebung, in der Literatur durch die Werke einiger wahrhaft dichterischer Talente gesichert; die jungen Idealisten hatten also eine große lebendige Welt, sür welche sie sich begeistern konnten, sie wurden eifrige Patrioten, nud schwärmten über die Wirklichkeit hinaus noch für die Unabhängigkeit des MagyarcnlandeS; so kam es, daß die äußerste Linke des ungarischen Reichstags in dein Kalvinis- mus ihre festeste Stütze fand. Der lutherische Theologe hingegen war fast nie GrniMcn II. 1850. 1-4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/113>, abgerufen am 06.05.2024.