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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Das Schulwesen in Ungarn.



Die östreichische Regierung hat in ihrer Rückgangspolitik eine neue Phase
durchgemacht; den Gemüthern der östreichischen Völker wurde eine neue, den
Plänen des Hofes vielleicht nicht ungünstige Nichtung gegeben. Die Leichenfeier
des siebzigjährigen j>l!l<x:denn >'":-Ma hat den Tod der jungen lebe>lskrästigen
ungarischen Helden, und die Agonie der noch ijüngern östreichischen Eonstitution
sür eine Zeit vergessen gemacht, und die Presse in und außer dem Kaiserstaate
füllet ihre Spalten mit Klageliedern üher deu plötzliche" Tod dieses greisen Schooß-
lindes des große" Joseph.

Ich nenne diese Aufregung der Gemüther eine für de" Hof vielleicht gü"feige,
weil ich als alleiniges Motiv der Regierung zu diese"! übereilt scheinenden Schritt
deu wohlberechneten Plan annehme: die Agitation von dem Gebiete der Politik,
!vo sie trotz aller Nepressivmasm'gelu nicht gänzlich gebändigt werden konnte, ans
das religiöse zu verpflanzen, sonne die Aerzte eine Eongestion gegen den Kops
durch Blnrentleernng auf das Herz reduziren. Doch de"> sei wie immer, so viel
bleibt unbezweifelt, daß durch die neue Kirchenverfassung kei" Zweig deS gesell¬
schaftliche" Lebens so hart getroffen wird, als der des öffentlichen Unterrichts,
das gesammte östreichische Schulwesen, welches in diesem Staate, wie in leiueni
andern der Erde theils mittelbar, theils ""mittelbar u"ter dem Einfluß der Kut-
tenmänner steht, und es dürfte nicht ohne Interesse sein, daS große Deutschland
mit dem vormärzlichen Zustande deö östreichischen Schulwesens bekannt zu machen,
da nnter den jetzigen Umstände" el"e Umänderung desselben nicht so bald in Aus¬
sicht steht.

Ich hatte zwar nicht die Gelegenhenheit, mit den Schulen der einzelne" Lan¬
der näher bekannt zu werden, allein, da nach dein alten Systeme Alles so viel
als möglich ans einen Leisten gezogen wurde, und ich hier deu eigentlichen Bolts-
nnterricht in den unter" Schulen, der eine besondre ausführliche Behandlung
erfordert, und in welchem allein die deutschen Erbländer vor Ungar" und
Galizien etwas bevorzugt waren, unbeachtet lasse, so glaube ich mit der
Schilderung der höhern ungarischen Lehranstalten ein ziemlich ähnliches Bild von
denen der Monarchie überhaupt zu entwerfe". Manche wesentliche Abweichung
soll im Laufe der Behandlung ihre Beachtung finden.

In Ungar" bestand der sogenannte höhere Unterricht, durch welche" nämlich
die künftigen Staats- und Municipalbeamte", Advocaten, Aerzte, Geistliche, Leh¬
rer, Soldaten und Künstler herangebildet werde" sollte", ans Gymnasien, soge
nannten philosophischen Lehranstalten, wohin gehören: die Akademien, Liceen
und Eollegien und ans der Pesther Universität.

1. Die Gymnasien.

Diese waren zweierlei: kleine, die ans vier, und große, die ans sechs Classen


Das Schulwesen in Ungarn.



Die östreichische Regierung hat in ihrer Rückgangspolitik eine neue Phase
durchgemacht; den Gemüthern der östreichischen Völker wurde eine neue, den
Plänen des Hofes vielleicht nicht ungünstige Nichtung gegeben. Die Leichenfeier
des siebzigjährigen j>l!l<x:denn >'«:-Ma hat den Tod der jungen lebe>lskrästigen
ungarischen Helden, und die Agonie der noch ijüngern östreichischen Eonstitution
sür eine Zeit vergessen gemacht, und die Presse in und außer dem Kaiserstaate
füllet ihre Spalten mit Klageliedern üher deu plötzliche» Tod dieses greisen Schooß-
lindes des große» Joseph.

Ich nenne diese Aufregung der Gemüther eine für de» Hof vielleicht gü»feige,
weil ich als alleiniges Motiv der Regierung zu diese»! übereilt scheinenden Schritt
deu wohlberechneten Plan annehme: die Agitation von dem Gebiete der Politik,
!vo sie trotz aller Nepressivmasm'gelu nicht gänzlich gebändigt werden konnte, ans
das religiöse zu verpflanzen, sonne die Aerzte eine Eongestion gegen den Kops
durch Blnrentleernng auf das Herz reduziren. Doch de»> sei wie immer, so viel
bleibt unbezweifelt, daß durch die neue Kirchenverfassung kei» Zweig deS gesell¬
schaftliche» Lebens so hart getroffen wird, als der des öffentlichen Unterrichts,
das gesammte östreichische Schulwesen, welches in diesem Staate, wie in leiueni
andern der Erde theils mittelbar, theils »»mittelbar u»ter dem Einfluß der Kut-
tenmänner steht, und es dürfte nicht ohne Interesse sein, daS große Deutschland
mit dem vormärzlichen Zustande deö östreichischen Schulwesens bekannt zu machen,
da nnter den jetzigen Umstände» el»e Umänderung desselben nicht so bald in Aus¬
sicht steht.

Ich hatte zwar nicht die Gelegenhenheit, mit den Schulen der einzelne» Lan¬
der näher bekannt zu werden, allein, da nach dein alten Systeme Alles so viel
als möglich ans einen Leisten gezogen wurde, und ich hier deu eigentlichen Bolts-
nnterricht in den unter» Schulen, der eine besondre ausführliche Behandlung
erfordert, und in welchem allein die deutschen Erbländer vor Ungar» und
Galizien etwas bevorzugt waren, unbeachtet lasse, so glaube ich mit der
Schilderung der höhern ungarischen Lehranstalten ein ziemlich ähnliches Bild von
denen der Monarchie überhaupt zu entwerfe». Manche wesentliche Abweichung
soll im Laufe der Behandlung ihre Beachtung finden.

In Ungar» bestand der sogenannte höhere Unterricht, durch welche» nämlich
die künftigen Staats- und Municipalbeamte», Advocaten, Aerzte, Geistliche, Leh¬
rer, Soldaten und Künstler herangebildet werde» sollte», ans Gymnasien, soge
nannten philosophischen Lehranstalten, wohin gehören: die Akademien, Liceen
und Eollegien und ans der Pesther Universität.

1. Die Gymnasien.

Diese waren zweierlei: kleine, die ans vier, und große, die ans sechs Classen


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[0350] Das Schulwesen in Ungarn. Die östreichische Regierung hat in ihrer Rückgangspolitik eine neue Phase durchgemacht; den Gemüthern der östreichischen Völker wurde eine neue, den Plänen des Hofes vielleicht nicht ungünstige Nichtung gegeben. Die Leichenfeier des siebzigjährigen j>l!l<x:denn >'«:-Ma hat den Tod der jungen lebe>lskrästigen ungarischen Helden, und die Agonie der noch ijüngern östreichischen Eonstitution sür eine Zeit vergessen gemacht, und die Presse in und außer dem Kaiserstaate füllet ihre Spalten mit Klageliedern üher deu plötzliche» Tod dieses greisen Schooß- lindes des große» Joseph. Ich nenne diese Aufregung der Gemüther eine für de» Hof vielleicht gü»feige, weil ich als alleiniges Motiv der Regierung zu diese»! übereilt scheinenden Schritt deu wohlberechneten Plan annehme: die Agitation von dem Gebiete der Politik, !vo sie trotz aller Nepressivmasm'gelu nicht gänzlich gebändigt werden konnte, ans das religiöse zu verpflanzen, sonne die Aerzte eine Eongestion gegen den Kops durch Blnrentleernng auf das Herz reduziren. Doch de»> sei wie immer, so viel bleibt unbezweifelt, daß durch die neue Kirchenverfassung kei» Zweig deS gesell¬ schaftliche» Lebens so hart getroffen wird, als der des öffentlichen Unterrichts, das gesammte östreichische Schulwesen, welches in diesem Staate, wie in leiueni andern der Erde theils mittelbar, theils »»mittelbar u»ter dem Einfluß der Kut- tenmänner steht, und es dürfte nicht ohne Interesse sein, daS große Deutschland mit dem vormärzlichen Zustande deö östreichischen Schulwesens bekannt zu machen, da nnter den jetzigen Umstände» el»e Umänderung desselben nicht so bald in Aus¬ sicht steht. Ich hatte zwar nicht die Gelegenhenheit, mit den Schulen der einzelne» Lan¬ der näher bekannt zu werden, allein, da nach dein alten Systeme Alles so viel als möglich ans einen Leisten gezogen wurde, und ich hier deu eigentlichen Bolts- nnterricht in den unter» Schulen, der eine besondre ausführliche Behandlung erfordert, und in welchem allein die deutschen Erbländer vor Ungar» und Galizien etwas bevorzugt waren, unbeachtet lasse, so glaube ich mit der Schilderung der höhern ungarischen Lehranstalten ein ziemlich ähnliches Bild von denen der Monarchie überhaupt zu entwerfe». Manche wesentliche Abweichung soll im Laufe der Behandlung ihre Beachtung finden. In Ungar» bestand der sogenannte höhere Unterricht, durch welche» nämlich die künftigen Staats- und Municipalbeamte», Advocaten, Aerzte, Geistliche, Leh¬ rer, Soldaten und Künstler herangebildet werde» sollte», ans Gymnasien, soge nannten philosophischen Lehranstalten, wohin gehören: die Akademien, Liceen und Eollegien und ans der Pesther Universität. 1. Die Gymnasien. Diese waren zweierlei: kleine, die ans vier, und große, die ans sechs Classen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/350>, abgerufen am 05.05.2024.