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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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die erste und unabweisbarste sein: Herstellung des Königreichs Ungarn in seiner
Integrität, und Herstellung seiner Unabhängigkeit wenigstens in den vormärzlichen
Grenzen, wenigstens in den Grenzen, wie sie das Andrian'sche Programm verlangt.

Damit ist denn freilich ein starker Riß in die Constitution vom 4. März ge¬
macht. Denn theoretisch läßt sich ganz gut die Function der Verwaltung von
der Function der Negierung sondern, wie es Andrian ans das Vortrefflichste an¬
gedeutet hat; ob es aber praktisch durchzuführen sein wird, daß ein großes
ungarisches Parlament, ans eine compacte Nationalität gestuft, und von einer
weit größeren Öffentlichkeit getragen, als in der vormärzlichen Zeit, in der man
die Landtagsverhandluugcn erst ans den Grenzboten erfuhr - - daß der Pro-
vinziallandtag der Magyaren sich auch in den allgemeinen Angelegenheiten der Ent¬
scheidung eines östreichischen Reichstags unterwerfen wird, der sich uicht auf eine
substantielle Basis sticht, und dessen divergirende Interessen uicht einmal immer
mit denen der Regierung Hand in Hand gehn werden -- daS können wir wenig¬
stens vorläufig in Frage stellen. Ich wenigstens bin überzeugt, daß ein unga¬
risches Parlament, das in der auswärtigen Politik, den allgemeinen Zollgcscchen
u. s. w., uicht mitzusprechen hat, nothwendig seinen Kossuth wieder hervor-
rufen wird.

Die östreichische Constitution, welche die Integrität Ungarns anerkennen muß,
kann uur ein Malwerk sein. Was hilft es! Besser ein Flickwerk, das wenig¬
stens vorläufig haltbar ist, als eine Uniform ans Spinneweben. -- Ein aufrich¬
tiges Entgegenkommen von beiden Seiten kann wenigstens manches Gute zu
Tage fördern, und wie das officielle Oestreich jeizt beschaffen ist, kauu es keinen
Anspruch darauf machen, kraft einer culturhistorischen Mission den widerstreben¬
den Naturen Gewalt anzuthun. Schwarzenberg ist lauge kein Joseph.

Möchte das Cabinet in Erwägung dieser Umstände sich daran gewöhnen, seine
Ansprüche nach Außen hin nicht zu hoch zu spannen. Es ist zwar deutlich genug,
was es mit seinen großdentschen Intriguen bezweckt: es will in Deutschland einen
Halt gewinnen, der es gegen die unheimliche Freundschaft des russischen Be¬
schützers sicher stellt. Oestreich würde aber weiser handeln, wenn es redlicher
"handelte. Die Freundschaft Deutschlands wird ihm zu Theil werden, wenn es
seine störenden Hände aus dem Spiele läßt, und die Freundschaft eines starken,
einigen Deutschland wird ihm eine festere Gliede sein, als das unheilige Bündniß
mit den Nheinbundkönigen, durch welches Deutschland in der alten Verwirrung
und Abhängigkeit erhalten werden soll.




die erste und unabweisbarste sein: Herstellung des Königreichs Ungarn in seiner
Integrität, und Herstellung seiner Unabhängigkeit wenigstens in den vormärzlichen
Grenzen, wenigstens in den Grenzen, wie sie das Andrian'sche Programm verlangt.

Damit ist denn freilich ein starker Riß in die Constitution vom 4. März ge¬
macht. Denn theoretisch läßt sich ganz gut die Function der Verwaltung von
der Function der Negierung sondern, wie es Andrian ans das Vortrefflichste an¬
gedeutet hat; ob es aber praktisch durchzuführen sein wird, daß ein großes
ungarisches Parlament, ans eine compacte Nationalität gestuft, und von einer
weit größeren Öffentlichkeit getragen, als in der vormärzlichen Zeit, in der man
die Landtagsverhandluugcn erst ans den Grenzboten erfuhr - - daß der Pro-
vinziallandtag der Magyaren sich auch in den allgemeinen Angelegenheiten der Ent¬
scheidung eines östreichischen Reichstags unterwerfen wird, der sich uicht auf eine
substantielle Basis sticht, und dessen divergirende Interessen uicht einmal immer
mit denen der Regierung Hand in Hand gehn werden — daS können wir wenig¬
stens vorläufig in Frage stellen. Ich wenigstens bin überzeugt, daß ein unga¬
risches Parlament, das in der auswärtigen Politik, den allgemeinen Zollgcscchen
u. s. w., uicht mitzusprechen hat, nothwendig seinen Kossuth wieder hervor-
rufen wird.

Die östreichische Constitution, welche die Integrität Ungarns anerkennen muß,
kann uur ein Malwerk sein. Was hilft es! Besser ein Flickwerk, das wenig¬
stens vorläufig haltbar ist, als eine Uniform ans Spinneweben. — Ein aufrich¬
tiges Entgegenkommen von beiden Seiten kann wenigstens manches Gute zu
Tage fördern, und wie das officielle Oestreich jeizt beschaffen ist, kauu es keinen
Anspruch darauf machen, kraft einer culturhistorischen Mission den widerstreben¬
den Naturen Gewalt anzuthun. Schwarzenberg ist lauge kein Joseph.

Möchte das Cabinet in Erwägung dieser Umstände sich daran gewöhnen, seine
Ansprüche nach Außen hin nicht zu hoch zu spannen. Es ist zwar deutlich genug,
was es mit seinen großdentschen Intriguen bezweckt: es will in Deutschland einen
Halt gewinnen, der es gegen die unheimliche Freundschaft des russischen Be¬
schützers sicher stellt. Oestreich würde aber weiser handeln, wenn es redlicher
"handelte. Die Freundschaft Deutschlands wird ihm zu Theil werden, wenn es
seine störenden Hände aus dem Spiele läßt, und die Freundschaft eines starken,
einigen Deutschland wird ihm eine festere Gliede sein, als das unheilige Bündniß
mit den Nheinbundkönigen, durch welches Deutschland in der alten Verwirrung
und Abhängigkeit erhalten werden soll.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/349>, abgerufen am 25.05.2024.