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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Der gute Großvater! Im wievielten Himmel mag jetzt sein Sorgenstnhl
stehen! Denn im vorigen Herbst wollten ihn seine Beine und der Krückstock nicht
mehr nach Pettycoat-Lane tragen, das Leben hatte keinen Reiz mehr für ihn, er
segnete also seine Enkelchen, und ging eiligst hinüber, um weiter zu plaudern von
Canning, Princeß Charlotte und Georg dem Dritten. Ich fürchte nur, das ewige
Leben bringt ihm eine schmerzliche Cuttäuschung, denn es ist leicht möglich, daß
Altengland, von Oben gesehen, sich nicht so großartig ausnimmt, wie von der
Bank vor dem Tabaksladcn in Pettycoat-Lane.




Der Panslavismus in Rußland.



Es ist kein leichtes Ding, über Rußland zu schreiben. Man müßte immer,
um recht verstanden zu werden, vorher erst erklären, was man selbst darunter
versteht. Nennt man das düstere kleine Rclirirzimmer des Czaren Rußland,
so hat man anders zu urtheilen, als wenn mau den großen Vvlkösaal ohne
Dielen mit blauer Decke meint, denn diese beiden Rußland, das große im kleinen
Cabinet und das kleine vom weißen bis zum schwarzen Meer, sind in vielen Dingen
so verschieden, wie in keinem andern Land Cabinet und Volk sein können.

' Der Panslavismus hat seit einer Reihe von Jahren in Deutschland eine sehr
eifrige Betrachtung und Kritik erfahren. Von den Südslaven abgesehen, war man
in Deutschland nicht abgeneigt, anzunehmen, Rußland, welches doch eigentlich der
thatkräftige Körper des Panslavismus sein, und welches natürlicherweise darau
ein sehr angenehmes Interesse haben könne, müsse ganz und gar von der großen
Idee erfüllt sein.

Armes Nußland! welche schlechte Meinung haben wir närrische Deutsche von
Dir! Wir halten Dich -- und zittern wohl gar dabei -- für eine Art von ge¬
harnischtem Professor mit dein Buch der Offenbarung in der Hand, welcher majestä¬
tisch auf dein Stuhle sitzt, und wie der kluge Bauuö in den. fliegenden Blättern,
zum Panslavismus aufmuntert, während die armen gehorsamen. Kinder der Mutter
Slava um seine Füße lauern. Aber die gesammte russische Naiion weiß nichts
von den Idealen der andern slavischen Phantasten. Der Kaiser, so weit er sie
aus Berichten kennt, haßt und verachtet, seine Agenten, aber benutzen und ver¬
lachen sie. Wählen Sie von den Stumpfnäsigen, westindisch-schmntzgelbcn Osstcieren
im Innern Rußlands die klügsten und gebildetsten aus, und von je hundert dieser
strupphaarigen, zum Theil verlebten Junker werden wenigstens achtundneunzig bei
der Frage: "was ist Panslavismus?" Mund und Nasenlöcher in höchster Verlegen¬
heit öffnen.


Der gute Großvater! Im wievielten Himmel mag jetzt sein Sorgenstnhl
stehen! Denn im vorigen Herbst wollten ihn seine Beine und der Krückstock nicht
mehr nach Pettycoat-Lane tragen, das Leben hatte keinen Reiz mehr für ihn, er
segnete also seine Enkelchen, und ging eiligst hinüber, um weiter zu plaudern von
Canning, Princeß Charlotte und Georg dem Dritten. Ich fürchte nur, das ewige
Leben bringt ihm eine schmerzliche Cuttäuschung, denn es ist leicht möglich, daß
Altengland, von Oben gesehen, sich nicht so großartig ausnimmt, wie von der
Bank vor dem Tabaksladcn in Pettycoat-Lane.




Der Panslavismus in Rußland.



Es ist kein leichtes Ding, über Rußland zu schreiben. Man müßte immer,
um recht verstanden zu werden, vorher erst erklären, was man selbst darunter
versteht. Nennt man das düstere kleine Rclirirzimmer des Czaren Rußland,
so hat man anders zu urtheilen, als wenn mau den großen Vvlkösaal ohne
Dielen mit blauer Decke meint, denn diese beiden Rußland, das große im kleinen
Cabinet und das kleine vom weißen bis zum schwarzen Meer, sind in vielen Dingen
so verschieden, wie in keinem andern Land Cabinet und Volk sein können.

' Der Panslavismus hat seit einer Reihe von Jahren in Deutschland eine sehr
eifrige Betrachtung und Kritik erfahren. Von den Südslaven abgesehen, war man
in Deutschland nicht abgeneigt, anzunehmen, Rußland, welches doch eigentlich der
thatkräftige Körper des Panslavismus sein, und welches natürlicherweise darau
ein sehr angenehmes Interesse haben könne, müsse ganz und gar von der großen
Idee erfüllt sein.

Armes Nußland! welche schlechte Meinung haben wir närrische Deutsche von
Dir! Wir halten Dich — und zittern wohl gar dabei — für eine Art von ge¬
harnischtem Professor mit dein Buch der Offenbarung in der Hand, welcher majestä¬
tisch auf dein Stuhle sitzt, und wie der kluge Bauuö in den. fliegenden Blättern,
zum Panslavismus aufmuntert, während die armen gehorsamen. Kinder der Mutter
Slava um seine Füße lauern. Aber die gesammte russische Naiion weiß nichts
von den Idealen der andern slavischen Phantasten. Der Kaiser, so weit er sie
aus Berichten kennt, haßt und verachtet, seine Agenten, aber benutzen und ver¬
lachen sie. Wählen Sie von den Stumpfnäsigen, westindisch-schmntzgelbcn Osstcieren
im Innern Rußlands die klügsten und gebildetsten aus, und von je hundert dieser
strupphaarigen, zum Theil verlebten Junker werden wenigstens achtundneunzig bei
der Frage: „was ist Panslavismus?" Mund und Nasenlöcher in höchster Verlegen¬
heit öffnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/78>, abgerufen am 06.05.2024.