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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Der Begriff deö Panslavismus ist dein Russen beinahe so fremd als einem
Eisbär. Und einheimisch ist er eigentlich mir in unserm Deutschland und an den
Grenzen desselben. Böhmen war der Herd dieser Destillation, von dort aus
hatten sich diese Ideale bis in die Slovakei verbreitet, und bei den Südslaven,
wo sie sich sehr modificirten und in bestimmte politische Forderungen verwandelten,
eine politische Bedeutung genommen. Die Polen aber sind so wenig wie die Nüssen
davon ergriffen worden. Während in Böhmen, welches sich vor allen "verwünschten"
Staaten nach einer Entzauberung und Rückkehr zu seiner poetischen Urzeit sehnte,
die Geburt der grotesken Idee des Panslavismus mit großem Pomp und Jubel
gefeiert wurde, und wahrend man dort bereits annahm, daß der Slavismus in
Wirklichkeit ein Pan der Erde geworden sei, und wahrend mau in Deutschland
dem (Geschrei glaubte, an die große Glocke schlug und Sturm läutete, schüttelte
sich der patriotische Pole vor dem Panslavismus und selbst seine Emigration
empfand dabei ein gewisses Grauen. Leute wie Miekiewiez, deren Geister
in Hölle und Himmel, auf dein Monde und Uranus, in Feenschlössern und
Unterröcken der Engel zu Hanse sind, diese Art confnser Phantasten sind gewöhn¬
lich nur im Singular vorhanden, und stellen nichts mehr vor, als die Schwärmerei
von Einzelnen. Man thut sehr Unrecht, aus ihnen Schlüsse auf die Stimmungen
des Volkes zu machen. Als man dem al en Lelewel die Ideen deö Panslavismus
als neu geboren meldete und ihn zum Pathen einlud, entgegnete er: " es kommen
wirklich recht närrische Dinge zur Welt und es sollte mir Leid thun, wen" sich die
alte Wahrheit, daß der Mensch im Unglücke für Narrheit empfänglicher wird, an
meinen Landsleuten bewahrheiten sollte." Und dieser alte Lehrer von Mickiewiez
sprach das als ein echter Pole. Des Polen Sehnen und Trachten ist auf Isoli-
rung gerichtet, nicht aus Conglomeration mit verwandten Völkermassen; um der
Isolirung willen hat er mehr als ein Mal das Aeußerste gewagt. Wo er mit
dem Russen zusammensitzen soll, wird dem Polen unheimlich, das ist ein alter un-
vertilgbarer nationaler Haß; und seine ärmeren Vettern, z. B. die Slovaken
und Nuthencn, gelten ihm nnr, wenn sie sich als Polen betrachten; ihre slavische
Individualität als etwas Eigenthümliches und Besonderes gelten zu lassen, dünkt
ihm widerlich und abgeschmackt.

Und in Rußland? Ju den Hütten deö innern Rußlands, in Dörfern und
Städten ist das Wort Panslavismus so Völlig unbekannt, daß man die Männer
dreist überreden konnte, es sei eine Art neues französisches Backwerk. Zu einer
größeren Popularität würde das Wort aber sicherlich gelaugt sein, wenn wenig¬
stens irgend eine Classe ein egoistisches Interesse an dem Begriff und der Bedeu¬
tung desselben fände. Jedoch selbst in den meisten Palästen ist der Panslavismus
ein völlig ungekanntes Ding, selbst vornehme russische Staatsbeamte wissen nichts
von dem Gespenst, ja sie kennen nicht einmal das Wort. Eine kleine, noch nicht
einmal zwei Jahre alte Anecdote sei Zeugniß:


Der Begriff deö Panslavismus ist dein Russen beinahe so fremd als einem
Eisbär. Und einheimisch ist er eigentlich mir in unserm Deutschland und an den
Grenzen desselben. Böhmen war der Herd dieser Destillation, von dort aus
hatten sich diese Ideale bis in die Slovakei verbreitet, und bei den Südslaven,
wo sie sich sehr modificirten und in bestimmte politische Forderungen verwandelten,
eine politische Bedeutung genommen. Die Polen aber sind so wenig wie die Nüssen
davon ergriffen worden. Während in Böhmen, welches sich vor allen „verwünschten"
Staaten nach einer Entzauberung und Rückkehr zu seiner poetischen Urzeit sehnte,
die Geburt der grotesken Idee des Panslavismus mit großem Pomp und Jubel
gefeiert wurde, und wahrend man dort bereits annahm, daß der Slavismus in
Wirklichkeit ein Pan der Erde geworden sei, und wahrend mau in Deutschland
dem (Geschrei glaubte, an die große Glocke schlug und Sturm läutete, schüttelte
sich der patriotische Pole vor dem Panslavismus und selbst seine Emigration
empfand dabei ein gewisses Grauen. Leute wie Miekiewiez, deren Geister
in Hölle und Himmel, auf dein Monde und Uranus, in Feenschlössern und
Unterröcken der Engel zu Hanse sind, diese Art confnser Phantasten sind gewöhn¬
lich nur im Singular vorhanden, und stellen nichts mehr vor, als die Schwärmerei
von Einzelnen. Man thut sehr Unrecht, aus ihnen Schlüsse auf die Stimmungen
des Volkes zu machen. Als man dem al en Lelewel die Ideen deö Panslavismus
als neu geboren meldete und ihn zum Pathen einlud, entgegnete er: „ es kommen
wirklich recht närrische Dinge zur Welt und es sollte mir Leid thun, wen» sich die
alte Wahrheit, daß der Mensch im Unglücke für Narrheit empfänglicher wird, an
meinen Landsleuten bewahrheiten sollte." Und dieser alte Lehrer von Mickiewiez
sprach das als ein echter Pole. Des Polen Sehnen und Trachten ist auf Isoli-
rung gerichtet, nicht aus Conglomeration mit verwandten Völkermassen; um der
Isolirung willen hat er mehr als ein Mal das Aeußerste gewagt. Wo er mit
dem Russen zusammensitzen soll, wird dem Polen unheimlich, das ist ein alter un-
vertilgbarer nationaler Haß; und seine ärmeren Vettern, z. B. die Slovaken
und Nuthencn, gelten ihm nnr, wenn sie sich als Polen betrachten; ihre slavische
Individualität als etwas Eigenthümliches und Besonderes gelten zu lassen, dünkt
ihm widerlich und abgeschmackt.

Und in Rußland? Ju den Hütten deö innern Rußlands, in Dörfern und
Städten ist das Wort Panslavismus so Völlig unbekannt, daß man die Männer
dreist überreden konnte, es sei eine Art neues französisches Backwerk. Zu einer
größeren Popularität würde das Wort aber sicherlich gelaugt sein, wenn wenig¬
stens irgend eine Classe ein egoistisches Interesse an dem Begriff und der Bedeu¬
tung desselben fände. Jedoch selbst in den meisten Palästen ist der Panslavismus
ein völlig ungekanntes Ding, selbst vornehme russische Staatsbeamte wissen nichts
von dem Gespenst, ja sie kennen nicht einmal das Wort. Eine kleine, noch nicht
einmal zwei Jahre alte Anecdote sei Zeugniß:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/79>, abgerufen am 19.05.2024.