Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so gewaltige Kreuze, daß vor dieser Arbeit auch die letzten Scrupel seiner Seele
verschwinden müssen.

Betrachtet jetzt jenen armen Bauern, der demüthig zur Pforte hereinschleicht
und sich scheu umsieht in de" weihranchdnrchwölkten Hallen. Es ist des Glanzes,
der Pracht zu viel für den armen Schelm.

"Gott! -- denkt er -- was ist der Kaiser doch für ein gnädiger Herr, daß
er so schöne Kirchen bauen läßt sür uns arme Teufel! Gott segne den Kaiser!"

Und dann schleicht er schüchtern auf irgend ein Heiligenbild los, wo der goldene
Grund und die braunen Farben am grellsten contrastiren, und wirft sich nieder
davor und schlägt mit der Stiru die Erde, daß die laugen Haare ihm weit über's
Gesicht fallen, und er mühet sich so ab im Körpcrverbeugen und riesigen Kreuz¬
schlagen, bis er nicht mehr kann vor Erschöpfung. Denn je ärmer der Mensch
in Rußland, desto größer das Kreuz, das er schlägt und trägt.




Die Entziehung des Postdebits vom Gesichtspunkte
englischen Rechts.

-- Außer dem, was im Bereich der Civil ufte und deren Verwendung
liegt, hat die englische Krone nicht das Recht, irgend eine administrative Aende-
rung ans eigener Machtvollkommenheit vorzunehmen. In allen solchen Ange¬
legenheiten muß die Legislatur vernommen werden.

Was die Postadministration betrifft, so finden wir, daß dieser Zweig der
Staatsverwaltung (wie jeder andere) einzig und allein durch die Beitrage, Steuern
des Volkes erhalten wird. Es ist das 1/x der Abgaben von siebenundzwanzig
Millionen Britten, das es möglich macht, jeden Brief von einem Orte zum
andern zu schaffen. Wollte man einwenden, die Post wäre nur in England oder
irgendwo anders ein sich selbst erhaltendes Institut, so wird die Sache noch
schlimmer, denn dann ist es ein Mut stock Company, und Jeder, der seine Pence
oder seine Pfund Sterling beiträgt, ist vo ipso ein Partner. Darum ist es
auch dem englischen Minister" selbst in den ärgsten Zeiten nie eingefallen, irgend
einen Theil der Postspedition als ein Princip des Privilegiums, der gouvernemen-
talen Begünstigung herauszustellen. Um das zu thun, müßte man vorher das
Volk in gewisse Massen und Kategorien eintheilen, z. B. Christen, Deisten, Pan-
theisten, Constitutionclle, Demokraten ze., und bestimmen, welche im Allgemeinen
von den Rechten oder gewissen Rechten des Staatsbürgers ausgeschlossen sein
sollen. Aber so lauge das Volk allgemeine Steuern zahlt, kann man keinen


33*

so gewaltige Kreuze, daß vor dieser Arbeit auch die letzten Scrupel seiner Seele
verschwinden müssen.

Betrachtet jetzt jenen armen Bauern, der demüthig zur Pforte hereinschleicht
und sich scheu umsieht in de» weihranchdnrchwölkten Hallen. Es ist des Glanzes,
der Pracht zu viel für den armen Schelm.

„Gott! — denkt er — was ist der Kaiser doch für ein gnädiger Herr, daß
er so schöne Kirchen bauen läßt sür uns arme Teufel! Gott segne den Kaiser!"

Und dann schleicht er schüchtern auf irgend ein Heiligenbild los, wo der goldene
Grund und die braunen Farben am grellsten contrastiren, und wirft sich nieder
davor und schlägt mit der Stiru die Erde, daß die laugen Haare ihm weit über's
Gesicht fallen, und er mühet sich so ab im Körpcrverbeugen und riesigen Kreuz¬
schlagen, bis er nicht mehr kann vor Erschöpfung. Denn je ärmer der Mensch
in Rußland, desto größer das Kreuz, das er schlägt und trägt.




Die Entziehung des Postdebits vom Gesichtspunkte
englischen Rechts.

— Außer dem, was im Bereich der Civil ufte und deren Verwendung
liegt, hat die englische Krone nicht das Recht, irgend eine administrative Aende-
rung ans eigener Machtvollkommenheit vorzunehmen. In allen solchen Ange¬
legenheiten muß die Legislatur vernommen werden.

Was die Postadministration betrifft, so finden wir, daß dieser Zweig der
Staatsverwaltung (wie jeder andere) einzig und allein durch die Beitrage, Steuern
des Volkes erhalten wird. Es ist das 1/x der Abgaben von siebenundzwanzig
Millionen Britten, das es möglich macht, jeden Brief von einem Orte zum
andern zu schaffen. Wollte man einwenden, die Post wäre nur in England oder
irgendwo anders ein sich selbst erhaltendes Institut, so wird die Sache noch
schlimmer, denn dann ist es ein Mut stock Company, und Jeder, der seine Pence
oder seine Pfund Sterling beiträgt, ist vo ipso ein Partner. Darum ist es
auch dem englischen Minister» selbst in den ärgsten Zeiten nie eingefallen, irgend
einen Theil der Postspedition als ein Princip des Privilegiums, der gouvernemen-
talen Begünstigung herauszustellen. Um das zu thun, müßte man vorher das
Volk in gewisse Massen und Kategorien eintheilen, z. B. Christen, Deisten, Pan-
theisten, Constitutionclle, Demokraten ze., und bestimmen, welche im Allgemeinen
von den Rechten oder gewissen Rechten des Staatsbürgers ausgeschlossen sein
sollen. Aber so lauge das Volk allgemeine Steuern zahlt, kann man keinen


33*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85850"/>
            <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915"> so gewaltige Kreuze, daß vor dieser Arbeit auch die letzten Scrupel seiner Seele<lb/>
verschwinden müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_917"> Betrachtet jetzt jenen armen Bauern, der demüthig zur Pforte hereinschleicht<lb/>
und sich scheu umsieht in de» weihranchdnrchwölkten Hallen. Es ist des Glanzes,<lb/>
der Pracht zu viel für den armen Schelm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_918"> &#x201E;Gott! &#x2014; denkt er &#x2014; was ist der Kaiser doch für ein gnädiger Herr, daß<lb/>
er so schöne Kirchen bauen läßt sür uns arme Teufel! Gott segne den Kaiser!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_919"> Und dann schleicht er schüchtern auf irgend ein Heiligenbild los, wo der goldene<lb/>
Grund und die braunen Farben am grellsten contrastiren, und wirft sich nieder<lb/>
davor und schlägt mit der Stiru die Erde, daß die laugen Haare ihm weit über's<lb/>
Gesicht fallen, und er mühet sich so ab im Körpcrverbeugen und riesigen Kreuz¬<lb/>
schlagen, bis er nicht mehr kann vor Erschöpfung. Denn je ärmer der Mensch<lb/>
in Rußland, desto größer das Kreuz, das er schlägt und trägt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Entziehung des Postdebits vom Gesichtspunkte<lb/>
englischen Rechts.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_920"> &#x2014; Außer dem, was im Bereich der Civil ufte und deren Verwendung<lb/>
liegt, hat die englische Krone nicht das Recht, irgend eine administrative Aende-<lb/>
rung ans eigener Machtvollkommenheit vorzunehmen. In allen solchen Ange¬<lb/>
legenheiten muß die Legislatur vernommen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> Was die Postadministration betrifft, so finden wir, daß dieser Zweig der<lb/>
Staatsverwaltung (wie jeder andere) einzig und allein durch die Beitrage, Steuern<lb/>
des Volkes erhalten wird. Es ist das 1/x der Abgaben von siebenundzwanzig<lb/>
Millionen Britten, das es möglich macht, jeden Brief von einem Orte zum<lb/>
andern zu schaffen. Wollte man einwenden, die Post wäre nur in England oder<lb/>
irgendwo anders ein sich selbst erhaltendes Institut, so wird die Sache noch<lb/>
schlimmer, denn dann ist es ein Mut stock Company, und Jeder, der seine Pence<lb/>
oder seine Pfund Sterling beiträgt, ist vo ipso ein Partner. Darum ist es<lb/>
auch dem englischen Minister» selbst in den ärgsten Zeiten nie eingefallen, irgend<lb/>
einen Theil der Postspedition als ein Princip des Privilegiums, der gouvernemen-<lb/>
talen Begünstigung herauszustellen. Um das zu thun, müßte man vorher das<lb/>
Volk in gewisse Massen und Kategorien eintheilen, z. B. Christen, Deisten, Pan-<lb/>
theisten, Constitutionclle, Demokraten ze., und bestimmen, welche im Allgemeinen<lb/>
von den Rechten oder gewissen Rechten des Staatsbürgers ausgeschlossen sein<lb/>
sollen. Aber so lauge das Volk allgemeine Steuern zahlt, kann man keinen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] so gewaltige Kreuze, daß vor dieser Arbeit auch die letzten Scrupel seiner Seele verschwinden müssen. Betrachtet jetzt jenen armen Bauern, der demüthig zur Pforte hereinschleicht und sich scheu umsieht in de» weihranchdnrchwölkten Hallen. Es ist des Glanzes, der Pracht zu viel für den armen Schelm. „Gott! — denkt er — was ist der Kaiser doch für ein gnädiger Herr, daß er so schöne Kirchen bauen läßt sür uns arme Teufel! Gott segne den Kaiser!" Und dann schleicht er schüchtern auf irgend ein Heiligenbild los, wo der goldene Grund und die braunen Farben am grellsten contrastiren, und wirft sich nieder davor und schlägt mit der Stiru die Erde, daß die laugen Haare ihm weit über's Gesicht fallen, und er mühet sich so ab im Körpcrverbeugen und riesigen Kreuz¬ schlagen, bis er nicht mehr kann vor Erschöpfung. Denn je ärmer der Mensch in Rußland, desto größer das Kreuz, das er schlägt und trägt. Die Entziehung des Postdebits vom Gesichtspunkte englischen Rechts. — Außer dem, was im Bereich der Civil ufte und deren Verwendung liegt, hat die englische Krone nicht das Recht, irgend eine administrative Aende- rung ans eigener Machtvollkommenheit vorzunehmen. In allen solchen Ange¬ legenheiten muß die Legislatur vernommen werden. Was die Postadministration betrifft, so finden wir, daß dieser Zweig der Staatsverwaltung (wie jeder andere) einzig und allein durch die Beitrage, Steuern des Volkes erhalten wird. Es ist das 1/x der Abgaben von siebenundzwanzig Millionen Britten, das es möglich macht, jeden Brief von einem Orte zum andern zu schaffen. Wollte man einwenden, die Post wäre nur in England oder irgendwo anders ein sich selbst erhaltendes Institut, so wird die Sache noch schlimmer, denn dann ist es ein Mut stock Company, und Jeder, der seine Pence oder seine Pfund Sterling beiträgt, ist vo ipso ein Partner. Darum ist es auch dem englischen Minister» selbst in den ärgsten Zeiten nie eingefallen, irgend einen Theil der Postspedition als ein Princip des Privilegiums, der gouvernemen- talen Begünstigung herauszustellen. Um das zu thun, müßte man vorher das Volk in gewisse Massen und Kategorien eintheilen, z. B. Christen, Deisten, Pan- theisten, Constitutionclle, Demokraten ze., und bestimmen, welche im Allgemeinen von den Rechten oder gewissen Rechten des Staatsbürgers ausgeschlossen sein sollen. Aber so lauge das Volk allgemeine Steuern zahlt, kann man keinen 33*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/267>, abgerufen am 07.05.2024.