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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Band, das sie Alle zusammenhält: die byzantinische Kirche! Wer nicht hineingehört,
wird hineingezwängt, und ehe das kommende Jahrhundert beginnt, werden alle
Bewohner Rußlands Eines Glaubens sein.

Welch eine wunderbare Fügung des Schicksals, daß Nußland, dessen Re-
gierungsprincip den diametralen Gegensatz christlicher Satzung bildet, gerade das
Christenthum zum Eck- und Schlußstein seiner Macht gestalten muß! Und eine
nicht minder wundersame Fügung des Schicksals ist es, daß der Czar überall,
wohin er seiue weitausgreifenden Arme streckt, christliche Anhaltspunkte findet, an
welche er die Schicksalsfaden der von ihm künstlich zerstreuten Bekenner des
Islam knüpfen kann: Armenien zu den Füßen des Ararat, und Georgien zu denen
des Kaukasus!

Welcher Art aber ist dieses Christenthum, das so viele Millionen Menschen
zu einem großen Ganzen zusammenschmilzt und ihnen als Triebfeder dient zu
Kraftäußerungen, welche über kurz oder lang der alten Welt eine neue Gestaltung
geben werden?

Folgt mir einen Moment in das russische Mutterland, um einen flüchtigen
Blick auf die dort herrschenden religiösen Zustände zu werfen.

Seht jenen armen Soldaten, der, müde und hungrig von: langen Marsche,
erst sein Gebet verrichtet, bevor er Speise zu sich nimmt und die Ruhe sucht.

Er zieht ein kleines Heiligenbild ans der Tasche, spuckt darauf und wischt
es ab mit dem Aermel seines Rockes; dann setzt er es nieder auf die Erde,
kniet hin davor und bekreuzigt sich, und küßt es in frommer Andacht.

Oder tretet Sonntags mit mir in eine der düstern, bildergeschmückten russischem
Kirchen. Wenn nicht schon die Kleider der Anwesenden die Standesunterschiede
bezeichneten, Ihr würdet diese Unterschiede erkennen in der Art und Weise, wie ein
Jeder sein Kreuz schlägt.

Betrachtet zunächst jenen vornehmen Herrn, der vor dem wunderthätigen
kasan'schen Muttergottesbilde stehen bleibt, sich leise verbeugt und andeutungsweise
bekreuzigt. Jus Deutsche übersetzt würde die Mienensprache dieses Herrn etwa
folgendermaßen lauten: "Ich weiß, daß dies Alles nur ein frommer Unsinn ist,
aber man darf den Leuten kein Aergerniß geben, sonst geht alles Ansehen verloren.
Würde das Volk sich länger für uns Plagen, wenn es den Anweisungen nicht
mehr traute, die wir ihm auf die Freuden des Himmels ausstellen lassen!"

Nun seht jenen kaftanbekleidcten, feisten Kaufmann, der verschmitzten Blickes
und sichern Schrittes ans den Priester losgeht, um seiue Seele von den Schacher¬
sünden der vergangenen Woche befreien zu lassen.

Er kennt den Priester und weiß, daß ein gutes Stück Geld bei diesem eine
gute Stätte siudet; darum geht er so sicher, in dem Bewußtsein, die ganze Sünden¬
rechnung in Bausch und Bogen abmachen zu können. Und wie die Absolution
vorüber ist, stellt er sich vor das wunderthätigste Heiligenbild hin und schlägt


Band, das sie Alle zusammenhält: die byzantinische Kirche! Wer nicht hineingehört,
wird hineingezwängt, und ehe das kommende Jahrhundert beginnt, werden alle
Bewohner Rußlands Eines Glaubens sein.

Welch eine wunderbare Fügung des Schicksals, daß Nußland, dessen Re-
gierungsprincip den diametralen Gegensatz christlicher Satzung bildet, gerade das
Christenthum zum Eck- und Schlußstein seiner Macht gestalten muß! Und eine
nicht minder wundersame Fügung des Schicksals ist es, daß der Czar überall,
wohin er seiue weitausgreifenden Arme streckt, christliche Anhaltspunkte findet, an
welche er die Schicksalsfaden der von ihm künstlich zerstreuten Bekenner des
Islam knüpfen kann: Armenien zu den Füßen des Ararat, und Georgien zu denen
des Kaukasus!

Welcher Art aber ist dieses Christenthum, das so viele Millionen Menschen
zu einem großen Ganzen zusammenschmilzt und ihnen als Triebfeder dient zu
Kraftäußerungen, welche über kurz oder lang der alten Welt eine neue Gestaltung
geben werden?

Folgt mir einen Moment in das russische Mutterland, um einen flüchtigen
Blick auf die dort herrschenden religiösen Zustände zu werfen.

Seht jenen armen Soldaten, der, müde und hungrig von: langen Marsche,
erst sein Gebet verrichtet, bevor er Speise zu sich nimmt und die Ruhe sucht.

Er zieht ein kleines Heiligenbild ans der Tasche, spuckt darauf und wischt
es ab mit dem Aermel seines Rockes; dann setzt er es nieder auf die Erde,
kniet hin davor und bekreuzigt sich, und küßt es in frommer Andacht.

Oder tretet Sonntags mit mir in eine der düstern, bildergeschmückten russischem
Kirchen. Wenn nicht schon die Kleider der Anwesenden die Standesunterschiede
bezeichneten, Ihr würdet diese Unterschiede erkennen in der Art und Weise, wie ein
Jeder sein Kreuz schlägt.

Betrachtet zunächst jenen vornehmen Herrn, der vor dem wunderthätigen
kasan'schen Muttergottesbilde stehen bleibt, sich leise verbeugt und andeutungsweise
bekreuzigt. Jus Deutsche übersetzt würde die Mienensprache dieses Herrn etwa
folgendermaßen lauten: „Ich weiß, daß dies Alles nur ein frommer Unsinn ist,
aber man darf den Leuten kein Aergerniß geben, sonst geht alles Ansehen verloren.
Würde das Volk sich länger für uns Plagen, wenn es den Anweisungen nicht
mehr traute, die wir ihm auf die Freuden des Himmels ausstellen lassen!"

Nun seht jenen kaftanbekleidcten, feisten Kaufmann, der verschmitzten Blickes
und sichern Schrittes ans den Priester losgeht, um seiue Seele von den Schacher¬
sünden der vergangenen Woche befreien zu lassen.

Er kennt den Priester und weiß, daß ein gutes Stück Geld bei diesem eine
gute Stätte siudet; darum geht er so sicher, in dem Bewußtsein, die ganze Sünden¬
rechnung in Bausch und Bogen abmachen zu können. Und wie die Absolution
vorüber ist, stellt er sich vor das wunderthätigste Heiligenbild hin und schlägt


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[0266] Band, das sie Alle zusammenhält: die byzantinische Kirche! Wer nicht hineingehört, wird hineingezwängt, und ehe das kommende Jahrhundert beginnt, werden alle Bewohner Rußlands Eines Glaubens sein. Welch eine wunderbare Fügung des Schicksals, daß Nußland, dessen Re- gierungsprincip den diametralen Gegensatz christlicher Satzung bildet, gerade das Christenthum zum Eck- und Schlußstein seiner Macht gestalten muß! Und eine nicht minder wundersame Fügung des Schicksals ist es, daß der Czar überall, wohin er seiue weitausgreifenden Arme streckt, christliche Anhaltspunkte findet, an welche er die Schicksalsfaden der von ihm künstlich zerstreuten Bekenner des Islam knüpfen kann: Armenien zu den Füßen des Ararat, und Georgien zu denen des Kaukasus! Welcher Art aber ist dieses Christenthum, das so viele Millionen Menschen zu einem großen Ganzen zusammenschmilzt und ihnen als Triebfeder dient zu Kraftäußerungen, welche über kurz oder lang der alten Welt eine neue Gestaltung geben werden? Folgt mir einen Moment in das russische Mutterland, um einen flüchtigen Blick auf die dort herrschenden religiösen Zustände zu werfen. Seht jenen armen Soldaten, der, müde und hungrig von: langen Marsche, erst sein Gebet verrichtet, bevor er Speise zu sich nimmt und die Ruhe sucht. Er zieht ein kleines Heiligenbild ans der Tasche, spuckt darauf und wischt es ab mit dem Aermel seines Rockes; dann setzt er es nieder auf die Erde, kniet hin davor und bekreuzigt sich, und küßt es in frommer Andacht. Oder tretet Sonntags mit mir in eine der düstern, bildergeschmückten russischem Kirchen. Wenn nicht schon die Kleider der Anwesenden die Standesunterschiede bezeichneten, Ihr würdet diese Unterschiede erkennen in der Art und Weise, wie ein Jeder sein Kreuz schlägt. Betrachtet zunächst jenen vornehmen Herrn, der vor dem wunderthätigen kasan'schen Muttergottesbilde stehen bleibt, sich leise verbeugt und andeutungsweise bekreuzigt. Jus Deutsche übersetzt würde die Mienensprache dieses Herrn etwa folgendermaßen lauten: „Ich weiß, daß dies Alles nur ein frommer Unsinn ist, aber man darf den Leuten kein Aergerniß geben, sonst geht alles Ansehen verloren. Würde das Volk sich länger für uns Plagen, wenn es den Anweisungen nicht mehr traute, die wir ihm auf die Freuden des Himmels ausstellen lassen!" Nun seht jenen kaftanbekleidcten, feisten Kaufmann, der verschmitzten Blickes und sichern Schrittes ans den Priester losgeht, um seiue Seele von den Schacher¬ sünden der vergangenen Woche befreien zu lassen. Er kennt den Priester und weiß, daß ein gutes Stück Geld bei diesem eine gute Stätte siudet; darum geht er so sicher, in dem Bewußtsein, die ganze Sünden¬ rechnung in Bausch und Bogen abmachen zu können. Und wie die Absolution vorüber ist, stellt er sich vor das wunderthätigste Heiligenbild hin und schlägt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/266>, abgerufen am 19.05.2024.