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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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mung der Ungewißheit, des Gläubig- oder Jnspirirtseins, an deren Stelle eine
ruhige und klare, der Wissenschaft verwandte Überzeugung tritt. Deun der
wesentliche Inhalt des alten Glaubens, der eine höhere und moralische Welt¬
ordnung fordert, geht dabei ebensowenig verloren, als die Ideen des Schönen,
Erhabenen und Poetischen, welche der Künstler sucht. Vielmehr strömen diese
aus der neuern Naturwissenschaft mit viel größerer Fülle und Tiefe hervor. Es
hat ja ohnehin niemals eine Religion oder Kunst oder Poesie gegeben, welche
nicht ans Naturanschauungen beruht halte: wie soll oder kann es denn möglich
sein, daß eine geläuterte, bereicherte und tiefere Naturkenntniß das Gegentheil
davon bewirke, daß sie die Neligionsgefühle nicht erhabener, die Phantasie nicht
reicher, die Kunst und das Gemüth nicht edler machen sollte?

Oersted selbst und sein Werk geben davon das beste Zeugniß und Bei¬
spiel. Obschon er weit weniger theologisch ist, als sein Vorgänger Humphry
Dapp, und obschon er (wie Humboldt) im Grunde weit radicaler denkt, als
es seine Ausdrucksweise und seine amtliche Stellung vermuthen lassen, so ist doch
die Art und Weise, wie Oersted das Thema, daß die ganze Körper¬
welt durch g eistigt und daß das ganze Dasein ein Vernnuftreich ist,
in einer Anzahl von Gesprächen und Reden durchspricht, so sinnig und gemäch¬
lich, so reich an wahrhaft poetischen und erhebenden Auffassungen, daß er
namentlich vou gläubigen und dichterischen Gemüthern mit Erbauung und Er¬
hebung gelesen werden wird. Der ungemeine Anklang, den das Buch bei dem
größern Publicum der gebildeten Stände gesunden hat (in wenig Monaten wurde
H. E. Richter. eine zweite Auflage nöthig), ist dafür der beste Beweis.




Französisches Theater.

Der jüngere Crebillon, unter den frivolen französischen Novellisten des vorigen
Jahrhunderts einer der frivolsten, hatte seiner Zeit ein schlüpfriges Mährchen ge¬
schrieben: das Sopha. Der Inhalt desselben ist folgender: Ein liederliches
Genie, Namens Mamun, schleicht sich in das Harem des Sultans Schabababam
ein und wird zur Strafe von deck dienstbaren Genius des Sultans mit der
schrecklichen Verwünschung belegt: er soll sich nach der Reihe in verschiedene
Sopha's, Canapv's, Lehnstühle u. s. w. verwandeln, bis er in dieser Form Zeuge
eines ersten Kusses ist, den ein junges unschuldiges Mädchen ihrem Geliebten gibt.
Man kann sich denken, was sür Scenen dabei Herauskommen. Dieses frivole
Mährchen einer frivolen Zeit hat die noch viel frivolere neufranzösische Romantik
auf das Theater gebracht. Es ist aufgeführt worden unter dem Titel: le LoMa,


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mung der Ungewißheit, des Gläubig- oder Jnspirirtseins, an deren Stelle eine
ruhige und klare, der Wissenschaft verwandte Überzeugung tritt. Deun der
wesentliche Inhalt des alten Glaubens, der eine höhere und moralische Welt¬
ordnung fordert, geht dabei ebensowenig verloren, als die Ideen des Schönen,
Erhabenen und Poetischen, welche der Künstler sucht. Vielmehr strömen diese
aus der neuern Naturwissenschaft mit viel größerer Fülle und Tiefe hervor. Es
hat ja ohnehin niemals eine Religion oder Kunst oder Poesie gegeben, welche
nicht ans Naturanschauungen beruht halte: wie soll oder kann es denn möglich
sein, daß eine geläuterte, bereicherte und tiefere Naturkenntniß das Gegentheil
davon bewirke, daß sie die Neligionsgefühle nicht erhabener, die Phantasie nicht
reicher, die Kunst und das Gemüth nicht edler machen sollte?

Oersted selbst und sein Werk geben davon das beste Zeugniß und Bei¬
spiel. Obschon er weit weniger theologisch ist, als sein Vorgänger Humphry
Dapp, und obschon er (wie Humboldt) im Grunde weit radicaler denkt, als
es seine Ausdrucksweise und seine amtliche Stellung vermuthen lassen, so ist doch
die Art und Weise, wie Oersted das Thema, daß die ganze Körper¬
welt durch g eistigt und daß das ganze Dasein ein Vernnuftreich ist,
in einer Anzahl von Gesprächen und Reden durchspricht, so sinnig und gemäch¬
lich, so reich an wahrhaft poetischen und erhebenden Auffassungen, daß er
namentlich vou gläubigen und dichterischen Gemüthern mit Erbauung und Er¬
hebung gelesen werden wird. Der ungemeine Anklang, den das Buch bei dem
größern Publicum der gebildeten Stände gesunden hat (in wenig Monaten wurde
H. E. Richter. eine zweite Auflage nöthig), ist dafür der beste Beweis.




Französisches Theater.

Der jüngere Crebillon, unter den frivolen französischen Novellisten des vorigen
Jahrhunderts einer der frivolsten, hatte seiner Zeit ein schlüpfriges Mährchen ge¬
schrieben: das Sopha. Der Inhalt desselben ist folgender: Ein liederliches
Genie, Namens Mamun, schleicht sich in das Harem des Sultans Schabababam
ein und wird zur Strafe von deck dienstbaren Genius des Sultans mit der
schrecklichen Verwünschung belegt: er soll sich nach der Reihe in verschiedene
Sopha's, Canapv's, Lehnstühle u. s. w. verwandeln, bis er in dieser Form Zeuge
eines ersten Kusses ist, den ein junges unschuldiges Mädchen ihrem Geliebten gibt.
Man kann sich denken, was sür Scenen dabei Herauskommen. Dieses frivole
Mährchen einer frivolen Zeit hat die noch viel frivolere neufranzösische Romantik
auf das Theater gebracht. Es ist aufgeführt worden unter dem Titel: le LoMa,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/347>, abgerufen am 07.05.2024.