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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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möglich war, voll Neuem die Geschäfte anvertraut hatte. Dazu war aber der
Fortbestand der Mittelpartei, die sich unbedingt an seine mächtige, gebietende
Persönlichkeit anschloß, nothwendig. Wie jetzt die Sachen stehen,' werden die
bisherigen Peeliten sich zerspalten, jedes Mitglied der Partei wird seineu Sym¬
pathien folgen. Die Whigs, die sich bisher auf ihn stützten und eigentlich im
Wesentlichen von ihm bestimmt wurden, werden nun ihre Stütze bei den Radi¬
kalen suchen müssen, denn aus sich selber zu stehen, sind sie zu schwach. Das
wird so lange fortgehen, bis die Letzter" einem praktischen Staatsmann nach Peel'-
sehen Schlage in die Hände fallen, der die bisher uur in abstracten Lärm aus¬
gesprochenen Principien ans concrete Weise anwendet.

Ein vergleichender Blick auf beide Männer zeigt am deutlichsten, daß Po¬
pularität uicht blos auf demagogischen Wege zu erlangen sei. Der König hat
mit ängstlicher Sorgfalt jeden Schein eines eigenen, harten Willens zu vermei¬
den gesucht; er hat in seinen Formen Jedem geschmeichelt, den er irgend gewin¬
nen wollte; er hat allerdings regiert, aber nickt durch festen Willen, sondern
durch Intriguen. Peel war eine despotische Natur, wie jeder praktische Mann;
stolz, gebieterisch, verschlossen in seinen Formen; alle Augenblicke war seine eigene
Partei geneigt, sich gegen ihn zu empören. Aber selbst in dem Haß seiner Feinde
sprach sich die Achtung vor seiner Tüchtigkeit aus; und in jener Zeit, wo die
von ihm verrathene Aristokratie mit einem wahrhaft fanatischen Wuthgcheul über
ihn herfiel, und er mit der kalten Ironie, die das Bewußtsein überlegener Bil¬
dung, und mit der ehernen Entschlossenheit, die das Bewußtsein eines uubieg/
samen Willens erzeugt!, dem Sturm entgegentrat, da stand er beneidenswerther
da, als der König der Franzosen, wenn er durch scheu lächelnde Herablassung
das Beifallsklatschen des Pariser Pöbels erflehte. Dem Tode deö einen folgt
flüchtiges Mitgefühl, um das Grab des Andern stehen selbst seine Feinde mit Er¬
schütterung und beugen unfreiwillig ihr Haupt vor den Resten des mächtigen
Willens, den sie haßten, dem sie aber nicht widerstanden.




Bemerkungen über Rachel und das Spiel des
VI"^"tre dran^ as".

Das französische Volk steht zu seiner Sprache in einem ganz andern Ver-
hältniß, als die deutschredenden Stämme zu der ihrigen. Die Substanz seiner
Wörter ist nicht ans dem Grund seines eigenen Lebens herausgewachsen, sondern
ihm von einem fremden Volk überkommen. Als dnrch die Völkerwanderung die
römische Sprache zerschlagen war und celtische Gewandtheit und deutsche Bildungs-
kraft die lateinischen Klänge auf ihren Zungen abgeschliffen und zugespitzt hatten,


möglich war, voll Neuem die Geschäfte anvertraut hatte. Dazu war aber der
Fortbestand der Mittelpartei, die sich unbedingt an seine mächtige, gebietende
Persönlichkeit anschloß, nothwendig. Wie jetzt die Sachen stehen,' werden die
bisherigen Peeliten sich zerspalten, jedes Mitglied der Partei wird seineu Sym¬
pathien folgen. Die Whigs, die sich bisher auf ihn stützten und eigentlich im
Wesentlichen von ihm bestimmt wurden, werden nun ihre Stütze bei den Radi¬
kalen suchen müssen, denn aus sich selber zu stehen, sind sie zu schwach. Das
wird so lange fortgehen, bis die Letzter» einem praktischen Staatsmann nach Peel'-
sehen Schlage in die Hände fallen, der die bisher uur in abstracten Lärm aus¬
gesprochenen Principien ans concrete Weise anwendet.

Ein vergleichender Blick auf beide Männer zeigt am deutlichsten, daß Po¬
pularität uicht blos auf demagogischen Wege zu erlangen sei. Der König hat
mit ängstlicher Sorgfalt jeden Schein eines eigenen, harten Willens zu vermei¬
den gesucht; er hat in seinen Formen Jedem geschmeichelt, den er irgend gewin¬
nen wollte; er hat allerdings regiert, aber nickt durch festen Willen, sondern
durch Intriguen. Peel war eine despotische Natur, wie jeder praktische Mann;
stolz, gebieterisch, verschlossen in seinen Formen; alle Augenblicke war seine eigene
Partei geneigt, sich gegen ihn zu empören. Aber selbst in dem Haß seiner Feinde
sprach sich die Achtung vor seiner Tüchtigkeit aus; und in jener Zeit, wo die
von ihm verrathene Aristokratie mit einem wahrhaft fanatischen Wuthgcheul über
ihn herfiel, und er mit der kalten Ironie, die das Bewußtsein überlegener Bil¬
dung, und mit der ehernen Entschlossenheit, die das Bewußtsein eines uubieg/
samen Willens erzeugt!, dem Sturm entgegentrat, da stand er beneidenswerther
da, als der König der Franzosen, wenn er durch scheu lächelnde Herablassung
das Beifallsklatschen des Pariser Pöbels erflehte. Dem Tode deö einen folgt
flüchtiges Mitgefühl, um das Grab des Andern stehen selbst seine Feinde mit Er¬
schütterung und beugen unfreiwillig ihr Haupt vor den Resten des mächtigen
Willens, den sie haßten, dem sie aber nicht widerstanden.




Bemerkungen über Rachel und das Spiel des
VI»^»tre dran^ as«.

Das französische Volk steht zu seiner Sprache in einem ganz andern Ver-
hältniß, als die deutschredenden Stämme zu der ihrigen. Die Substanz seiner
Wörter ist nicht ans dem Grund seines eigenen Lebens herausgewachsen, sondern
ihm von einem fremden Volk überkommen. Als dnrch die Völkerwanderung die
römische Sprache zerschlagen war und celtische Gewandtheit und deutsche Bildungs-
kraft die lateinischen Klänge auf ihren Zungen abgeschliffen und zugespitzt hatten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/416>, abgerufen am 07.05.2024.