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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die russischen Findlinge in Polen.

Gestatten Sie mir, Ihnen diesmal die innere Politik des Czarenreiches an
einer geheimnißreichen Stelle zu zeigen. Ich werde so viel als möglich vermeiden
indiscret zu sein. Verschmähen Sie es deshalb nicht, mit mir vor das Spital
"Kindlein Jesus" in Warschau zu treten, eine katholische klösterliche Wohl-
thätigkeitsanstalt, die an äußerer Großartigkeit in Polen ein Seitenstück nicht hat.
Das Hauptgebäude nimmt eine ganze Straßenseite ein und die Menge der Hinter¬
gebäude, welche sich ans dem der Anstalt zugehörigen Ungeheuern Räume zwischen
der Kreuz-, Masuren- und Gärtncrstraße befinden, bilden ein Ganzes, welches für
sich mit mehr Recht den Namen einer Stadt in Anspruch nehmen könnte, als
mancher Mittelpunkt eines Provinzialkreises.

Die Anstalt enthält außer dem Klostergebäude und der Kirche ein Spital,
eine Irrenanstalt für weibliche Geisteskranke und verschiedene andere wohlthätige
Institute. Hier über das Findelhaus derselben.

Als ich mich zum ersten Male, bei meiner ersten Reise durch Polen, in
dieselbe führen ließ, befand sich diese Anstalt noch in ihren alten Verhältnissen.
Sie stand unter der Direction der Priesterschaft der Kreuzkirche, ernährte noch
nicht 300 kleine Findlinge, wurde durch ein geistliches Bureau verwaltet, und die
barmherzigen Schwestern hatten sehr ausgedehnte Rechte in Betreff der Verwen¬
dung des Vermögens. Das Vermögen der Anstalt war ein fast unermeßliches.
Das Grnndcapital, hervorgequollen uuter deu Stufen des östreichischen Kaiser-
thrvnes, hatte sich nicht verbrüdert-, sondern vertausendfacht. Zumeist hatte die
Unstttlichkeit der Vornehme" dies bewirkt. Die freundliche alte barmherzige
Schwester, welcher ich mich, bevor ich die Schwelle des zweiten Thores über¬
schreiten durste, vorstellen mußte und durch eine umständliche Legitimation und den
Polnischen Handkuß zu Gnaden empfahl, versicherte mich mit mehr Plauderhaftigkeit
als Zartgefühl, daß oftmals die Anstalt dnrch ein einziges Kind um viele Tausende
von Gulden bereichert worden sei. So sei in demselben Jahre, in welchem sie ihr
Gelübde abgelegt habe, von einem Ungenannten ein kleiner Knabe, in einer Schachtel
wohl verwahrt, eingeschickt worden, unter dessen Bettchen sich 60,000 Gulden
und ein Schreiben befunden habe, nach welchem das Findelhaus die Hälfte für
sich, die Hälfte für den Knaben bewahren solle, jedoch nur unter der Bedingung,
daß er sich mit dieser Summe in der Wojewodschaft Podlachien ankaufe. Den
Knaben zu zeichnen, hatte der Einsender ausdrücklich verboten, dagegen eifrig ge¬
boten, ihn nicht zu verwechseln. Dem ähnlich, erzählte die alte Dame, sei von
dem Grafen P. der Anstalt ein Kind mit einem Geschenk von 3000 Ducaten, von
einem Herrn aus Niederpoleu ein kleines, fünf Tage altes Mädchen mit einem


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Die russischen Findlinge in Polen.

Gestatten Sie mir, Ihnen diesmal die innere Politik des Czarenreiches an
einer geheimnißreichen Stelle zu zeigen. Ich werde so viel als möglich vermeiden
indiscret zu sein. Verschmähen Sie es deshalb nicht, mit mir vor das Spital
„Kindlein Jesus" in Warschau zu treten, eine katholische klösterliche Wohl-
thätigkeitsanstalt, die an äußerer Großartigkeit in Polen ein Seitenstück nicht hat.
Das Hauptgebäude nimmt eine ganze Straßenseite ein und die Menge der Hinter¬
gebäude, welche sich ans dem der Anstalt zugehörigen Ungeheuern Räume zwischen
der Kreuz-, Masuren- und Gärtncrstraße befinden, bilden ein Ganzes, welches für
sich mit mehr Recht den Namen einer Stadt in Anspruch nehmen könnte, als
mancher Mittelpunkt eines Provinzialkreises.

Die Anstalt enthält außer dem Klostergebäude und der Kirche ein Spital,
eine Irrenanstalt für weibliche Geisteskranke und verschiedene andere wohlthätige
Institute. Hier über das Findelhaus derselben.

Als ich mich zum ersten Male, bei meiner ersten Reise durch Polen, in
dieselbe führen ließ, befand sich diese Anstalt noch in ihren alten Verhältnissen.
Sie stand unter der Direction der Priesterschaft der Kreuzkirche, ernährte noch
nicht 300 kleine Findlinge, wurde durch ein geistliches Bureau verwaltet, und die
barmherzigen Schwestern hatten sehr ausgedehnte Rechte in Betreff der Verwen¬
dung des Vermögens. Das Vermögen der Anstalt war ein fast unermeßliches.
Das Grnndcapital, hervorgequollen uuter deu Stufen des östreichischen Kaiser-
thrvnes, hatte sich nicht verbrüdert-, sondern vertausendfacht. Zumeist hatte die
Unstttlichkeit der Vornehme» dies bewirkt. Die freundliche alte barmherzige
Schwester, welcher ich mich, bevor ich die Schwelle des zweiten Thores über¬
schreiten durste, vorstellen mußte und durch eine umständliche Legitimation und den
Polnischen Handkuß zu Gnaden empfahl, versicherte mich mit mehr Plauderhaftigkeit
als Zartgefühl, daß oftmals die Anstalt dnrch ein einziges Kind um viele Tausende
von Gulden bereichert worden sei. So sei in demselben Jahre, in welchem sie ihr
Gelübde abgelegt habe, von einem Ungenannten ein kleiner Knabe, in einer Schachtel
wohl verwahrt, eingeschickt worden, unter dessen Bettchen sich 60,000 Gulden
und ein Schreiben befunden habe, nach welchem das Findelhaus die Hälfte für
sich, die Hälfte für den Knaben bewahren solle, jedoch nur unter der Bedingung,
daß er sich mit dieser Summe in der Wojewodschaft Podlachien ankaufe. Den
Knaben zu zeichnen, hatte der Einsender ausdrücklich verboten, dagegen eifrig ge¬
boten, ihn nicht zu verwechseln. Dem ähnlich, erzählte die alte Dame, sei von
dem Grafen P. der Anstalt ein Kind mit einem Geschenk von 3000 Ducaten, von
einem Herrn aus Niederpoleu ein kleines, fünf Tage altes Mädchen mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/67>, abgerufen am 07.05.2024.