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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sowohl im tragischen, als komischen Fache auszuweisen. Ich will hier nnr zwei nennen,
Schtschezkni in Moskau nud Karati glu in Petersburg. Schtschezkni ist
als Leibeigener geboren und nnirde, als sich in der frühesten Ingend sein Talent
zur Mimik offenbarte, vom Edelmann frei gelassen und zur Ausbildung in die
Hauptstadt geschickt. Er gehört sowohl im komischen, als im ernst gemüthlichen
Genre zu den besten Mimen, die uur eine deutsche Bühne aufzuweisen hat.
Karatig in kann sich als tragischer Mime nach den Urtheilen deutscher Kritiker
kühn einem An schütz und Ludwig Löwe zur Seite stellen. Er gibt vollendete
Eharaktere und er allem liefert mehr als hinreichende Belege von der Fähigkeit
des Russen zur darstellenden Kunst. Es würde in Nußland Literatur und Kunst
einen ganz andern Aufschwung nehmen, trotzdem, daß so wenig für die Bildung
des Volkes geschieht, wenn nicht der Druck der Despotie wie ein Alp auf den
Gemüthern lastete und alles geistige Leben im Kenne erstickte. Gegen diese
Regierungsform trete man in die Schranken, aber man verdächtige nicht das
Volt, ein kräftiges, natilrwüchsigeö, voller Anlagen nild Fertigkeiten, das trotz der
Kunde, die voll dem Dorfe bis in die Residenz geschwungen wird, noch lebenslustig
ist und jeden geistigen Genuß, dessen Verständniß man ihm verschafft, mit innigem
Dank empfangt.




Dramaturgische MLscellen.
3.

Das Lustspiel. Die Gesellschaft der Rachel gab uus Gelegenheit, ein
Paar französische Komödien zu hören (l<; muri cle la veavn von ^l. Dam^ und
!I "lui qa'nie porlv "oil. oaverte vu kenn^o voll ^in'"ä 6": Nussvt), die durch¬
aus nicht zu deu vorzüglichsten gehörten, sich anch keiner besondern Darsteller
erfreuten, die aber doch genügten, uns zu überzengen, daß im Lustspiel die Fran¬
zosen, sowohl was die Erfindung als was die Darstellung betrifft, uns weit
voraus sind. -- Dieser Vorzug gründet sich ans zweierlei.

Einmal verstehen sich die Franzosen auf eine lebhafte, anziehende, zum Theil
geistreiche Conversation. Davon haben wir Deutsche uoch keinen.Begriff, und
das ist der Grund, warum bei uns kein gutes Lustspiel aufkommen kann. Trotz
unserer vielgcrühiilteil Bescheidenheit sind wir nnr allzu geneigt, uns mit unsern
Schwächen zu brüsten, und unsere Laster für Tugenden auszugeben. So ver¬
fallen wir nicht selten in die Marotte, die Mängel unserer geselligen Unterhaltung
in die Tiefe unsers Gemüths zu schieben. Eine solche Erd'läruug wäre uoch eher
gerechtfertigt, wenn das Stocken des Gesprächs in lakonischer Kürze seinen Grund
hätte. Einzelne Provinzen unsers Vaterlandes, namentlich in Norddeutschland,


sowohl im tragischen, als komischen Fache auszuweisen. Ich will hier nnr zwei nennen,
Schtschezkni in Moskau nud Karati glu in Petersburg. Schtschezkni ist
als Leibeigener geboren und nnirde, als sich in der frühesten Ingend sein Talent
zur Mimik offenbarte, vom Edelmann frei gelassen und zur Ausbildung in die
Hauptstadt geschickt. Er gehört sowohl im komischen, als im ernst gemüthlichen
Genre zu den besten Mimen, die uur eine deutsche Bühne aufzuweisen hat.
Karatig in kann sich als tragischer Mime nach den Urtheilen deutscher Kritiker
kühn einem An schütz und Ludwig Löwe zur Seite stellen. Er gibt vollendete
Eharaktere und er allem liefert mehr als hinreichende Belege von der Fähigkeit
des Russen zur darstellenden Kunst. Es würde in Nußland Literatur und Kunst
einen ganz andern Aufschwung nehmen, trotzdem, daß so wenig für die Bildung
des Volkes geschieht, wenn nicht der Druck der Despotie wie ein Alp auf den
Gemüthern lastete und alles geistige Leben im Kenne erstickte. Gegen diese
Regierungsform trete man in die Schranken, aber man verdächtige nicht das
Volt, ein kräftiges, natilrwüchsigeö, voller Anlagen nild Fertigkeiten, das trotz der
Kunde, die voll dem Dorfe bis in die Residenz geschwungen wird, noch lebenslustig
ist und jeden geistigen Genuß, dessen Verständniß man ihm verschafft, mit innigem
Dank empfangt.




Dramaturgische MLscellen.
3.

Das Lustspiel. Die Gesellschaft der Rachel gab uus Gelegenheit, ein
Paar französische Komödien zu hören (l<; muri cle la veavn von ^l. Dam^ und
!I »lui qa'nie porlv «oil. oaverte vu kenn^o voll ^in'»ä 6«: Nussvt), die durch¬
aus nicht zu deu vorzüglichsten gehörten, sich anch keiner besondern Darsteller
erfreuten, die aber doch genügten, uns zu überzengen, daß im Lustspiel die Fran¬
zosen, sowohl was die Erfindung als was die Darstellung betrifft, uns weit
voraus sind. — Dieser Vorzug gründet sich ans zweierlei.

Einmal verstehen sich die Franzosen auf eine lebhafte, anziehende, zum Theil
geistreiche Conversation. Davon haben wir Deutsche uoch keinen.Begriff, und
das ist der Grund, warum bei uns kein gutes Lustspiel aufkommen kann. Trotz
unserer vielgcrühiilteil Bescheidenheit sind wir nnr allzu geneigt, uns mit unsern
Schwächen zu brüsten, und unsere Laster für Tugenden auszugeben. So ver¬
fallen wir nicht selten in die Marotte, die Mängel unserer geselligen Unterhaltung
in die Tiefe unsers Gemüths zu schieben. Eine solche Erd'läruug wäre uoch eher
gerechtfertigt, wenn das Stocken des Gesprächs in lakonischer Kürze seinen Grund
hätte. Einzelne Provinzen unsers Vaterlandes, namentlich in Norddeutschland,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/30>, abgerufen am 04.05.2024.