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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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und führt wie absichtlich Stücke an, die auf dein literarischen Markte ganz ent¬
wertet sind. Die Russen konnten, wenn sie hochmüthig sein wollten, den Deut¬
schen den Vorwurf wachen, daß auch sie keinen vollkommen tadellosen Roman
auszuweisen haben. Doch sie beugen sich immer in Demuth vor der deutschen
Literatur. Nichtsdestoweniger könnten die Nüssen einige gute Romane aufweisen,
worunter Sagoökiuö Juri Miloölawki und Noslawlew oder die gewichtigsten
Geschichtsepochen, die Wendepunkte des russischen Reiches, die Jahre 1612 und
1812, als Volksbücher hervorzuheben sind. Als geistreiche Schriftstellerin der
höhern Stände ist Zeneide G. . . (Madame Hahn) z,n nennen, deren roman¬
tische Genrebilder anch bei den mittlern Classen Anklang gefunden haben. Ich
will mich in keine Aufzählung der größern oder geringern Talente.einlassen, aber
hier nur die Bemerkung machen, daß die ans dem russischen Leben gewählten
Stoffe sehr gelesen werden, weil im Volke der Wunsch lebendig ist, seine Lage
kennen zu lernen, um wo möglich an Besserung zu denken.

Was nun die Begabung des Nilsseil zur darstellenden Kunst und das Ge¬
fühl für darstellende Poesie betrifft, so zeigt sich, daß das Theater in Nußland
durchaus kein fremdes Institut ist. Es leben im Lande nicht, wie der Verfasser
weint, Schanspielergesellschaften in fremden Sprachen, sondern fast jede bedeu¬
tende Gonoernementsstadt, in Rußland die einzigen größern Städte, besitzt ein
Theatergebäude und eine Schallspielergesellschaft in russischer Sprache und sie hat
sich im Winter immer voller Häuser zu erfreuen. Mauche Gesellschaften bringen
einen Theil des Sommers auf deu großen Jahrmärkten zu, die in Rußland
wahrhafte Messen, wo für viele Millionen Geschäfte gemacht werden und wo
Gäste aus alleil Theilen des Landes hinströmen. Die Theatergesellschaften haben
sich über ihre Eiuuahmell uicht zu beklagen; ein Beweis, daß der Nüsse sich mit dein
Theater schon ziemlich vertraut gemacht hat. Hin nud wieder siudet man in den
Provl'nzialthcatern ausgezeichnete Talente, die natürlich bald in die Hauptstädte
gehen, um dort ihr Glück zu mcicheu. Die Prvviuzialtheater könnten sich in dem
blühendsten Zustande befinden und wahre Natioualiustitute bilden, wenn sie dann
und wann einer Anfiilnnternng oder Unterstützung des Staates sich erfreuten.
Dies ist aber nie der Fall, die Negierung kümmert sich nicht um ihren Bestand
und so ist es manchmal der Fall, daß ein Theater nicht ans Mangel all Besuch,
soudern durch die Eifersüchteleien der Schauspieler und dergleichen Intriguen
dahinsieche. Was die großen Institute in Moskau und Petersburg betrifft, so
ist der iuittelmäßige Stand der darstellenden Kunst gewiß nicht dem, Mangel an
Talenten, als eben der allzu rigoroser Leitung von Seiten des Hofes und dem
schlechten Geschmack der höhern Stände zuzuschreiben, die sich an Balleten und
Schaltstücken ergötzen, nicht aber der Gleichgültigkeit des Volkes, das in beiden
Hauptstädten nicht dnrch ein angemessenes Repertoir angezogen wird. Indessen
haben die russischen Bühnen Moskaus und Petersburgs manche wahrhafte Künstler


und führt wie absichtlich Stücke an, die auf dein literarischen Markte ganz ent¬
wertet sind. Die Russen konnten, wenn sie hochmüthig sein wollten, den Deut¬
schen den Vorwurf wachen, daß auch sie keinen vollkommen tadellosen Roman
auszuweisen haben. Doch sie beugen sich immer in Demuth vor der deutschen
Literatur. Nichtsdestoweniger könnten die Nüssen einige gute Romane aufweisen,
worunter Sagoökiuö Juri Miloölawki und Noslawlew oder die gewichtigsten
Geschichtsepochen, die Wendepunkte des russischen Reiches, die Jahre 1612 und
1812, als Volksbücher hervorzuheben sind. Als geistreiche Schriftstellerin der
höhern Stände ist Zeneide G. . . (Madame Hahn) z,n nennen, deren roman¬
tische Genrebilder anch bei den mittlern Classen Anklang gefunden haben. Ich
will mich in keine Aufzählung der größern oder geringern Talente.einlassen, aber
hier nur die Bemerkung machen, daß die ans dem russischen Leben gewählten
Stoffe sehr gelesen werden, weil im Volke der Wunsch lebendig ist, seine Lage
kennen zu lernen, um wo möglich an Besserung zu denken.

Was nun die Begabung des Nilsseil zur darstellenden Kunst und das Ge¬
fühl für darstellende Poesie betrifft, so zeigt sich, daß das Theater in Nußland
durchaus kein fremdes Institut ist. Es leben im Lande nicht, wie der Verfasser
weint, Schanspielergesellschaften in fremden Sprachen, sondern fast jede bedeu¬
tende Gonoernementsstadt, in Rußland die einzigen größern Städte, besitzt ein
Theatergebäude und eine Schallspielergesellschaft in russischer Sprache und sie hat
sich im Winter immer voller Häuser zu erfreuen. Mauche Gesellschaften bringen
einen Theil des Sommers auf deu großen Jahrmärkten zu, die in Rußland
wahrhafte Messen, wo für viele Millionen Geschäfte gemacht werden und wo
Gäste aus alleil Theilen des Landes hinströmen. Die Theatergesellschaften haben
sich über ihre Eiuuahmell uicht zu beklagen; ein Beweis, daß der Nüsse sich mit dein
Theater schon ziemlich vertraut gemacht hat. Hin nud wieder siudet man in den
Provl'nzialthcatern ausgezeichnete Talente, die natürlich bald in die Hauptstädte
gehen, um dort ihr Glück zu mcicheu. Die Prvviuzialtheater könnten sich in dem
blühendsten Zustande befinden und wahre Natioualiustitute bilden, wenn sie dann
und wann einer Anfiilnnternng oder Unterstützung des Staates sich erfreuten.
Dies ist aber nie der Fall, die Negierung kümmert sich nicht um ihren Bestand
und so ist es manchmal der Fall, daß ein Theater nicht ans Mangel all Besuch,
soudern durch die Eifersüchteleien der Schauspieler und dergleichen Intriguen
dahinsieche. Was die großen Institute in Moskau und Petersburg betrifft, so
ist der iuittelmäßige Stand der darstellenden Kunst gewiß nicht dem, Mangel an
Talenten, als eben der allzu rigoroser Leitung von Seiten des Hofes und dem
schlechten Geschmack der höhern Stände zuzuschreiben, die sich an Balleten und
Schaltstücken ergötzen, nicht aber der Gleichgültigkeit des Volkes, das in beiden
Hauptstädten nicht dnrch ein angemessenes Repertoir angezogen wird. Indessen
haben die russischen Bühnen Moskaus und Petersburgs manche wahrhafte Künstler


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/29>, abgerufen am 22.05.2024.