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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Hans Jörgel-Weis*).



Der Name Hans Jorge! ist gewiß Jedem der Leser schon bekannt. Unter
diesem Titel erscheinen seit vielen Jahren Briefe im Wiener Dialekte, welche sich
die Aufgabe stellen, dem östreichischen Landvolke eine Lecture zu biete". Ein
gewisser Herr Weis schrieb diese Hefte im gemeinsten Style; aber begünstigt
durch das vormärzliche Pvlizeisystem, welches kleine Sittcnverletzungen duldete, um
von den politischen Fragen abzulenken, welches den Theaterklatsch hätschelte, um
alle ernsteren Erörterungen zu verhüten, erwarb sich diese periodische Schrift ein
großes Lesepubliknm. Dienstbotengeschichten, kleine Prellereien, Ballbegebenheiten,
Reeeusentenscandale u. tgi. in. waren die Themata, welche diese Volkszeitung im
Jargon behandelte. Die Märztage machten den Hans Jörgel plötzlich zum Politi-
cus, er legte sich den Beinamen constitutionell zu, und kramte seine Weisheit
aus. Der Verlust an Abnehmern war aber eine deutliche Demonstration, daß
Hans Jörgel nicht als politischer Weiser betrachtet werde, und er verfiel darauf,
durch größere Gemeinheit das Fehlende zu ersetzen. Alle Phasen der Revolution
durchmachend häufte Hans Jörgel aus den Reichstag, auf die Aula, auf Pillers-
dorf, auf die Juden und auf alle Welt, die nicht seiner Ansicht huldigte, die
maßlosesten Beschimpfungen, pochend auf seine Verdienste um Staat, Thron, Ord¬
nung und wer weiß was noch. Leider wollte man diese großen Verdienste nicht
gehörig würdigen; Hans Jörgel veranstaltete eine Todtenfeier für Latour, sammelte
Gelder für Soldaten und Stiftungen, aber - es wollte doch Niemand mit Hans
Jörgel zu thun haben. - Endlich wurde er auch in seiner Blöße dargestellt, und
zwar in Heften, welche in gleicher Form und in gleichem Dialecte erschienen; man
wies ihm seine Ignoranz, seinen Farbenwechsel, seine Spekulation ans die Jmmo-
ralität des Baueruvolkes, und besonders sein Denunciautenthum vor, denn jedes
Heft war eine Denunciation bei der Militärgewalt. Hans Jörgel wußte nichts
Besseres, als -- die Kläger zu verklagen, und es dürfte interessant sein Eini¬
ges an? seiner Eingabe bei der k. k. Stadtkommandant^ zu vernehmen. Hans
Jörgel klagt: "daß das Volk offen zum Morde gegen ihn aufgefordert werde, es
soll ihm den Gnadenstoß geben, da er schlechter als ein Dieb ist." "Es gibt
keinen Ausdruck der Entehrung," schreibt Hans Jörgel-Weis, ,,der nicht gegen mich
angewendet ist. Ich erlaube mir daher, um Schutz zu bitten, da ich sehr be-



*) Man vergleiche einen früheren Artikel von anderer Feder- Wiener Seitungtn und
Zeitungshelden.
, Grenzboten. "- 1850. 53
Hans Jörgel-Weis*).



Der Name Hans Jorge! ist gewiß Jedem der Leser schon bekannt. Unter
diesem Titel erscheinen seit vielen Jahren Briefe im Wiener Dialekte, welche sich
die Aufgabe stellen, dem östreichischen Landvolke eine Lecture zu biete». Ein
gewisser Herr Weis schrieb diese Hefte im gemeinsten Style; aber begünstigt
durch das vormärzliche Pvlizeisystem, welches kleine Sittcnverletzungen duldete, um
von den politischen Fragen abzulenken, welches den Theaterklatsch hätschelte, um
alle ernsteren Erörterungen zu verhüten, erwarb sich diese periodische Schrift ein
großes Lesepubliknm. Dienstbotengeschichten, kleine Prellereien, Ballbegebenheiten,
Reeeusentenscandale u. tgi. in. waren die Themata, welche diese Volkszeitung im
Jargon behandelte. Die Märztage machten den Hans Jörgel plötzlich zum Politi-
cus, er legte sich den Beinamen constitutionell zu, und kramte seine Weisheit
aus. Der Verlust an Abnehmern war aber eine deutliche Demonstration, daß
Hans Jörgel nicht als politischer Weiser betrachtet werde, und er verfiel darauf,
durch größere Gemeinheit das Fehlende zu ersetzen. Alle Phasen der Revolution
durchmachend häufte Hans Jörgel aus den Reichstag, auf die Aula, auf Pillers-
dorf, auf die Juden und auf alle Welt, die nicht seiner Ansicht huldigte, die
maßlosesten Beschimpfungen, pochend auf seine Verdienste um Staat, Thron, Ord¬
nung und wer weiß was noch. Leider wollte man diese großen Verdienste nicht
gehörig würdigen; Hans Jörgel veranstaltete eine Todtenfeier für Latour, sammelte
Gelder für Soldaten und Stiftungen, aber - es wollte doch Niemand mit Hans
Jörgel zu thun haben. - Endlich wurde er auch in seiner Blöße dargestellt, und
zwar in Heften, welche in gleicher Form und in gleichem Dialecte erschienen; man
wies ihm seine Ignoranz, seinen Farbenwechsel, seine Spekulation ans die Jmmo-
ralität des Baueruvolkes, und besonders sein Denunciautenthum vor, denn jedes
Heft war eine Denunciation bei der Militärgewalt. Hans Jörgel wußte nichts
Besseres, als — die Kläger zu verklagen, und es dürfte interessant sein Eini¬
ges an? seiner Eingabe bei der k. k. Stadtkommandant^ zu vernehmen. Hans
Jörgel klagt: „daß das Volk offen zum Morde gegen ihn aufgefordert werde, es
soll ihm den Gnadenstoß geben, da er schlechter als ein Dieb ist." „Es gibt
keinen Ausdruck der Entehrung," schreibt Hans Jörgel-Weis, ,,der nicht gegen mich
angewendet ist. Ich erlaube mir daher, um Schutz zu bitten, da ich sehr be-



*) Man vergleiche einen früheren Artikel von anderer Feder- Wiener Seitungtn und
Zeitungshelden.
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[0425] Hans Jörgel-Weis*). Der Name Hans Jorge! ist gewiß Jedem der Leser schon bekannt. Unter diesem Titel erscheinen seit vielen Jahren Briefe im Wiener Dialekte, welche sich die Aufgabe stellen, dem östreichischen Landvolke eine Lecture zu biete». Ein gewisser Herr Weis schrieb diese Hefte im gemeinsten Style; aber begünstigt durch das vormärzliche Pvlizeisystem, welches kleine Sittcnverletzungen duldete, um von den politischen Fragen abzulenken, welches den Theaterklatsch hätschelte, um alle ernsteren Erörterungen zu verhüten, erwarb sich diese periodische Schrift ein großes Lesepubliknm. Dienstbotengeschichten, kleine Prellereien, Ballbegebenheiten, Reeeusentenscandale u. tgi. in. waren die Themata, welche diese Volkszeitung im Jargon behandelte. Die Märztage machten den Hans Jörgel plötzlich zum Politi- cus, er legte sich den Beinamen constitutionell zu, und kramte seine Weisheit aus. Der Verlust an Abnehmern war aber eine deutliche Demonstration, daß Hans Jörgel nicht als politischer Weiser betrachtet werde, und er verfiel darauf, durch größere Gemeinheit das Fehlende zu ersetzen. Alle Phasen der Revolution durchmachend häufte Hans Jörgel aus den Reichstag, auf die Aula, auf Pillers- dorf, auf die Juden und auf alle Welt, die nicht seiner Ansicht huldigte, die maßlosesten Beschimpfungen, pochend auf seine Verdienste um Staat, Thron, Ord¬ nung und wer weiß was noch. Leider wollte man diese großen Verdienste nicht gehörig würdigen; Hans Jörgel veranstaltete eine Todtenfeier für Latour, sammelte Gelder für Soldaten und Stiftungen, aber - es wollte doch Niemand mit Hans Jörgel zu thun haben. - Endlich wurde er auch in seiner Blöße dargestellt, und zwar in Heften, welche in gleicher Form und in gleichem Dialecte erschienen; man wies ihm seine Ignoranz, seinen Farbenwechsel, seine Spekulation ans die Jmmo- ralität des Baueruvolkes, und besonders sein Denunciautenthum vor, denn jedes Heft war eine Denunciation bei der Militärgewalt. Hans Jörgel wußte nichts Besseres, als — die Kläger zu verklagen, und es dürfte interessant sein Eini¬ ges an? seiner Eingabe bei der k. k. Stadtkommandant^ zu vernehmen. Hans Jörgel klagt: „daß das Volk offen zum Morde gegen ihn aufgefordert werde, es soll ihm den Gnadenstoß geben, da er schlechter als ein Dieb ist." „Es gibt keinen Ausdruck der Entehrung," schreibt Hans Jörgel-Weis, ,,der nicht gegen mich angewendet ist. Ich erlaube mir daher, um Schutz zu bitten, da ich sehr be- *) Man vergleiche einen früheren Artikel von anderer Feder- Wiener Seitungtn und Zeitungshelden. , Grenzboten. «- 1850. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/425>, abgerufen am 04.05.2024.