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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Kleine Bilder aus England.



2. Krighton.

Die wilde Nordsee kann recht liebenswürdig sein. In ihren guten Stunden
lächelt sie dem Himmel so sanft und unschuldvvll in's Gesicht, als hätte sie nie in
ihrem Leben eine Parke verschluckt, nie einem armen Schiffsjungen ein Leids ge¬
than. Aber traut uur der Weiberlaune! Tagelang geht der Neuling an den
Grenzen ihres Reichs spazieren. Was sieht er? Nächst dem Strande ein weites
Feld voll saust wogender Garben aus smaragdenem Kristall, die Häupter mit
diamantenem Schaum gekrönt, darüber hinaus unendliche stille Fluren, die kleinen
Segel in der Ferne scheinen schneeweiße Lämmchen auf sicherer Weide zu sein.
Der Neuling sehnt sich nach Sturm,, so laug er am Lande ist, denn von der
Küste sieht und hört sich solch' ein Seecvncert nicht nur am sichersten, sondern
auch am großartigsten an: vergebens, wir haben das Stürmen verlernt, singen
die schmeichelnden Wellen, indem sie eine nach der andern sich auf den blinkenden
Ufersand schlafen legen. Kaum geht er unter Segel, so fängt die schadenfrohe
zu lachen an und klatscht in die Hände, den Winden und Wogen zum Zeichen.
Jetzt sollst du sehen, wie ich tanzen und singen kann. Es pfeift und schnalzt in
der Leinwand so lustig, es schluchzt und glückt uuter den Planken des Kiels so
kläglich, dem Neuling schwindelt schon, ehe der Tanz begonnen hat. Noch ist der
Himmel blau, und die Nordsee wiegt ihn in ihren gewaltigen Armen, daß ihm
Hören und Sehen vergeht. Das war Scherz, aber die Nordsee hat sich in Wuth
getanzt und will jetzt ihre Kraft in vollem Ernst zeigen. Ueber den Horizont
guckt ein schwarzer Punkt, das ist das Aug' der Wetterhexe. Plötzlich sind alle
Himmelsräume von finstern Wolken besetzt, die See wechselt die Farbe, ihr Bu¬
sen empört sich, in den Lüften ein uuarticulirtes Geschrei, alle Winde musiciren
toll durcheinander. Nun wird der Neuling seine Sturmcssehnsucht bereuen, denn
Himmel und Hölle spielen Fangball mit ihm, aus dem Abgrund der Tiefe geht's
in deu Abgrund der Höhe, -- der Augenblick ist gekommen, wo sich die Begriffe
Oben und Unten, Hinauf und Hinab vollständig vermischen, -- und unablässig
mit kurzen, rasch ans einander folgenden Donnerschlägen hämmert die See, jäh
empor steigend, aus die Seiten des unglücklichen Fahrzeugs nieder. Jede Woge
ist eine Riesin, die mit wuchtiger Streitaxt das taumelnde Schiff überfällt. Ist
es aber glücklich in deu Hafen geflohen und wandelt der Fremde am nächsten
Morgen den Strand entlang, so thut die grüne Nordsee wieder fromm und un¬
schuldig wie früher.

Mir wenigstens ist es also ergangen. Binnen vierzehn Tagen kreuzte ich einige


Kleine Bilder aus England.



2. Krighton.

Die wilde Nordsee kann recht liebenswürdig sein. In ihren guten Stunden
lächelt sie dem Himmel so sanft und unschuldvvll in's Gesicht, als hätte sie nie in
ihrem Leben eine Parke verschluckt, nie einem armen Schiffsjungen ein Leids ge¬
than. Aber traut uur der Weiberlaune! Tagelang geht der Neuling an den
Grenzen ihres Reichs spazieren. Was sieht er? Nächst dem Strande ein weites
Feld voll saust wogender Garben aus smaragdenem Kristall, die Häupter mit
diamantenem Schaum gekrönt, darüber hinaus unendliche stille Fluren, die kleinen
Segel in der Ferne scheinen schneeweiße Lämmchen auf sicherer Weide zu sein.
Der Neuling sehnt sich nach Sturm,, so laug er am Lande ist, denn von der
Küste sieht und hört sich solch' ein Seecvncert nicht nur am sichersten, sondern
auch am großartigsten an: vergebens, wir haben das Stürmen verlernt, singen
die schmeichelnden Wellen, indem sie eine nach der andern sich auf den blinkenden
Ufersand schlafen legen. Kaum geht er unter Segel, so fängt die schadenfrohe
zu lachen an und klatscht in die Hände, den Winden und Wogen zum Zeichen.
Jetzt sollst du sehen, wie ich tanzen und singen kann. Es pfeift und schnalzt in
der Leinwand so lustig, es schluchzt und glückt uuter den Planken des Kiels so
kläglich, dem Neuling schwindelt schon, ehe der Tanz begonnen hat. Noch ist der
Himmel blau, und die Nordsee wiegt ihn in ihren gewaltigen Armen, daß ihm
Hören und Sehen vergeht. Das war Scherz, aber die Nordsee hat sich in Wuth
getanzt und will jetzt ihre Kraft in vollem Ernst zeigen. Ueber den Horizont
guckt ein schwarzer Punkt, das ist das Aug' der Wetterhexe. Plötzlich sind alle
Himmelsräume von finstern Wolken besetzt, die See wechselt die Farbe, ihr Bu¬
sen empört sich, in den Lüften ein uuarticulirtes Geschrei, alle Winde musiciren
toll durcheinander. Nun wird der Neuling seine Sturmcssehnsucht bereuen, denn
Himmel und Hölle spielen Fangball mit ihm, aus dem Abgrund der Tiefe geht's
in deu Abgrund der Höhe, — der Augenblick ist gekommen, wo sich die Begriffe
Oben und Unten, Hinauf und Hinab vollständig vermischen, — und unablässig
mit kurzen, rasch ans einander folgenden Donnerschlägen hämmert die See, jäh
empor steigend, aus die Seiten des unglücklichen Fahrzeugs nieder. Jede Woge
ist eine Riesin, die mit wuchtiger Streitaxt das taumelnde Schiff überfällt. Ist
es aber glücklich in deu Hafen geflohen und wandelt der Fremde am nächsten
Morgen den Strand entlang, so thut die grüne Nordsee wieder fromm und un¬
schuldig wie früher.

Mir wenigstens ist es also ergangen. Binnen vierzehn Tagen kreuzte ich einige


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[0503] Kleine Bilder aus England. 2. Krighton. Die wilde Nordsee kann recht liebenswürdig sein. In ihren guten Stunden lächelt sie dem Himmel so sanft und unschuldvvll in's Gesicht, als hätte sie nie in ihrem Leben eine Parke verschluckt, nie einem armen Schiffsjungen ein Leids ge¬ than. Aber traut uur der Weiberlaune! Tagelang geht der Neuling an den Grenzen ihres Reichs spazieren. Was sieht er? Nächst dem Strande ein weites Feld voll saust wogender Garben aus smaragdenem Kristall, die Häupter mit diamantenem Schaum gekrönt, darüber hinaus unendliche stille Fluren, die kleinen Segel in der Ferne scheinen schneeweiße Lämmchen auf sicherer Weide zu sein. Der Neuling sehnt sich nach Sturm,, so laug er am Lande ist, denn von der Küste sieht und hört sich solch' ein Seecvncert nicht nur am sichersten, sondern auch am großartigsten an: vergebens, wir haben das Stürmen verlernt, singen die schmeichelnden Wellen, indem sie eine nach der andern sich auf den blinkenden Ufersand schlafen legen. Kaum geht er unter Segel, so fängt die schadenfrohe zu lachen an und klatscht in die Hände, den Winden und Wogen zum Zeichen. Jetzt sollst du sehen, wie ich tanzen und singen kann. Es pfeift und schnalzt in der Leinwand so lustig, es schluchzt und glückt uuter den Planken des Kiels so kläglich, dem Neuling schwindelt schon, ehe der Tanz begonnen hat. Noch ist der Himmel blau, und die Nordsee wiegt ihn in ihren gewaltigen Armen, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Das war Scherz, aber die Nordsee hat sich in Wuth getanzt und will jetzt ihre Kraft in vollem Ernst zeigen. Ueber den Horizont guckt ein schwarzer Punkt, das ist das Aug' der Wetterhexe. Plötzlich sind alle Himmelsräume von finstern Wolken besetzt, die See wechselt die Farbe, ihr Bu¬ sen empört sich, in den Lüften ein uuarticulirtes Geschrei, alle Winde musiciren toll durcheinander. Nun wird der Neuling seine Sturmcssehnsucht bereuen, denn Himmel und Hölle spielen Fangball mit ihm, aus dem Abgrund der Tiefe geht's in deu Abgrund der Höhe, — der Augenblick ist gekommen, wo sich die Begriffe Oben und Unten, Hinauf und Hinab vollständig vermischen, — und unablässig mit kurzen, rasch ans einander folgenden Donnerschlägen hämmert die See, jäh empor steigend, aus die Seiten des unglücklichen Fahrzeugs nieder. Jede Woge ist eine Riesin, die mit wuchtiger Streitaxt das taumelnde Schiff überfällt. Ist es aber glücklich in deu Hafen geflohen und wandelt der Fremde am nächsten Morgen den Strand entlang, so thut die grüne Nordsee wieder fromm und un¬ schuldig wie früher. Mir wenigstens ist es also ergangen. Binnen vierzehn Tagen kreuzte ich einige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/503>, abgerufen am 04.05.2024.