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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Die Höllenmaschine des Elysee, welche die Republik in die Lust sprengen
sollte, hat versagt -- die Sievisionsdebatte ist schon in der ersten Woche ihrer
Geburt beendigt worden, ohne daß das Land sich anders dabei betheiligt hätte,
als dnrch das Interesse, welches der Kampf von so vielen mächtigen Talenten
nothwendiger Weise erregen muß. Es ist das eben eine -- vielleicht die einzige --
Errungenschaft der letzten Revolution, daß dieses leicht bewegliche Volk sich an
die Idee gewohnt hat, die Wahlurne als oberstes Forum zu betrachten. Das
Lullr-rsse umvLi'8<z1 ist möglich, weil man daran glaubt, und eben darum ist die
Monarchie unmöglich geworden, an die Niemand mehr glaubt. 278 : 446 Stim¬
men sind nicht genng, um dem Elysve zu imponiren, aber genug, um den
Präsidenten auf das Terrain der Republik und des allgemeinen Stimmrechtes zu
zwängen. Die Haltung der Opposition und die gezwungenen Betheuerungen der
Nevisivusvcrtheidiger, in jedem Falle für die Gesetzlichkeit in die Schranken treten
zu wollen, kann viel dazu beitragen, die Pläne des Elyfte scheitern zu machen.
Endlich darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß, da nnr zwei Fälle möglich
scheinen, Louis Bonaparte's Wiedererwählung oder eine Revolution, gerade keiner
von beiden eintreffen, sondern irgend ein Unvorhergesehenes, ein Unerwartetes,
eine Unmöglichkeit, wie der 10. December 1848 oder die Mäßigung der heftigen
Montagne während der eben zu Ende gebrachten Verhandlung. Diese Behauptung
wird nur Dem paradox scheinen, der die Geschichte Frankreichs während der letzten
drei Jahre uicht mit Aufmerksamkeit verfolgte.

Die Verhandlung selber war eine großartige -- nicht blos darum, weil ein
Volk anscheinend ohne äußere und innere Veranlassung seine eigene Existenz in
Frage stellte, ein parlamentarisches to dö or not w in so und so viele mehr
oder minder gehaltreiche Reden brachte, sondern vorzüglich darum, weil diese Le¬
bensfrage fast immer ans derjenigen Höhe gehalten wurde, die uns bei unsern
parteidurchwühlten Zuständen geradezu sür unerreichbar schien. Der geistreiche
Präsident der Rechten, welcher in seiner Einleitnngsredc sich einmal auch als Vor¬
sitzender der ganzen Versammlung geberdete, hatte ganz Recht -- die Parteien
mußten dem Lande diesmal blos durch ihre guten Eigenschaften sich aufführen,
und, zur Ehre Frankreichs sei es gestanden, sie haben es, wenige Ausnahmen
ungerechnet, gethan. Das philosophische Regime der Alles discutirenden Republik,
der Protestantismus der modernen Anschauungsweise hat gesiegt, und die Ortho¬
doxie eines ihrer Jünger, des Generals Cavaignac, eben so wie das Licht¬
löschen und Maultorbführen der ängstlichen Vergangenheit zu Schanden gemacht.
Luther, der die Discussion der Bibel freigegeben, hat das Papstthum zu Grunde
gerichtet, indem er den philosophischen Zweifel, wie Simson die Heerde Füchse mit


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Pariser Botschaften«

Die Höllenmaschine des Elysee, welche die Republik in die Lust sprengen
sollte, hat versagt — die Sievisionsdebatte ist schon in der ersten Woche ihrer
Geburt beendigt worden, ohne daß das Land sich anders dabei betheiligt hätte,
als dnrch das Interesse, welches der Kampf von so vielen mächtigen Talenten
nothwendiger Weise erregen muß. Es ist das eben eine — vielleicht die einzige —
Errungenschaft der letzten Revolution, daß dieses leicht bewegliche Volk sich an
die Idee gewohnt hat, die Wahlurne als oberstes Forum zu betrachten. Das
Lullr-rsse umvLi'8<z1 ist möglich, weil man daran glaubt, und eben darum ist die
Monarchie unmöglich geworden, an die Niemand mehr glaubt. 278 : 446 Stim¬
men sind nicht genng, um dem Elysve zu imponiren, aber genug, um den
Präsidenten auf das Terrain der Republik und des allgemeinen Stimmrechtes zu
zwängen. Die Haltung der Opposition und die gezwungenen Betheuerungen der
Nevisivusvcrtheidiger, in jedem Falle für die Gesetzlichkeit in die Schranken treten
zu wollen, kann viel dazu beitragen, die Pläne des Elyfte scheitern zu machen.
Endlich darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß, da nnr zwei Fälle möglich
scheinen, Louis Bonaparte's Wiedererwählung oder eine Revolution, gerade keiner
von beiden eintreffen, sondern irgend ein Unvorhergesehenes, ein Unerwartetes,
eine Unmöglichkeit, wie der 10. December 1848 oder die Mäßigung der heftigen
Montagne während der eben zu Ende gebrachten Verhandlung. Diese Behauptung
wird nur Dem paradox scheinen, der die Geschichte Frankreichs während der letzten
drei Jahre uicht mit Aufmerksamkeit verfolgte.

Die Verhandlung selber war eine großartige — nicht blos darum, weil ein
Volk anscheinend ohne äußere und innere Veranlassung seine eigene Existenz in
Frage stellte, ein parlamentarisches to dö or not w in so und so viele mehr
oder minder gehaltreiche Reden brachte, sondern vorzüglich darum, weil diese Le¬
bensfrage fast immer ans derjenigen Höhe gehalten wurde, die uns bei unsern
parteidurchwühlten Zuständen geradezu sür unerreichbar schien. Der geistreiche
Präsident der Rechten, welcher in seiner Einleitnngsredc sich einmal auch als Vor¬
sitzender der ganzen Versammlung geberdete, hatte ganz Recht — die Parteien
mußten dem Lande diesmal blos durch ihre guten Eigenschaften sich aufführen,
und, zur Ehre Frankreichs sei es gestanden, sie haben es, wenige Ausnahmen
ungerechnet, gethan. Das philosophische Regime der Alles discutirenden Republik,
der Protestantismus der modernen Anschauungsweise hat gesiegt, und die Ortho¬
doxie eines ihrer Jünger, des Generals Cavaignac, eben so wie das Licht¬
löschen und Maultorbführen der ängstlichen Vergangenheit zu Schanden gemacht.
Luther, der die Discussion der Bibel freigegeben, hat das Papstthum zu Grunde
gerichtet, indem er den philosophischen Zweifel, wie Simson die Heerde Füchse mit


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[0187] Pariser Botschaften« Die Höllenmaschine des Elysee, welche die Republik in die Lust sprengen sollte, hat versagt — die Sievisionsdebatte ist schon in der ersten Woche ihrer Geburt beendigt worden, ohne daß das Land sich anders dabei betheiligt hätte, als dnrch das Interesse, welches der Kampf von so vielen mächtigen Talenten nothwendiger Weise erregen muß. Es ist das eben eine — vielleicht die einzige — Errungenschaft der letzten Revolution, daß dieses leicht bewegliche Volk sich an die Idee gewohnt hat, die Wahlurne als oberstes Forum zu betrachten. Das Lullr-rsse umvLi'8<z1 ist möglich, weil man daran glaubt, und eben darum ist die Monarchie unmöglich geworden, an die Niemand mehr glaubt. 278 : 446 Stim¬ men sind nicht genng, um dem Elysve zu imponiren, aber genug, um den Präsidenten auf das Terrain der Republik und des allgemeinen Stimmrechtes zu zwängen. Die Haltung der Opposition und die gezwungenen Betheuerungen der Nevisivusvcrtheidiger, in jedem Falle für die Gesetzlichkeit in die Schranken treten zu wollen, kann viel dazu beitragen, die Pläne des Elyfte scheitern zu machen. Endlich darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß, da nnr zwei Fälle möglich scheinen, Louis Bonaparte's Wiedererwählung oder eine Revolution, gerade keiner von beiden eintreffen, sondern irgend ein Unvorhergesehenes, ein Unerwartetes, eine Unmöglichkeit, wie der 10. December 1848 oder die Mäßigung der heftigen Montagne während der eben zu Ende gebrachten Verhandlung. Diese Behauptung wird nur Dem paradox scheinen, der die Geschichte Frankreichs während der letzten drei Jahre uicht mit Aufmerksamkeit verfolgte. Die Verhandlung selber war eine großartige — nicht blos darum, weil ein Volk anscheinend ohne äußere und innere Veranlassung seine eigene Existenz in Frage stellte, ein parlamentarisches to dö or not w in so und so viele mehr oder minder gehaltreiche Reden brachte, sondern vorzüglich darum, weil diese Le¬ bensfrage fast immer ans derjenigen Höhe gehalten wurde, die uns bei unsern parteidurchwühlten Zuständen geradezu sür unerreichbar schien. Der geistreiche Präsident der Rechten, welcher in seiner Einleitnngsredc sich einmal auch als Vor¬ sitzender der ganzen Versammlung geberdete, hatte ganz Recht — die Parteien mußten dem Lande diesmal blos durch ihre guten Eigenschaften sich aufführen, und, zur Ehre Frankreichs sei es gestanden, sie haben es, wenige Ausnahmen ungerechnet, gethan. Das philosophische Regime der Alles discutirenden Republik, der Protestantismus der modernen Anschauungsweise hat gesiegt, und die Ortho¬ doxie eines ihrer Jünger, des Generals Cavaignac, eben so wie das Licht¬ löschen und Maultorbführen der ängstlichen Vergangenheit zu Schanden gemacht. Luther, der die Discussion der Bibel freigegeben, hat das Papstthum zu Grunde gerichtet, indem er den philosophischen Zweifel, wie Simson die Heerde Füchse mit 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/187>, abgerufen am 03.05.2024.