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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schauspieler-Silhouetten.
i. Christian Weiß.

Sie kennen den "alten Weiß"; unter diesem Namen kennt ihn wenigstens
in Berlin Jeder, der nicht zu den geschworenen Feinden des Theaters gehört.
Der Mann ist übrigens im Jahre 1790 geboren, und daher noch gar nicht lange
so alt, wie ihn die Folgen der Gicht nud eine schwache, klanglose Stimme
erscheinen lassen. Seit er als Regisseur des Lustspiels diesen Theil der Dar¬
stellungen aus unserm Hoftheater, trotz aller Eitelkeiten und Eifersüchteleien des
Schauspieler-Personals, durch seine praktische Einsicht und werkthätige Liebe zur
Sache, wie durch die persönliche Achtung, welche ihm von allen Seiten entgegen¬
gebracht wird, in tüchtigem Ensemble zusammenhält, hat er sich als Darsteller
bescheiden in den Hintergrund gezogen. Körperliche Leiden und der Zwang,
den sie ihm auferlegen, trugen wol das Ihrige bei, diese Zurückgezogenheit
dauernd zu machen. Indessen von Zeit zu Zeit erscheint der treffliche Veteran
noch immer einmal auf der Bühne, und so klein die Rolle sei, .in der er auf¬
tritt, stets liefert er ein dem Leben abgelauschtes, sauber ausgeführtes Charalter-
bildchcn voll Heiterkeit und Frische, ein Genrestückchen im reinsten Niederländi¬
schen Styl.

Auch er hat seine Zeit gehabt, wo er als Franz Moor und als Tartüffe
den lauten Beifall des Publicums eroberte. Jetzt, gegen den Abend seines Le¬
bens, belohnt ihn bei jedem Auftreten in lustspielartigcn Charakterrollen ein innig
heiteres Wohlgefallen, das er durch strenges Festhalten an Einfachheit und Wahr¬
heit sich zu bewahren verstand, indem er nie um der Wirkung willen von diesem
Grundgesetze der Kunst abwich, stets mit seinen nicht eben reich gemessenen Mit¬
teln künstlerisch hauszuhalten weiß. Wie unwiderstehlich erheitert sein alter
Commis in Rosenmüller und Finke mit seiner Treuherzigkeit und seinen gemüth¬
lichen Comptvirwitzen! Da ist keine Spur von gesuchtem Haschen nach Pointen;
der alte Weiß hat für solche Charaktere den Ausdruck unnachahmlicher Naivetät.
Mit welcher Rührigkeit und Keckheit bewegt sich sein Bansen im Egmont noch
heute durch die verblüffte Menge, die dem verwegenen Demagogen und seinen
handgreiflichen Argumenten und Sophismen lauscht! Die von der Gicht ver¬
zogene Gestalt verstärkt hier ans sehr charakteristische Weise das confiscirte Aus¬
sehen des "Bnmmlers" ans dem sechzehnten Jahrhundert, aber das ganze nach¬
lässige, schlottrige Wesen, das populaire Docireu und Sichversangeu im eigenen
Worte', die prahlerische Behäbigkeit und in derber Sinnlichkeit malende Gesticu-
Wion stellt uus den Charakter mit unübertrefflicher Treue des geschichtlichen
Costums vor das Auge.


Grenzboten. IU. ->8til. 7
Schauspieler-Silhouetten.
i. Christian Weiß.

Sie kennen den „alten Weiß"; unter diesem Namen kennt ihn wenigstens
in Berlin Jeder, der nicht zu den geschworenen Feinden des Theaters gehört.
Der Mann ist übrigens im Jahre 1790 geboren, und daher noch gar nicht lange
so alt, wie ihn die Folgen der Gicht nud eine schwache, klanglose Stimme
erscheinen lassen. Seit er als Regisseur des Lustspiels diesen Theil der Dar¬
stellungen aus unserm Hoftheater, trotz aller Eitelkeiten und Eifersüchteleien des
Schauspieler-Personals, durch seine praktische Einsicht und werkthätige Liebe zur
Sache, wie durch die persönliche Achtung, welche ihm von allen Seiten entgegen¬
gebracht wird, in tüchtigem Ensemble zusammenhält, hat er sich als Darsteller
bescheiden in den Hintergrund gezogen. Körperliche Leiden und der Zwang,
den sie ihm auferlegen, trugen wol das Ihrige bei, diese Zurückgezogenheit
dauernd zu machen. Indessen von Zeit zu Zeit erscheint der treffliche Veteran
noch immer einmal auf der Bühne, und so klein die Rolle sei, .in der er auf¬
tritt, stets liefert er ein dem Leben abgelauschtes, sauber ausgeführtes Charalter-
bildchcn voll Heiterkeit und Frische, ein Genrestückchen im reinsten Niederländi¬
schen Styl.

Auch er hat seine Zeit gehabt, wo er als Franz Moor und als Tartüffe
den lauten Beifall des Publicums eroberte. Jetzt, gegen den Abend seines Le¬
bens, belohnt ihn bei jedem Auftreten in lustspielartigcn Charakterrollen ein innig
heiteres Wohlgefallen, das er durch strenges Festhalten an Einfachheit und Wahr¬
heit sich zu bewahren verstand, indem er nie um der Wirkung willen von diesem
Grundgesetze der Kunst abwich, stets mit seinen nicht eben reich gemessenen Mit¬
teln künstlerisch hauszuhalten weiß. Wie unwiderstehlich erheitert sein alter
Commis in Rosenmüller und Finke mit seiner Treuherzigkeit und seinen gemüth¬
lichen Comptvirwitzen! Da ist keine Spur von gesuchtem Haschen nach Pointen;
der alte Weiß hat für solche Charaktere den Ausdruck unnachahmlicher Naivetät.
Mit welcher Rührigkeit und Keckheit bewegt sich sein Bansen im Egmont noch
heute durch die verblüffte Menge, die dem verwegenen Demagogen und seinen
handgreiflichen Argumenten und Sophismen lauscht! Die von der Gicht ver¬
zogene Gestalt verstärkt hier ans sehr charakteristische Weise das confiscirte Aus¬
sehen des „Bnmmlers" ans dem sechzehnten Jahrhundert, aber das ganze nach¬
lässige, schlottrige Wesen, das populaire Docireu und Sichversangeu im eigenen
Worte', die prahlerische Behäbigkeit und in derber Sinnlichkeit malende Gesticu-
Wion stellt uus den Charakter mit unübertrefflicher Treue des geschichtlichen
Costums vor das Auge.


Grenzboten. IU. ->8til. 7
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[0057] Schauspieler-Silhouetten. i. Christian Weiß. Sie kennen den „alten Weiß"; unter diesem Namen kennt ihn wenigstens in Berlin Jeder, der nicht zu den geschworenen Feinden des Theaters gehört. Der Mann ist übrigens im Jahre 1790 geboren, und daher noch gar nicht lange so alt, wie ihn die Folgen der Gicht nud eine schwache, klanglose Stimme erscheinen lassen. Seit er als Regisseur des Lustspiels diesen Theil der Dar¬ stellungen aus unserm Hoftheater, trotz aller Eitelkeiten und Eifersüchteleien des Schauspieler-Personals, durch seine praktische Einsicht und werkthätige Liebe zur Sache, wie durch die persönliche Achtung, welche ihm von allen Seiten entgegen¬ gebracht wird, in tüchtigem Ensemble zusammenhält, hat er sich als Darsteller bescheiden in den Hintergrund gezogen. Körperliche Leiden und der Zwang, den sie ihm auferlegen, trugen wol das Ihrige bei, diese Zurückgezogenheit dauernd zu machen. Indessen von Zeit zu Zeit erscheint der treffliche Veteran noch immer einmal auf der Bühne, und so klein die Rolle sei, .in der er auf¬ tritt, stets liefert er ein dem Leben abgelauschtes, sauber ausgeführtes Charalter- bildchcn voll Heiterkeit und Frische, ein Genrestückchen im reinsten Niederländi¬ schen Styl. Auch er hat seine Zeit gehabt, wo er als Franz Moor und als Tartüffe den lauten Beifall des Publicums eroberte. Jetzt, gegen den Abend seines Le¬ bens, belohnt ihn bei jedem Auftreten in lustspielartigcn Charakterrollen ein innig heiteres Wohlgefallen, das er durch strenges Festhalten an Einfachheit und Wahr¬ heit sich zu bewahren verstand, indem er nie um der Wirkung willen von diesem Grundgesetze der Kunst abwich, stets mit seinen nicht eben reich gemessenen Mit¬ teln künstlerisch hauszuhalten weiß. Wie unwiderstehlich erheitert sein alter Commis in Rosenmüller und Finke mit seiner Treuherzigkeit und seinen gemüth¬ lichen Comptvirwitzen! Da ist keine Spur von gesuchtem Haschen nach Pointen; der alte Weiß hat für solche Charaktere den Ausdruck unnachahmlicher Naivetät. Mit welcher Rührigkeit und Keckheit bewegt sich sein Bansen im Egmont noch heute durch die verblüffte Menge, die dem verwegenen Demagogen und seinen handgreiflichen Argumenten und Sophismen lauscht! Die von der Gicht ver¬ zogene Gestalt verstärkt hier ans sehr charakteristische Weise das confiscirte Aus¬ sehen des „Bnmmlers" ans dem sechzehnten Jahrhundert, aber das ganze nach¬ lässige, schlottrige Wesen, das populaire Docireu und Sichversangeu im eigenen Worte', die prahlerische Behäbigkeit und in derber Sinnlichkeit malende Gesticu- Wion stellt uus den Charakter mit unübertrefflicher Treue des geschichtlichen Costums vor das Auge. Grenzboten. IU. ->8til. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/57>, abgerufen am 04.05.2024.