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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schulwesen in Polen.
1.

Die gelehrten Schulen in Polen haben seit dem Jahre -1832 Veränderungen
in solcher Art und Zahl erlitten, daß ihr Einfluß auf Bildung und Verhältnisse des
Volkes ein durchaus anderer geworden ist. Die Aufhebung der Universität, der "Kö¬
niglichen Gesellschaft der Wissenschaften" und anderer hohen Anstalten und Vereine
von gleichem oder nahe verwandtem Zwecke, welche sehr bald nach der Revolution
stattfand, deutete schon ans Das hin, was die Zukunft den höheren philologische"
und pädagogischen Anstalten bringen sollte. Doch schienen die Regierenden An¬
fangs noch nicht klar in dem Zwecke zu sein, den sie mit diesen Anstalten zu
verfolgen hatten, und man bauete mit hastiger Uebereilung an einem gegen die
revolutionaire Gesinnung des Volkes berechneten Damme. So ordnete man Ge¬
bete an, in denen das Wohl des Herrscherhauses und der von Gott stammende
Beruf der Herrschaft jede dritte Zeile füllten. Doch bald wendete man sich von
dem pietistischen Wege ab und gegen die Grundlagen des Polnischen National¬
bewußtseins, die Geschichte und die Sprache. Es erschien eines Tages eine
geheime Verordnung vom Kultusministerium, dem sogenannten Ministerium der
Volkserleuchtung (mwistLrxtv" usvi<ZL<znia) an das Polnische Schnlprocuratorium,
deren Inhalt sich alsbald dadurch kundgab, daß durch das ganze Königreich das
Lehrfach der Polnischen Geschichte suspendirt wurde. Natürlich sollte diese Ma߬
regel nur auf die Zeit berechnet sein, welche die Bearbeitung eines neuen Lehr¬
buchs der Geschichte und dessen Prüfung in Petersburg nöthig machte. Man
machte das nöthig erachtete neue Polnische Geschichtswerk nämlich zum Gegenstand
einer Preisbewerbung, und an dem zu krönenden Werke Kürze und Wahrheits-
treue zur Bedingung. Indeß fanden sich uuter allen Polnischen Philologen
uur sehr wenige, ich glaube vier, welche in die Schranken traten, und diese
konnten kaum sür Polen gehalten werden. Ihre Arbeiten waren denn auch viel
Russischer, als die der mitwerbenden Russen, ja, so Russisch, daß selbst die Russi¬
schen Preisrichter Ekel vor der niedrigen Gesinnung der Autoren empfunden
haben sollen. Zwei dieser Arbeite" sind dem Publicum bekannt geworden. Den
Preis erhielt ein Russe, und zwar ein Staatsrath, und das war denn anch sehr
natürlich, da ein Bewerber dieser Art wol am Genauesten die Absichten der Negie¬
rung kennen mußte.

Man hatte uun ein Lehrbuch, und so konnte denn auch das Fach der Na-
tionalgcschichte wieder eröffnet werden. Es war eben eine Geschichte der Art,
wie sie sich ans sechs riesenhaften Metalltafeln in der neuen Russischen Kirche des
Dörfchens Wola bei Warschau befindet. Ein nicht besonders Jnteressirter muß,


Schulwesen in Polen.
1.

Die gelehrten Schulen in Polen haben seit dem Jahre -1832 Veränderungen
in solcher Art und Zahl erlitten, daß ihr Einfluß auf Bildung und Verhältnisse des
Volkes ein durchaus anderer geworden ist. Die Aufhebung der Universität, der „Kö¬
niglichen Gesellschaft der Wissenschaften" und anderer hohen Anstalten und Vereine
von gleichem oder nahe verwandtem Zwecke, welche sehr bald nach der Revolution
stattfand, deutete schon ans Das hin, was die Zukunft den höheren philologische»
und pädagogischen Anstalten bringen sollte. Doch schienen die Regierenden An¬
fangs noch nicht klar in dem Zwecke zu sein, den sie mit diesen Anstalten zu
verfolgen hatten, und man bauete mit hastiger Uebereilung an einem gegen die
revolutionaire Gesinnung des Volkes berechneten Damme. So ordnete man Ge¬
bete an, in denen das Wohl des Herrscherhauses und der von Gott stammende
Beruf der Herrschaft jede dritte Zeile füllten. Doch bald wendete man sich von
dem pietistischen Wege ab und gegen die Grundlagen des Polnischen National¬
bewußtseins, die Geschichte und die Sprache. Es erschien eines Tages eine
geheime Verordnung vom Kultusministerium, dem sogenannten Ministerium der
Volkserleuchtung (mwistLrxtv» usvi<ZL<znia) an das Polnische Schnlprocuratorium,
deren Inhalt sich alsbald dadurch kundgab, daß durch das ganze Königreich das
Lehrfach der Polnischen Geschichte suspendirt wurde. Natürlich sollte diese Ma߬
regel nur auf die Zeit berechnet sein, welche die Bearbeitung eines neuen Lehr¬
buchs der Geschichte und dessen Prüfung in Petersburg nöthig machte. Man
machte das nöthig erachtete neue Polnische Geschichtswerk nämlich zum Gegenstand
einer Preisbewerbung, und an dem zu krönenden Werke Kürze und Wahrheits-
treue zur Bedingung. Indeß fanden sich uuter allen Polnischen Philologen
uur sehr wenige, ich glaube vier, welche in die Schranken traten, und diese
konnten kaum sür Polen gehalten werden. Ihre Arbeiten waren denn auch viel
Russischer, als die der mitwerbenden Russen, ja, so Russisch, daß selbst die Russi¬
schen Preisrichter Ekel vor der niedrigen Gesinnung der Autoren empfunden
haben sollen. Zwei dieser Arbeite» sind dem Publicum bekannt geworden. Den
Preis erhielt ein Russe, und zwar ein Staatsrath, und das war denn anch sehr
natürlich, da ein Bewerber dieser Art wol am Genauesten die Absichten der Negie¬
rung kennen mußte.

Man hatte uun ein Lehrbuch, und so konnte denn auch das Fach der Na-
tionalgcschichte wieder eröffnet werden. Es war eben eine Geschichte der Art,
wie sie sich ans sechs riesenhaften Metalltafeln in der neuen Russischen Kirche des
Dörfchens Wola bei Warschau befindet. Ein nicht besonders Jnteressirter muß,


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[0098] Schulwesen in Polen. 1. Die gelehrten Schulen in Polen haben seit dem Jahre -1832 Veränderungen in solcher Art und Zahl erlitten, daß ihr Einfluß auf Bildung und Verhältnisse des Volkes ein durchaus anderer geworden ist. Die Aufhebung der Universität, der „Kö¬ niglichen Gesellschaft der Wissenschaften" und anderer hohen Anstalten und Vereine von gleichem oder nahe verwandtem Zwecke, welche sehr bald nach der Revolution stattfand, deutete schon ans Das hin, was die Zukunft den höheren philologische» und pädagogischen Anstalten bringen sollte. Doch schienen die Regierenden An¬ fangs noch nicht klar in dem Zwecke zu sein, den sie mit diesen Anstalten zu verfolgen hatten, und man bauete mit hastiger Uebereilung an einem gegen die revolutionaire Gesinnung des Volkes berechneten Damme. So ordnete man Ge¬ bete an, in denen das Wohl des Herrscherhauses und der von Gott stammende Beruf der Herrschaft jede dritte Zeile füllten. Doch bald wendete man sich von dem pietistischen Wege ab und gegen die Grundlagen des Polnischen National¬ bewußtseins, die Geschichte und die Sprache. Es erschien eines Tages eine geheime Verordnung vom Kultusministerium, dem sogenannten Ministerium der Volkserleuchtung (mwistLrxtv» usvi<ZL<znia) an das Polnische Schnlprocuratorium, deren Inhalt sich alsbald dadurch kundgab, daß durch das ganze Königreich das Lehrfach der Polnischen Geschichte suspendirt wurde. Natürlich sollte diese Ma߬ regel nur auf die Zeit berechnet sein, welche die Bearbeitung eines neuen Lehr¬ buchs der Geschichte und dessen Prüfung in Petersburg nöthig machte. Man machte das nöthig erachtete neue Polnische Geschichtswerk nämlich zum Gegenstand einer Preisbewerbung, und an dem zu krönenden Werke Kürze und Wahrheits- treue zur Bedingung. Indeß fanden sich uuter allen Polnischen Philologen uur sehr wenige, ich glaube vier, welche in die Schranken traten, und diese konnten kaum sür Polen gehalten werden. Ihre Arbeiten waren denn auch viel Russischer, als die der mitwerbenden Russen, ja, so Russisch, daß selbst die Russi¬ schen Preisrichter Ekel vor der niedrigen Gesinnung der Autoren empfunden haben sollen. Zwei dieser Arbeite» sind dem Publicum bekannt geworden. Den Preis erhielt ein Russe, und zwar ein Staatsrath, und das war denn anch sehr natürlich, da ein Bewerber dieser Art wol am Genauesten die Absichten der Negie¬ rung kennen mußte. Man hatte uun ein Lehrbuch, und so konnte denn auch das Fach der Na- tionalgcschichte wieder eröffnet werden. Es war eben eine Geschichte der Art, wie sie sich ans sechs riesenhaften Metalltafeln in der neuen Russischen Kirche des Dörfchens Wola bei Warschau befindet. Ein nicht besonders Jnteressirter muß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/98>, abgerufen am 03.05.2024.