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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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liest er die Schrift dieser kostbaren übcrsilberten Tafeln, die, gegen zwanzig Fuß
hoch, fast bis an die Decke reichen, doch mindestens lächeln und sich abwenden,
um sein Wissen nicht allzu unartig zum Lügner gestempelt zu sehen. Er liest da
vou Siege", welche die Russische Armee in den Jahren 1830 und 183-1 über
die Polen davon getragen haben soll, von denen die Welt durchaus Nichts weiß.
Es siud Schlachtfelder bezeichnet, ans denen nie eine Schlacht stattgefunden, oder sich
- höchstens uur einmal ungesehen ein Paar Kosaken mit einigen Polen gebalgt haben.
Von Russischen Niederlagen wissen diese kostbaren Gcschichtstafcln Nichts. Die
ganze Polnische Revolution steht als eine ununterbrochene Reihe von Russische"
Siegen da, und dem geneigten Leser bleibt es überlassen, zu begreifen, wie es
zugegangen, daß die Russen, da sie schon im Februar vor Warschau standen, bei
ihren ununterbrochenen Siegen doch erst im September hineinkämen. Die Zahl
der gefallenen Russen, außer den Officieren, geben sie ans 1700 an, und über¬
lassen es wieder dem Leser, zu entdecken, wie es gekommen, daß die Russische
Armee beim Einmärsche in Polen 13200", und am Ende der Revolution, nach¬
dem auch die Garten eingerückt waren, nur noch 1 19,000 Mann enthielt.

Die Geschichte der sechs Wundertafcln ist nach den Rapporten des General-
quartiermeisterS, eines "och jetzt in Warschau eine bedeutende Rolle spielenden
Kurländers verfaßt worden. Man sieht daraus, welcher Art die Rapporte sind,
welche den Weg nach Petersburg nehmen. Ganz gleicher Art ist aber auch das
Lehrbuch der Polnischen Geschichte. Der Ursprung von Halicz und Litthauen hat
da Nachweise erhalten, daß den Polen der Glaube vergehen müßte, je diese Länder
rechtmäßig besessen zu haben. So sind die Theilungen des Polnischen Reichs,
die wichtigsten Wendepunkte der Polnischen Geschichte, mit einer wunderbaren
Kürze behandelt, und in dieser wegwerfend kurzen Fassung findet man neben
ganz neuen, außer dem Verfasser Niemandem bekannten Thatsachen, Ursachen
und Zwecke angegeben, welche gar keinen Zweifel übrig lassen, daß den Theilun¬
gen die schönste religiöseste Moral zu Grunde lag, und daß sie einzig und,
allein auf das Glück und Gedeihen der Polnischen Nation hinzielten, "leider
aber nicht selten falsch gedeutet und beurtheilt worden sind."

Der Zweck, den man bei dem hohem Schulwesen verfolgte, war in diesem Werke
so deutlich kundgegeben, daß bald nach Einführung desselben eine sehr große Menge
Polnischer Familien ihre Sohne von den Gymnasien des Laubes zurücknahm. Man
wollte nicht, daß sie ihre eigenen Väter, ihre eigene Nationalität falsch kennen lern¬
te". Einige Schulen, wie z. B. die in S. und P., welche vorzugsweise vou Söhnen
adliger Familien besucht wurden, verwaisten so, daß man sie nur darum uicht schloß,
damit der wahre Zustand nicht offenkundig wurde, und die Polen nichr veranlaßte, ihr
Verhalten bis zu einer Repressivmaßregel zu steigern. Und um einer solchen
Möglichkeit so sehr als thunlich entgegen zu arbeiten, sah sich das Russische
Schulprocuratvrium gezwungen, Freistellen in größter Zahl aufzubieten. Der


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liest er die Schrift dieser kostbaren übcrsilberten Tafeln, die, gegen zwanzig Fuß
hoch, fast bis an die Decke reichen, doch mindestens lächeln und sich abwenden,
um sein Wissen nicht allzu unartig zum Lügner gestempelt zu sehen. Er liest da
vou Siege», welche die Russische Armee in den Jahren 1830 und 183-1 über
die Polen davon getragen haben soll, von denen die Welt durchaus Nichts weiß.
Es siud Schlachtfelder bezeichnet, ans denen nie eine Schlacht stattgefunden, oder sich
- höchstens uur einmal ungesehen ein Paar Kosaken mit einigen Polen gebalgt haben.
Von Russischen Niederlagen wissen diese kostbaren Gcschichtstafcln Nichts. Die
ganze Polnische Revolution steht als eine ununterbrochene Reihe von Russische»
Siegen da, und dem geneigten Leser bleibt es überlassen, zu begreifen, wie es
zugegangen, daß die Russen, da sie schon im Februar vor Warschau standen, bei
ihren ununterbrochenen Siegen doch erst im September hineinkämen. Die Zahl
der gefallenen Russen, außer den Officieren, geben sie ans 1700 an, und über¬
lassen es wieder dem Leser, zu entdecken, wie es gekommen, daß die Russische
Armee beim Einmärsche in Polen 13200», und am Ende der Revolution, nach¬
dem auch die Garten eingerückt waren, nur noch 1 19,000 Mann enthielt.

Die Geschichte der sechs Wundertafcln ist nach den Rapporten des General-
quartiermeisterS, eines «och jetzt in Warschau eine bedeutende Rolle spielenden
Kurländers verfaßt worden. Man sieht daraus, welcher Art die Rapporte sind,
welche den Weg nach Petersburg nehmen. Ganz gleicher Art ist aber auch das
Lehrbuch der Polnischen Geschichte. Der Ursprung von Halicz und Litthauen hat
da Nachweise erhalten, daß den Polen der Glaube vergehen müßte, je diese Länder
rechtmäßig besessen zu haben. So sind die Theilungen des Polnischen Reichs,
die wichtigsten Wendepunkte der Polnischen Geschichte, mit einer wunderbaren
Kürze behandelt, und in dieser wegwerfend kurzen Fassung findet man neben
ganz neuen, außer dem Verfasser Niemandem bekannten Thatsachen, Ursachen
und Zwecke angegeben, welche gar keinen Zweifel übrig lassen, daß den Theilun¬
gen die schönste religiöseste Moral zu Grunde lag, und daß sie einzig und,
allein auf das Glück und Gedeihen der Polnischen Nation hinzielten, „leider
aber nicht selten falsch gedeutet und beurtheilt worden sind."

Der Zweck, den man bei dem hohem Schulwesen verfolgte, war in diesem Werke
so deutlich kundgegeben, daß bald nach Einführung desselben eine sehr große Menge
Polnischer Familien ihre Sohne von den Gymnasien des Laubes zurücknahm. Man
wollte nicht, daß sie ihre eigenen Väter, ihre eigene Nationalität falsch kennen lern¬
te». Einige Schulen, wie z. B. die in S. und P., welche vorzugsweise vou Söhnen
adliger Familien besucht wurden, verwaisten so, daß man sie nur darum uicht schloß,
damit der wahre Zustand nicht offenkundig wurde, und die Polen nichr veranlaßte, ihr
Verhalten bis zu einer Repressivmaßregel zu steigern. Und um einer solchen
Möglichkeit so sehr als thunlich entgegen zu arbeiten, sah sich das Russische
Schulprocuratvrium gezwungen, Freistellen in größter Zahl aufzubieten. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/99>, abgerufen am 21.05.2024.