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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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getreu der Geschichte nacherzählt, nicht als der Ausdruck eines nothwendigen Schick¬
sals vor, das den Menschen aller Zeiten gleich verständlich sein muß, sondern als
die Folge von Voraussetzungen, die uns nicht mehr in dem gleichen Maße rührt,
weil sie nicht mehr die unsrigen find.

Man erlaube mir, zum Schluß auf den letzten principiellen Grund hinzu-
deuten, der unsre neuen Dichter zu so ungeheuerlichen Problemen in der Anlage
ihrer Fabeln wie ihrer Charaktere treibt. Vor der großen französischen Revo¬
lution war der Idealismus der strebsamen Jugend ein gleichmäßiger nud ein sicherer;
als der Verlauf dieser Revolution die Erwartungen täuschte, wurde man an seinen
Idealen irre; man fing an, zu analysiren, man bemühte sich, das Unrecht des
Rechts und das Recht des Unrechts sophistisch zu begreifen. Daraus ging eine
Empfindungsweise hervor, die sich selber nicht mehr verstand, eine Poesie, die in
Kontrasten lebte, und ein Glaube, der sich selber ironisirte. Wir werden noch
häufig Gelegenheit haben, auf diese Umkehr der Ideen zurückzukommen.




Das französische Heer.
2.

Das französische Heer, dem östreichischen an Zahl noch überlegen, besteht
ganz aus derselben Nationalität, und wird schon deshalb große Bedeutung in allen
Kämpfen der Zukunft gewinnen. Weder der Elsasser, noch der Baste, noch der
Provence und der Bretagner, die vier verschiedensten Elemente der französischen
Armee, denken daran, ihre Heimath von dem Geschicke Frankreichs zu trennen.
Sie bespötteln einander, und sind eifersüchtig auf einander, gilt es aber den Kampf
gegen das Ausland, so sind sie doch Alle wieder von Kopf bis zur Sohle
Franzosen. Mag auch Frankreich in seinem Innern von noch so vielen poli¬
tischen Parteien zerrissen sein, die Macht seiner Armee gegen das Ausland wird
dadurch nicht geschwächt. Ein edler Nationalstolz wird dem Franzosen nnter allen
Umständen verbieten, fremde Hilfe gegen seine eigenen Landsleute anzurufen;
derselbe Stolz wird ihn feurig uuter die Fahnen führen, sobald er glaubt, daß
auswärtige Mächte sein schönes Vaterland ernstlich bedrohen könnten.

Die französische Infanterie besteht (ungerechnet die abgesonderten eigenthüm¬
lichen Corps in Algerien) in 7ö Linienregimcntern, 25 leichten Regimentern,und
10 Bataillonen O.-^mi" ^ xieü. Jedes Regiment zählt in 3 Bataillonen 18
Compagnien, jedes Chasseur-Bataillon 6 Compagnien, also die gesammte In¬
fanterie 310 Bataillone, 1860 Compagnien, die gegenwärtig eine Stärke von
276,000 Mann besitzen, welche auf dem Kriegsfuß, wo jedes Bataillon sogleich
um 2 Compagnien vermehrt wird, noch ansehnlich verstärkt werden kann. Die


getreu der Geschichte nacherzählt, nicht als der Ausdruck eines nothwendigen Schick¬
sals vor, das den Menschen aller Zeiten gleich verständlich sein muß, sondern als
die Folge von Voraussetzungen, die uns nicht mehr in dem gleichen Maße rührt,
weil sie nicht mehr die unsrigen find.

Man erlaube mir, zum Schluß auf den letzten principiellen Grund hinzu-
deuten, der unsre neuen Dichter zu so ungeheuerlichen Problemen in der Anlage
ihrer Fabeln wie ihrer Charaktere treibt. Vor der großen französischen Revo¬
lution war der Idealismus der strebsamen Jugend ein gleichmäßiger nud ein sicherer;
als der Verlauf dieser Revolution die Erwartungen täuschte, wurde man an seinen
Idealen irre; man fing an, zu analysiren, man bemühte sich, das Unrecht des
Rechts und das Recht des Unrechts sophistisch zu begreifen. Daraus ging eine
Empfindungsweise hervor, die sich selber nicht mehr verstand, eine Poesie, die in
Kontrasten lebte, und ein Glaube, der sich selber ironisirte. Wir werden noch
häufig Gelegenheit haben, auf diese Umkehr der Ideen zurückzukommen.




Das französische Heer.
2.

Das französische Heer, dem östreichischen an Zahl noch überlegen, besteht
ganz aus derselben Nationalität, und wird schon deshalb große Bedeutung in allen
Kämpfen der Zukunft gewinnen. Weder der Elsasser, noch der Baste, noch der
Provence und der Bretagner, die vier verschiedensten Elemente der französischen
Armee, denken daran, ihre Heimath von dem Geschicke Frankreichs zu trennen.
Sie bespötteln einander, und sind eifersüchtig auf einander, gilt es aber den Kampf
gegen das Ausland, so sind sie doch Alle wieder von Kopf bis zur Sohle
Franzosen. Mag auch Frankreich in seinem Innern von noch so vielen poli¬
tischen Parteien zerrissen sein, die Macht seiner Armee gegen das Ausland wird
dadurch nicht geschwächt. Ein edler Nationalstolz wird dem Franzosen nnter allen
Umständen verbieten, fremde Hilfe gegen seine eigenen Landsleute anzurufen;
derselbe Stolz wird ihn feurig uuter die Fahnen führen, sobald er glaubt, daß
auswärtige Mächte sein schönes Vaterland ernstlich bedrohen könnten.

Die französische Infanterie besteht (ungerechnet die abgesonderten eigenthüm¬
lichen Corps in Algerien) in 7ö Linienregimcntern, 25 leichten Regimentern,und
10 Bataillonen O.-^mi» ^ xieü. Jedes Regiment zählt in 3 Bataillonen 18
Compagnien, jedes Chasseur-Bataillon 6 Compagnien, also die gesammte In¬
fanterie 310 Bataillone, 1860 Compagnien, die gegenwärtig eine Stärke von
276,000 Mann besitzen, welche auf dem Kriegsfuß, wo jedes Bataillon sogleich
um 2 Compagnien vermehrt wird, noch ansehnlich verstärkt werden kann. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/451>, abgerufen am 26.04.2024.