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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Die Tyroler und ihre Geschichtschreibung.
Der M.an von Nimm (Joseph Speckbacher) und die Kriegsereignisse in Tyrol 1809.
Nach historischen Quellen bearbeitet v. Joh. Gg. Mähr. Innsbruck -I8S1.

Um im Volke oller Hochmuth niederzuhalten, hat man ihm bekanntlich in
der guten allen Zeit zu Wien nicht gern erlaubt, seine Geschichte selbst zu schreiben, am
wenigsten seine neuere. Ein ordentlicher Mensch wenigstens, der seine Zeit zu
schätzen wußte, konnte sicher nicht viel Lust empfinden, die Früchte seiner Forschung
dem kaiserlichen Censuramt zu unterbreiten, und wer im Auslande etwas drucken ließ,
verfiel in eine Strafe, die selbst den Wohlhabenden zurückschrecken konnte. Das
war nnter Andern: auch eine Ursache, daß die Tyroler ihr Anno Nenn über ein
Menschenalter brach liegen lassen. Speckbacher, der Achilles und Odysseus in
diesem einjährigen Kampfe, fand keinen tyrolischen Homer, so wenig als der Sand¬
wirth. Nur Herr v. Hormayr schrieb einmal einen officiellen Bericht über sich
und das große Jahr, im schwarzgelben halbkomischen Epos, voll Anhänglichkeit
das Haus Habsbmg, das er aber, nachdem er bayrischer Diplomat geworden,
'n die Landesfarben seiner neuen Heimath travestirte, wol um zu zeigen, wie
verschieden sich dieselbe Sache auffassen lasse.

Später trug zwar auch ein friedliebender Justizbcamter sin-; ira c;l swäio
zusammen, was er ans öffentlichen Documenten, aus den Tagebüchern der Führer,
aus mündlichen Erzählungen schöpfen konnte. Er schrieb aber nnr für sich und
für die Tyroler, uicht für's Publicum. Es gehört zu deu archaistischen Zuständen
Tyrols, daß es dort, wie zu den Zeiten des Thucydides und des Tacitus, eine
Literatur giebt, die nur im Mannscripte lebt. Wohlhabende Patnoten lassen sich
solche Handschriften abschreiben, und weisen sie mit einigem Stolz dem Gaste.
Auch Hermann v. Gilm's geharnischte Sonnette gegen die Jesuiten in Tyrol lausen
nur in Abschriften herum. Jenes heimliche Werk über den Tyrolerkrieg soll übri¬
gens sehr wahrheitsgetreu und gründlich sein. Auch die historischen Skizzen,
welche I. I. Staffler in seinem topographischen Handbuchs über Tyrol und Vor¬
arlberg an den betreffenden Orten anhängt, sind sehr genau und verlässig.'


Gr-nzbvten. IV. f.1
Die Tyroler und ihre Geschichtschreibung.
Der M.an von Nimm (Joseph Speckbacher) und die Kriegsereignisse in Tyrol 1809.
Nach historischen Quellen bearbeitet v. Joh. Gg. Mähr. Innsbruck -I8S1.

Um im Volke oller Hochmuth niederzuhalten, hat man ihm bekanntlich in
der guten allen Zeit zu Wien nicht gern erlaubt, seine Geschichte selbst zu schreiben, am
wenigsten seine neuere. Ein ordentlicher Mensch wenigstens, der seine Zeit zu
schätzen wußte, konnte sicher nicht viel Lust empfinden, die Früchte seiner Forschung
dem kaiserlichen Censuramt zu unterbreiten, und wer im Auslande etwas drucken ließ,
verfiel in eine Strafe, die selbst den Wohlhabenden zurückschrecken konnte. Das
war nnter Andern: auch eine Ursache, daß die Tyroler ihr Anno Nenn über ein
Menschenalter brach liegen lassen. Speckbacher, der Achilles und Odysseus in
diesem einjährigen Kampfe, fand keinen tyrolischen Homer, so wenig als der Sand¬
wirth. Nur Herr v. Hormayr schrieb einmal einen officiellen Bericht über sich
und das große Jahr, im schwarzgelben halbkomischen Epos, voll Anhänglichkeit
das Haus Habsbmg, das er aber, nachdem er bayrischer Diplomat geworden,
'n die Landesfarben seiner neuen Heimath travestirte, wol um zu zeigen, wie
verschieden sich dieselbe Sache auffassen lasse.

Später trug zwar auch ein friedliebender Justizbcamter sin-; ira c;l swäio
zusammen, was er ans öffentlichen Documenten, aus den Tagebüchern der Führer,
aus mündlichen Erzählungen schöpfen konnte. Er schrieb aber nnr für sich und
für die Tyroler, uicht für's Publicum. Es gehört zu deu archaistischen Zuständen
Tyrols, daß es dort, wie zu den Zeiten des Thucydides und des Tacitus, eine
Literatur giebt, die nur im Mannscripte lebt. Wohlhabende Patnoten lassen sich
solche Handschriften abschreiben, und weisen sie mit einigem Stolz dem Gaste.
Auch Hermann v. Gilm's geharnischte Sonnette gegen die Jesuiten in Tyrol lausen
nur in Abschriften herum. Jenes heimliche Werk über den Tyrolerkrieg soll übri¬
gens sehr wahrheitsgetreu und gründlich sein. Auch die historischen Skizzen,
welche I. I. Staffler in seinem topographischen Handbuchs über Tyrol und Vor¬
arlberg an den betreffenden Orten anhängt, sind sehr genau und verlässig.'


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[0485] Die Tyroler und ihre Geschichtschreibung. Der M.an von Nimm (Joseph Speckbacher) und die Kriegsereignisse in Tyrol 1809. Nach historischen Quellen bearbeitet v. Joh. Gg. Mähr. Innsbruck -I8S1. Um im Volke oller Hochmuth niederzuhalten, hat man ihm bekanntlich in der guten allen Zeit zu Wien nicht gern erlaubt, seine Geschichte selbst zu schreiben, am wenigsten seine neuere. Ein ordentlicher Mensch wenigstens, der seine Zeit zu schätzen wußte, konnte sicher nicht viel Lust empfinden, die Früchte seiner Forschung dem kaiserlichen Censuramt zu unterbreiten, und wer im Auslande etwas drucken ließ, verfiel in eine Strafe, die selbst den Wohlhabenden zurückschrecken konnte. Das war nnter Andern: auch eine Ursache, daß die Tyroler ihr Anno Nenn über ein Menschenalter brach liegen lassen. Speckbacher, der Achilles und Odysseus in diesem einjährigen Kampfe, fand keinen tyrolischen Homer, so wenig als der Sand¬ wirth. Nur Herr v. Hormayr schrieb einmal einen officiellen Bericht über sich und das große Jahr, im schwarzgelben halbkomischen Epos, voll Anhänglichkeit das Haus Habsbmg, das er aber, nachdem er bayrischer Diplomat geworden, 'n die Landesfarben seiner neuen Heimath travestirte, wol um zu zeigen, wie verschieden sich dieselbe Sache auffassen lasse. Später trug zwar auch ein friedliebender Justizbcamter sin-; ira c;l swäio zusammen, was er ans öffentlichen Documenten, aus den Tagebüchern der Führer, aus mündlichen Erzählungen schöpfen konnte. Er schrieb aber nnr für sich und für die Tyroler, uicht für's Publicum. Es gehört zu deu archaistischen Zuständen Tyrols, daß es dort, wie zu den Zeiten des Thucydides und des Tacitus, eine Literatur giebt, die nur im Mannscripte lebt. Wohlhabende Patnoten lassen sich solche Handschriften abschreiben, und weisen sie mit einigem Stolz dem Gaste. Auch Hermann v. Gilm's geharnischte Sonnette gegen die Jesuiten in Tyrol lausen nur in Abschriften herum. Jenes heimliche Werk über den Tyrolerkrieg soll übri¬ gens sehr wahrheitsgetreu und gründlich sein. Auch die historischen Skizzen, welche I. I. Staffler in seinem topographischen Handbuchs über Tyrol und Vor¬ arlberg an den betreffenden Orten anhängt, sind sehr genau und verlässig.' Gr-nzbvten. IV. f.1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/485>, abgerufen am 26.04.2024.