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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Welcher Freiheit sich jetzt die östreichische Clio erfreue, kann man im Aus¬
lande nicht recht wissen -- der Eifer, die Wahrheit zu sagen, möchte ihr, als
Märzerruugenschaft, leicht gefährlich werden, und vielleicht sind ihre schönsten Tage
schon vorbei. In einem solchen Falle hatten die Tyroler, scheint es, einen ein¬
ladenden Moment für die Pflege der Historiographie ihres Hcldenzeitalters ver¬
streichen lassen, wenn ihnen überhaupt daran liegt, auf diesem, kleinen Punkte ihre
Kraft zu sammeln.

Vielleicht hat aber auch der Gegenstand sein Interesse verloren. Der Prosit
aus dein Kriege für Gott, Kaiser und Vaterland war sehr gering, der Schaden
sehr bedeutend, nud die Helden selber, als man sie nachher im Frieden wieder
sah, nahmen sich nicht zum besten aus. Als die k. k. Landrichter und Adjuncten
wieder ans ihren Schrcibstühlen saßen, lehrten sie die "Rebeller" in kurzer Zeit,
eben so demüthig zu sein, als die anderen Unterthanen. Vielen davon ging es
schlecht -- manchen sagte man nach, sie hätten schon zuvor sich nimmer helfen kön¬
nen, und nnr deswegen angethan. Mancher berühmte Mann, der mit der Feder
nicht vorwärts konnte, kroch in ein bescheidenes Dicnstchcn unter, oder beschloß
seine Tage als verschämter Armer. Es war auch eine ganz andere Zeit gekom¬
men, ein anderes Geschlecht herangewachsen. Der Kaiser ließ sich nicht mehr
gern daran erinnern, daß er einmal selbst ein Insurgent gewesen; die jüngeren
Bauern wollten nicht recht einsehen, warum ihre Väter für die "Herren"
ihre Hofe hatten verbrennen lassen; die Studirten murrten über die Pfassenwirth-
schaft, über die untauglichen Laudcsgvnverncure, die immer unter geistlicher Cu-
ratel standen, über das imbecille Ständewesen, über den ganzen lichtscheuen, küm¬
merlichen, zopfigen Quark. Die letzten drei Jahre haben an dieser Stimmung
anch nichts gebessert, vielmehr sie schlimmer gemacht. In Tyrol hat man von der
großen Bewegung der letzten Jahre auch ein wenig mehr erwartet, als sie
bis jetzt gebracht hat. Fürchten doch Manche, es werde selbst noch die von Franz l-
schvn übel zugerichtete Laudeüverfassuug in Trümmer gehen, sür die man doch
Anno Neun allererst gekämpft. Und überdies ist jetzt alles baare Geld dahin,
und der Schweiß des Angesichts, mit dem der Bauer sein Brod verdient, verkehrt
sich in liederliche Papierfetzen, von denen man kaum weiß, was sie heute werth
sind, viel weniger morgen. O, ums klingt stolzer und herrlicher, als so ein tüch¬
tiger Wurf bayrischer Thaler, wie ihn oft die glücklichen Fremden über die Wirths¬
tische hinschlcudern! Wie würdig muß das Leben sein in jenen Ländern,
wo solch edle Werthzeichen noch im täglichen Verkehr sind! Das wäre, meint
man, alles anders, wenn sich der Sandwirth von dem Herrn von Hormayr nicht
so erbärmlich hätte foppen lassen. -- Indessen, wenn der Sandwirth hätte wissen
können, wie es nachher kam, hätte er sich wol seinen frühen Tod erspart, hätte
ruhig die Fürsten würfeln lassen über sein theures Vaterland; er hätte auf seine
Nevvlutivnsbefugniß, die ihm selbst nach Bluntschli's neuestem Staatsrecht S. 7t>3


Welcher Freiheit sich jetzt die östreichische Clio erfreue, kann man im Aus¬
lande nicht recht wissen — der Eifer, die Wahrheit zu sagen, möchte ihr, als
Märzerruugenschaft, leicht gefährlich werden, und vielleicht sind ihre schönsten Tage
schon vorbei. In einem solchen Falle hatten die Tyroler, scheint es, einen ein¬
ladenden Moment für die Pflege der Historiographie ihres Hcldenzeitalters ver¬
streichen lassen, wenn ihnen überhaupt daran liegt, auf diesem, kleinen Punkte ihre
Kraft zu sammeln.

Vielleicht hat aber auch der Gegenstand sein Interesse verloren. Der Prosit
aus dein Kriege für Gott, Kaiser und Vaterland war sehr gering, der Schaden
sehr bedeutend, nud die Helden selber, als man sie nachher im Frieden wieder
sah, nahmen sich nicht zum besten aus. Als die k. k. Landrichter und Adjuncten
wieder ans ihren Schrcibstühlen saßen, lehrten sie die „Rebeller" in kurzer Zeit,
eben so demüthig zu sein, als die anderen Unterthanen. Vielen davon ging es
schlecht — manchen sagte man nach, sie hätten schon zuvor sich nimmer helfen kön¬
nen, und nnr deswegen angethan. Mancher berühmte Mann, der mit der Feder
nicht vorwärts konnte, kroch in ein bescheidenes Dicnstchcn unter, oder beschloß
seine Tage als verschämter Armer. Es war auch eine ganz andere Zeit gekom¬
men, ein anderes Geschlecht herangewachsen. Der Kaiser ließ sich nicht mehr
gern daran erinnern, daß er einmal selbst ein Insurgent gewesen; die jüngeren
Bauern wollten nicht recht einsehen, warum ihre Väter für die „Herren"
ihre Hofe hatten verbrennen lassen; die Studirten murrten über die Pfassenwirth-
schaft, über die untauglichen Laudcsgvnverncure, die immer unter geistlicher Cu-
ratel standen, über das imbecille Ständewesen, über den ganzen lichtscheuen, küm¬
merlichen, zopfigen Quark. Die letzten drei Jahre haben an dieser Stimmung
anch nichts gebessert, vielmehr sie schlimmer gemacht. In Tyrol hat man von der
großen Bewegung der letzten Jahre auch ein wenig mehr erwartet, als sie
bis jetzt gebracht hat. Fürchten doch Manche, es werde selbst noch die von Franz l-
schvn übel zugerichtete Laudeüverfassuug in Trümmer gehen, sür die man doch
Anno Neun allererst gekämpft. Und überdies ist jetzt alles baare Geld dahin,
und der Schweiß des Angesichts, mit dem der Bauer sein Brod verdient, verkehrt
sich in liederliche Papierfetzen, von denen man kaum weiß, was sie heute werth
sind, viel weniger morgen. O, ums klingt stolzer und herrlicher, als so ein tüch¬
tiger Wurf bayrischer Thaler, wie ihn oft die glücklichen Fremden über die Wirths¬
tische hinschlcudern! Wie würdig muß das Leben sein in jenen Ländern,
wo solch edle Werthzeichen noch im täglichen Verkehr sind! Das wäre, meint
man, alles anders, wenn sich der Sandwirth von dem Herrn von Hormayr nicht
so erbärmlich hätte foppen lassen. — Indessen, wenn der Sandwirth hätte wissen
können, wie es nachher kam, hätte er sich wol seinen frühen Tod erspart, hätte
ruhig die Fürsten würfeln lassen über sein theures Vaterland; er hätte auf seine
Nevvlutivnsbefugniß, die ihm selbst nach Bluntschli's neuestem Staatsrecht S. 7t>3


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[0486] Welcher Freiheit sich jetzt die östreichische Clio erfreue, kann man im Aus¬ lande nicht recht wissen — der Eifer, die Wahrheit zu sagen, möchte ihr, als Märzerruugenschaft, leicht gefährlich werden, und vielleicht sind ihre schönsten Tage schon vorbei. In einem solchen Falle hatten die Tyroler, scheint es, einen ein¬ ladenden Moment für die Pflege der Historiographie ihres Hcldenzeitalters ver¬ streichen lassen, wenn ihnen überhaupt daran liegt, auf diesem, kleinen Punkte ihre Kraft zu sammeln. Vielleicht hat aber auch der Gegenstand sein Interesse verloren. Der Prosit aus dein Kriege für Gott, Kaiser und Vaterland war sehr gering, der Schaden sehr bedeutend, nud die Helden selber, als man sie nachher im Frieden wieder sah, nahmen sich nicht zum besten aus. Als die k. k. Landrichter und Adjuncten wieder ans ihren Schrcibstühlen saßen, lehrten sie die „Rebeller" in kurzer Zeit, eben so demüthig zu sein, als die anderen Unterthanen. Vielen davon ging es schlecht — manchen sagte man nach, sie hätten schon zuvor sich nimmer helfen kön¬ nen, und nnr deswegen angethan. Mancher berühmte Mann, der mit der Feder nicht vorwärts konnte, kroch in ein bescheidenes Dicnstchcn unter, oder beschloß seine Tage als verschämter Armer. Es war auch eine ganz andere Zeit gekom¬ men, ein anderes Geschlecht herangewachsen. Der Kaiser ließ sich nicht mehr gern daran erinnern, daß er einmal selbst ein Insurgent gewesen; die jüngeren Bauern wollten nicht recht einsehen, warum ihre Väter für die „Herren" ihre Hofe hatten verbrennen lassen; die Studirten murrten über die Pfassenwirth- schaft, über die untauglichen Laudcsgvnverncure, die immer unter geistlicher Cu- ratel standen, über das imbecille Ständewesen, über den ganzen lichtscheuen, küm¬ merlichen, zopfigen Quark. Die letzten drei Jahre haben an dieser Stimmung anch nichts gebessert, vielmehr sie schlimmer gemacht. In Tyrol hat man von der großen Bewegung der letzten Jahre auch ein wenig mehr erwartet, als sie bis jetzt gebracht hat. Fürchten doch Manche, es werde selbst noch die von Franz l- schvn übel zugerichtete Laudeüverfassuug in Trümmer gehen, sür die man doch Anno Neun allererst gekämpft. Und überdies ist jetzt alles baare Geld dahin, und der Schweiß des Angesichts, mit dem der Bauer sein Brod verdient, verkehrt sich in liederliche Papierfetzen, von denen man kaum weiß, was sie heute werth sind, viel weniger morgen. O, ums klingt stolzer und herrlicher, als so ein tüch¬ tiger Wurf bayrischer Thaler, wie ihn oft die glücklichen Fremden über die Wirths¬ tische hinschlcudern! Wie würdig muß das Leben sein in jenen Ländern, wo solch edle Werthzeichen noch im täglichen Verkehr sind! Das wäre, meint man, alles anders, wenn sich der Sandwirth von dem Herrn von Hormayr nicht so erbärmlich hätte foppen lassen. — Indessen, wenn der Sandwirth hätte wissen können, wie es nachher kam, hätte er sich wol seinen frühen Tod erspart, hätte ruhig die Fürsten würfeln lassen über sein theures Vaterland; er hätte auf seine Nevvlutivnsbefugniß, die ihm selbst nach Bluntschli's neuestem Staatsrecht S. 7t>3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/486>, abgerufen am 07.05.2024.