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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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anderweitige Verbündete zu recurriren, muß nun ihre Zeit abwarten, die jedenfalls
kommen wird, die aber durch die leidenschaftliche Gereiztheit der letzten Sitzungen
kann beschleunigt werden dürste. Zudem ist das vollständige Aufgeben der Na-
dowitz'schen Union, so wie die Wiederherstellung des Bundestags, eine Thatsache,
mit der wir ebenso rechnen müssen, wie mit der Thatsache der beschworner Ver¬
fassung. Für den Augenblick wird unsre Hauptaufgabe die sein, das konservative
Princip aufrecht zu erhalten gegen die Angriffe von Seiten der Rechten, die mit
allem Ungestüm eines eben erfochtenen parlamentarischen Sieges auf ihre Beute
stürzt. Um diesen Angriffen parlamentarisch zu begegnen, werden wir die Unter¬
stützung des Centrums nicht entbehren können, und es scheint daher nicht ange¬
messen, augenblicklich mit demselben zu brechen. Mittlerweile wird die Regierung
durch ihre kirchlichen Reformen uns hinlänglich die Bahn ebnen, von neuem die
Offensive zu ergreifen, die sich uicht auf das Gestern beziehen soll, sondern auf
das Heute. Wir haben dahin zu trachten, daß diese neue Phase uns bei unge¬
schwächten Kräften und ungebeugtem Muthe antrifft.




Schauspieler-Silhouetten.
1. Auguste Crelinger.

Keine Biographie will ich schreiben. Ich habe es nicht mit einer Chrono¬
logie des Lebens, noch mit der Reihenfolge der Rollen zu thun, wonach die
Jahre einer Schauspielerin zählen, sondern mit der vollendeten künstlerischen
Persönlichkeit. Auguste Crelinger vollendete sich, als sie die erste Jngend über¬
schritten, das sogenannte Fach der Liebhaberinnen hinter sich gelassen und das
ganze Gebiet des Hochtragischen in den Bereich ihrer Darstellung gezogen. Sie
ist gleich vollendet geblieben bis heute; selbst die Fünfzigerin glänzt noch als
Antigone, wenn auch die Zeit von dem Wohllaut ihrer Stimme den feineren
Schmelz des Klanges verwehte, und die gewaltigste Energie ihres Tones herun-
tcrstimmte, wenn auch die hohe Gestalt nicht mehr so leicht und elastisch einher¬
schreitet wie ehemals. Es entspricht dem Verhältniß des deutschen Charakters
zum französischen, daß jener seine Mars nicht in der Comödie, sondern in der
Tragödie besitzt.

Auguste Crelinger und Karl Seydelmann sind die Namen, welche für das
neuere Berliner Theater die Höhepunkte der idealistischen und der realistischen
Richtung in der Schanspielknnst bezeichnen. Die schöne Charlotte v. Hagn gehörte
zwar anch der letztern Richtung an, aber mehr durch eine glücklich organisirte


anderweitige Verbündete zu recurriren, muß nun ihre Zeit abwarten, die jedenfalls
kommen wird, die aber durch die leidenschaftliche Gereiztheit der letzten Sitzungen
kann beschleunigt werden dürste. Zudem ist das vollständige Aufgeben der Na-
dowitz'schen Union, so wie die Wiederherstellung des Bundestags, eine Thatsache,
mit der wir ebenso rechnen müssen, wie mit der Thatsache der beschworner Ver¬
fassung. Für den Augenblick wird unsre Hauptaufgabe die sein, das konservative
Princip aufrecht zu erhalten gegen die Angriffe von Seiten der Rechten, die mit
allem Ungestüm eines eben erfochtenen parlamentarischen Sieges auf ihre Beute
stürzt. Um diesen Angriffen parlamentarisch zu begegnen, werden wir die Unter¬
stützung des Centrums nicht entbehren können, und es scheint daher nicht ange¬
messen, augenblicklich mit demselben zu brechen. Mittlerweile wird die Regierung
durch ihre kirchlichen Reformen uns hinlänglich die Bahn ebnen, von neuem die
Offensive zu ergreifen, die sich uicht auf das Gestern beziehen soll, sondern auf
das Heute. Wir haben dahin zu trachten, daß diese neue Phase uns bei unge¬
schwächten Kräften und ungebeugtem Muthe antrifft.




Schauspieler-Silhouetten.
1. Auguste Crelinger.

Keine Biographie will ich schreiben. Ich habe es nicht mit einer Chrono¬
logie des Lebens, noch mit der Reihenfolge der Rollen zu thun, wonach die
Jahre einer Schauspielerin zählen, sondern mit der vollendeten künstlerischen
Persönlichkeit. Auguste Crelinger vollendete sich, als sie die erste Jngend über¬
schritten, das sogenannte Fach der Liebhaberinnen hinter sich gelassen und das
ganze Gebiet des Hochtragischen in den Bereich ihrer Darstellung gezogen. Sie
ist gleich vollendet geblieben bis heute; selbst die Fünfzigerin glänzt noch als
Antigone, wenn auch die Zeit von dem Wohllaut ihrer Stimme den feineren
Schmelz des Klanges verwehte, und die gewaltigste Energie ihres Tones herun-
tcrstimmte, wenn auch die hohe Gestalt nicht mehr so leicht und elastisch einher¬
schreitet wie ehemals. Es entspricht dem Verhältniß des deutschen Charakters
zum französischen, daß jener seine Mars nicht in der Comödie, sondern in der
Tragödie besitzt.

Auguste Crelinger und Karl Seydelmann sind die Namen, welche für das
neuere Berliner Theater die Höhepunkte der idealistischen und der realistischen
Richtung in der Schanspielknnst bezeichnen. Die schöne Charlotte v. Hagn gehörte
zwar anch der letztern Richtung an, aber mehr durch eine glücklich organisirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/115>, abgerufen am 29.04.2024.