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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Persönlichkeit und einen bald anmuthig fesselnden, bald in kecker Laune sich ver¬
irrenden Naturalismus, als durch einen ausgebildeten Styl.

Die Schule des Realismus bildete den Anfang einer selbstständigen Schau¬
spielkunst in Deutschland. Von Eckhoff erstrebt, von Lessing dichterisch unterstützt,
von Schröder zum vollendeten Ausdruck der Natnrwcchrheit entwickelt, wurde
sie durch die Goethe-Schiller-Epoche unsrer Literatur unterbrochen. Fast gleich¬
zeitig mit ihr, von ihr geweckt und getragen, brach sich durch Fleck's geniale
Natur die ideale Darstellungsweise eine breite Bahn auf dem deutschen Theater,
und Jffland, obwol mit seiner Persönlichkeit und ersten Entwickelung auf die
realistische Richtung hingewiesen, geriet!) in Schwanken, als man zu Weimar,
unter Goethe's Einfluß, deu Idealismus in ästhetische Regeln brachte und hier¬
mit den Grund zu einer idealistischen Schule legte.

In die Goethe-Schiller-Periode wurzelt Auguste Crelinger. Ihre Jugend
wurde noch berührt von der Begeisterung der verjüngten deutschen Poesie, und
eine hohe, zum heroisch Tragischen wohl ausgestattete Gestalt, ein volles, klang¬
reiches Stimmorgan unterstützten diese Begeisterung um so mehr, je tiefer das
Lebensschicksal in die Seele der jungen Schauspielerin griff. Ihre spätere Ent¬
wickelung hat das Werden ihrer Jugend nur befestigt. Wie die Romantik, von
Goethe und Schiller im Dienste eines erhabenen Schönheits-Jdeals ihrer poeti¬
schen Vollendung entgegenführt, den Cultus des Gemüths von den Einflüssen der
lebendigen Wirklichkeit trennte, so blieb die Auffassungsweise der Crelinger mehr
Seelenforschnng im Dichterwerke, als Menschenbeobachtung in der Wirklichkeit des
Lebens. Wie wunderbar von jeher mich ihre Jsabella in der Braut von Mes¬
sina mit der furchtbaren Gewalt ihres Schmerzes ergriff, wie innig ihre Eleonora
im Tasso durch die ruhige Form schöner Innerlichkeit mich fesselte, so wenig war
ich je von ihrer Orsina befriedigt. Hier soll die gewaltigste Leidenschaft sich be¬
grenzen durch die bestimmten Formen eines wirklichen, unsrer Erfahrung nahe
liegenden Lebenskreises, einer modern gesellschaftlichen Zeit; hier durchbrach die
Crelinger stets die eigenthümlichen Schranken dieses Kreises und dieser Zeit durch
idealheroische Mimik und Plastik. Die zum Theil im Konventionellen wurzelnde
Gesellschaftsform, welche zur> zweiten Natur des modernen Lebens geworden,
ohne an sich selbst einen idealen Inhalt zu verrathen, ist völlig Sache der Be¬
obachtung, und nicht auf dem Wege idealischer Speculation zu erforschen. Ich
will damit nicht sagen, daß die Crelinger in Charakteren aus der modernen Welt
sich nicht bewegen könne; aber sie sagen ihr doch nur in so fern zu, als die An¬
forderungen der Darstellung sich in äußerer maßvoller Repräsentation befriedigen.
Sobald die Seelenstimmung solcher Charaktere in das Stadium des Affects
tritt, geräth das Pathos der Künstlerin in Widerspruch mit der Wirklichkeit des
Lebens. Wie anders dagegen in der Jsabella! Hier baut das innere Maß
der Crelinger dem Dichter die Brücke der Versöhnung mit der Wahrheit. Jsa-


Persönlichkeit und einen bald anmuthig fesselnden, bald in kecker Laune sich ver¬
irrenden Naturalismus, als durch einen ausgebildeten Styl.

Die Schule des Realismus bildete den Anfang einer selbstständigen Schau¬
spielkunst in Deutschland. Von Eckhoff erstrebt, von Lessing dichterisch unterstützt,
von Schröder zum vollendeten Ausdruck der Natnrwcchrheit entwickelt, wurde
sie durch die Goethe-Schiller-Epoche unsrer Literatur unterbrochen. Fast gleich¬
zeitig mit ihr, von ihr geweckt und getragen, brach sich durch Fleck's geniale
Natur die ideale Darstellungsweise eine breite Bahn auf dem deutschen Theater,
und Jffland, obwol mit seiner Persönlichkeit und ersten Entwickelung auf die
realistische Richtung hingewiesen, geriet!) in Schwanken, als man zu Weimar,
unter Goethe's Einfluß, deu Idealismus in ästhetische Regeln brachte und hier¬
mit den Grund zu einer idealistischen Schule legte.

In die Goethe-Schiller-Periode wurzelt Auguste Crelinger. Ihre Jugend
wurde noch berührt von der Begeisterung der verjüngten deutschen Poesie, und
eine hohe, zum heroisch Tragischen wohl ausgestattete Gestalt, ein volles, klang¬
reiches Stimmorgan unterstützten diese Begeisterung um so mehr, je tiefer das
Lebensschicksal in die Seele der jungen Schauspielerin griff. Ihre spätere Ent¬
wickelung hat das Werden ihrer Jugend nur befestigt. Wie die Romantik, von
Goethe und Schiller im Dienste eines erhabenen Schönheits-Jdeals ihrer poeti¬
schen Vollendung entgegenführt, den Cultus des Gemüths von den Einflüssen der
lebendigen Wirklichkeit trennte, so blieb die Auffassungsweise der Crelinger mehr
Seelenforschnng im Dichterwerke, als Menschenbeobachtung in der Wirklichkeit des
Lebens. Wie wunderbar von jeher mich ihre Jsabella in der Braut von Mes¬
sina mit der furchtbaren Gewalt ihres Schmerzes ergriff, wie innig ihre Eleonora
im Tasso durch die ruhige Form schöner Innerlichkeit mich fesselte, so wenig war
ich je von ihrer Orsina befriedigt. Hier soll die gewaltigste Leidenschaft sich be¬
grenzen durch die bestimmten Formen eines wirklichen, unsrer Erfahrung nahe
liegenden Lebenskreises, einer modern gesellschaftlichen Zeit; hier durchbrach die
Crelinger stets die eigenthümlichen Schranken dieses Kreises und dieser Zeit durch
idealheroische Mimik und Plastik. Die zum Theil im Konventionellen wurzelnde
Gesellschaftsform, welche zur> zweiten Natur des modernen Lebens geworden,
ohne an sich selbst einen idealen Inhalt zu verrathen, ist völlig Sache der Be¬
obachtung, und nicht auf dem Wege idealischer Speculation zu erforschen. Ich
will damit nicht sagen, daß die Crelinger in Charakteren aus der modernen Welt
sich nicht bewegen könne; aber sie sagen ihr doch nur in so fern zu, als die An¬
forderungen der Darstellung sich in äußerer maßvoller Repräsentation befriedigen.
Sobald die Seelenstimmung solcher Charaktere in das Stadium des Affects
tritt, geräth das Pathos der Künstlerin in Widerspruch mit der Wirklichkeit des
Lebens. Wie anders dagegen in der Jsabella! Hier baut das innere Maß
der Crelinger dem Dichter die Brücke der Versöhnung mit der Wahrheit. Jsa-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/116>, abgerufen am 16.05.2024.