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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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auch geneigt ist, alles Ungewöhnliche und Uebereilte als Vermessenheit anzusehen.
Wenn er mit Scharnhorst in ein besseres Verhältniß trat, so war das nur in
Folge der Anerkennung seiner praktischen Tüchtigkeit und seines gemessenen Ver¬
haltens; Stein dagegen mit seiner hochfliegenden souverainen und etwas exaltirten
Natur war ihm in der Seele zuwider.

In den kleinsten Zügen seines Wesens finden wir diesen Grundzug wieder.
Ein sehr hübscher Zug ist jene Anekdote, wie er seine Kinder in der Nebenstube
die Geschichte von Mucius Scävola besprechen hört und augenblicklich mit ihnen
die Probe macht, ob ihr Stoicismus sich auch praktisch bewähren wird. Eben so
jene Aeußerung, als ein Officier des Marschall Macdonald ihn bei Nacht aus
dem Bette stört, um ihm einen Brief voll der leidenschaftlichsten Vorwürfe zu
überbringen, und ihn ironisch fragt, was er nun thun wolle, woraus er ihm sehr
ruhig erwidert: "Weiter schlafen, sobald Sie fortgegangen sein werden". -- Eben so
kühl, schroff und verschlossen hat er sich im Umgang sowol mit seinen Officieren,
als namentlich mit dem Civilstande gezeigt. Nirgend hat er Vertrauen erweckt,
aber doch durch seiue Solidität überall Achtung eingeflößt.

Unzweifelhaft wird der zweite Band des Werkes dieses Bild in vielen Punkten
ergänzen und berichtigen. Bis dahin möchten wir nnr noch auf einen Umstand
aufmerksam machen, der in dieser Lecture wieder so recht schlagend hervortritt,
daß Preußen allerdings zu großen Dingen berufen ist, daß es aber nur mit be¬
ständiger Gefahr seines eignen Untergangs seinem Beruf nachgehen kann, daß
also der bloße Enthusiasmus für die preußische Ehre und für die Reminiscenzen
vom alten Fritz nicht ausreicht, sondern daß jene zähe, harte und kalte Beständig¬
keit hinzukommen muß, die wir in Uork so sehr anerkennen. Ohne die Steigerung
des Enthusiasmus ist sie allerdings-unfruchtbar, und würde Preußen allmälig aus
der Reihe der souverainen Mächte drängen, aber ohne sie darf sich der Enthu¬
siasmus mit keinem Erfolg schmeicheln.




Türkisch-slawische Zustände im Jahre S85t.
I. Die Böhmische Jnsurrection.

Unter allen Provinzen der europäischen Türkei zeichnete sich Bosnien von
jeher durch seinen ungefügen Geist aus. Dasselbe unstäte Element, welches Bos¬
nien in vortürkischer Zeit zu einem Schauplätze unaufhörlicher religiöser Kämpfe
machte, hat sich trotz dem Wechsel aller religiösen und politischen Verhältnisse bis
heute erhalten; seine Aristokratie, ehemals patarenisch und jetzt muhamedanisch,
bewahrte das Ferment, welches den Untergang des böhmischen Nationalstaates in


auch geneigt ist, alles Ungewöhnliche und Uebereilte als Vermessenheit anzusehen.
Wenn er mit Scharnhorst in ein besseres Verhältniß trat, so war das nur in
Folge der Anerkennung seiner praktischen Tüchtigkeit und seines gemessenen Ver¬
haltens; Stein dagegen mit seiner hochfliegenden souverainen und etwas exaltirten
Natur war ihm in der Seele zuwider.

In den kleinsten Zügen seines Wesens finden wir diesen Grundzug wieder.
Ein sehr hübscher Zug ist jene Anekdote, wie er seine Kinder in der Nebenstube
die Geschichte von Mucius Scävola besprechen hört und augenblicklich mit ihnen
die Probe macht, ob ihr Stoicismus sich auch praktisch bewähren wird. Eben so
jene Aeußerung, als ein Officier des Marschall Macdonald ihn bei Nacht aus
dem Bette stört, um ihm einen Brief voll der leidenschaftlichsten Vorwürfe zu
überbringen, und ihn ironisch fragt, was er nun thun wolle, woraus er ihm sehr
ruhig erwidert: „Weiter schlafen, sobald Sie fortgegangen sein werden". — Eben so
kühl, schroff und verschlossen hat er sich im Umgang sowol mit seinen Officieren,
als namentlich mit dem Civilstande gezeigt. Nirgend hat er Vertrauen erweckt,
aber doch durch seiue Solidität überall Achtung eingeflößt.

Unzweifelhaft wird der zweite Band des Werkes dieses Bild in vielen Punkten
ergänzen und berichtigen. Bis dahin möchten wir nnr noch auf einen Umstand
aufmerksam machen, der in dieser Lecture wieder so recht schlagend hervortritt,
daß Preußen allerdings zu großen Dingen berufen ist, daß es aber nur mit be¬
ständiger Gefahr seines eignen Untergangs seinem Beruf nachgehen kann, daß
also der bloße Enthusiasmus für die preußische Ehre und für die Reminiscenzen
vom alten Fritz nicht ausreicht, sondern daß jene zähe, harte und kalte Beständig¬
keit hinzukommen muß, die wir in Uork so sehr anerkennen. Ohne die Steigerung
des Enthusiasmus ist sie allerdings-unfruchtbar, und würde Preußen allmälig aus
der Reihe der souverainen Mächte drängen, aber ohne sie darf sich der Enthu¬
siasmus mit keinem Erfolg schmeicheln.




Türkisch-slawische Zustände im Jahre S85t.
I. Die Böhmische Jnsurrection.

Unter allen Provinzen der europäischen Türkei zeichnete sich Bosnien von
jeher durch seinen ungefügen Geist aus. Dasselbe unstäte Element, welches Bos¬
nien in vortürkischer Zeit zu einem Schauplätze unaufhörlicher religiöser Kämpfe
machte, hat sich trotz dem Wechsel aller religiösen und politischen Verhältnisse bis
heute erhalten; seine Aristokratie, ehemals patarenisch und jetzt muhamedanisch,
bewahrte das Ferment, welches den Untergang des böhmischen Nationalstaates in


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[0192] auch geneigt ist, alles Ungewöhnliche und Uebereilte als Vermessenheit anzusehen. Wenn er mit Scharnhorst in ein besseres Verhältniß trat, so war das nur in Folge der Anerkennung seiner praktischen Tüchtigkeit und seines gemessenen Ver¬ haltens; Stein dagegen mit seiner hochfliegenden souverainen und etwas exaltirten Natur war ihm in der Seele zuwider. In den kleinsten Zügen seines Wesens finden wir diesen Grundzug wieder. Ein sehr hübscher Zug ist jene Anekdote, wie er seine Kinder in der Nebenstube die Geschichte von Mucius Scävola besprechen hört und augenblicklich mit ihnen die Probe macht, ob ihr Stoicismus sich auch praktisch bewähren wird. Eben so jene Aeußerung, als ein Officier des Marschall Macdonald ihn bei Nacht aus dem Bette stört, um ihm einen Brief voll der leidenschaftlichsten Vorwürfe zu überbringen, und ihn ironisch fragt, was er nun thun wolle, woraus er ihm sehr ruhig erwidert: „Weiter schlafen, sobald Sie fortgegangen sein werden". — Eben so kühl, schroff und verschlossen hat er sich im Umgang sowol mit seinen Officieren, als namentlich mit dem Civilstande gezeigt. Nirgend hat er Vertrauen erweckt, aber doch durch seiue Solidität überall Achtung eingeflößt. Unzweifelhaft wird der zweite Band des Werkes dieses Bild in vielen Punkten ergänzen und berichtigen. Bis dahin möchten wir nnr noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der in dieser Lecture wieder so recht schlagend hervortritt, daß Preußen allerdings zu großen Dingen berufen ist, daß es aber nur mit be¬ ständiger Gefahr seines eignen Untergangs seinem Beruf nachgehen kann, daß also der bloße Enthusiasmus für die preußische Ehre und für die Reminiscenzen vom alten Fritz nicht ausreicht, sondern daß jene zähe, harte und kalte Beständig¬ keit hinzukommen muß, die wir in Uork so sehr anerkennen. Ohne die Steigerung des Enthusiasmus ist sie allerdings-unfruchtbar, und würde Preußen allmälig aus der Reihe der souverainen Mächte drängen, aber ohne sie darf sich der Enthu¬ siasmus mit keinem Erfolg schmeicheln. Türkisch-slawische Zustände im Jahre S85t. I. Die Böhmische Jnsurrection. Unter allen Provinzen der europäischen Türkei zeichnete sich Bosnien von jeher durch seinen ungefügen Geist aus. Dasselbe unstäte Element, welches Bos¬ nien in vortürkischer Zeit zu einem Schauplätze unaufhörlicher religiöser Kämpfe machte, hat sich trotz dem Wechsel aller religiösen und politischen Verhältnisse bis heute erhalten; seine Aristokratie, ehemals patarenisch und jetzt muhamedanisch, bewahrte das Ferment, welches den Untergang des böhmischen Nationalstaates in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/192>, abgerufen am 28.04.2024.