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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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dire",den Generals in persönliche Verhältnisse mit denselben einzulassen, oder gar
sich in einen Enthusiasmus für den großen Kaiser hineinznschwindeln, aber die
Achtung vor dem Marschall, der den preußischen Truppen volles Vertrauen schenkte,
ist doch immer in Anschlag zu bringen, und dieses Moment wurde keineswegs
dadurch schwächer, daß seine persönliche Stellung zum Marsch all in der letzten
Zeit eine mißliche geworden war.

Alle diese Umstände müssen in Erwägung gezogen werden, wenn man über
die Convention, von Tauroggen ein unparteiisches Urtheil fällen will. Wir werden
anerkennen müssen, daß er mit der größten Behutsamkeit in dem Augenblick, wo
es zur Entscheidung kam, die vollste Energie verband, und wenn unsere Phantasie
auch kalt dabei bleibt, so wird wenigstens unser Verstand befriedigt.

Die eigentliche Färbung erlangt die That allerdings erst durch den.besondern
Charakter des Generals. Er kann uns als ein Bild von der bessern Seite des
preußischen Officierstandes überhaupt gelten, von jener Mischung eines starren,
schroffen und verschlossenen Eigensinns, sehr hoch gesteigerten Selbstgefühls mit
jener unbedingten Ergebung, die aus der Pflicht eine Art Leidenschaft macht.
Man lege eS uns nicht als einen Scherz aus, wenn wir behaupten, daß das
Moralgesetz des kategorischen Imperativs mit seiner etwas abstracten, unfrucht¬
baren Härte uicht mit Unrecht ein preußisches Product genannt werden kauu.
In der Geschichte keines Staats ist das Nationalgefühl mit dem Royalismus so
organisch verwebt, wie im preußischen. Diese Orthodoxie des Ehr- und Pflicht¬
gefühls, die sich gegen den überströmenden Enthusiasmus eben so ablehnend verhält,
wie gegen die Willkür der, Genialität, brachte in Uork eben so jene Abneigung
gegen die Königin Louise und ihren genialen Hos einerseits, gegen die liberalen
Staatsmänner andrerseits hervor, die an Preußens Regeneration arbeiteten, wie
bei den Kantianern die Abneigung gegen die moderne Romantik und gegen die
revolutionaire Begeisterung. Freilich hat sich Uork, obgleich mehre in der vor¬
liegenden Schrift angeführte Züge einen hohen Grad von Bildung verrathen,
niemals mit der Philosophie, noch mit etwas dem Aehnlichen abgegeben, aber der
Grund seines praktischen Verhaltens war derselbe,' aus dem jene Theorien her¬
vorgingen. Durchaus in die Endlichkeit des praktischen Lehens versenkt, hatte
er nur für Solidität, Ordnung und Ausdauer Sinn. Sein Ingrimm gegen die
Stein'schen Reformen, gegen die Gneisenau'scheu Jnsurrectionspläue entsprang
nicht blos ans seiner militairisch^aristokratischen Gesinnung, die in dem kleinen
Adelstand das konservative Interesse Preußens vorzugsweise vertreten glaubte,
obgleich er schon durch seine Heirath mit einer Bürgerlichen und den Witz, mit
dem er Dieselbe in die Gesellschaft einführte, hinlänglich zeigte, daß mit seinem
Adelstolz kein Aberglaube verbunden war, sondern er beruhte zum großen Theil
auf jener Zähigkeit eines in engen, aber bestimmten Pflichten beschränkten Thuns,
die den Vorzug hat, besonnen zu bleiben, wo die Andern toll werden, die aber


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dire»,den Generals in persönliche Verhältnisse mit denselben einzulassen, oder gar
sich in einen Enthusiasmus für den großen Kaiser hineinznschwindeln, aber die
Achtung vor dem Marschall, der den preußischen Truppen volles Vertrauen schenkte,
ist doch immer in Anschlag zu bringen, und dieses Moment wurde keineswegs
dadurch schwächer, daß seine persönliche Stellung zum Marsch all in der letzten
Zeit eine mißliche geworden war.

Alle diese Umstände müssen in Erwägung gezogen werden, wenn man über
die Convention, von Tauroggen ein unparteiisches Urtheil fällen will. Wir werden
anerkennen müssen, daß er mit der größten Behutsamkeit in dem Augenblick, wo
es zur Entscheidung kam, die vollste Energie verband, und wenn unsere Phantasie
auch kalt dabei bleibt, so wird wenigstens unser Verstand befriedigt.

Die eigentliche Färbung erlangt die That allerdings erst durch den.besondern
Charakter des Generals. Er kann uns als ein Bild von der bessern Seite des
preußischen Officierstandes überhaupt gelten, von jener Mischung eines starren,
schroffen und verschlossenen Eigensinns, sehr hoch gesteigerten Selbstgefühls mit
jener unbedingten Ergebung, die aus der Pflicht eine Art Leidenschaft macht.
Man lege eS uns nicht als einen Scherz aus, wenn wir behaupten, daß das
Moralgesetz des kategorischen Imperativs mit seiner etwas abstracten, unfrucht¬
baren Härte uicht mit Unrecht ein preußisches Product genannt werden kauu.
In der Geschichte keines Staats ist das Nationalgefühl mit dem Royalismus so
organisch verwebt, wie im preußischen. Diese Orthodoxie des Ehr- und Pflicht¬
gefühls, die sich gegen den überströmenden Enthusiasmus eben so ablehnend verhält,
wie gegen die Willkür der, Genialität, brachte in Uork eben so jene Abneigung
gegen die Königin Louise und ihren genialen Hos einerseits, gegen die liberalen
Staatsmänner andrerseits hervor, die an Preußens Regeneration arbeiteten, wie
bei den Kantianern die Abneigung gegen die moderne Romantik und gegen die
revolutionaire Begeisterung. Freilich hat sich Uork, obgleich mehre in der vor¬
liegenden Schrift angeführte Züge einen hohen Grad von Bildung verrathen,
niemals mit der Philosophie, noch mit etwas dem Aehnlichen abgegeben, aber der
Grund seines praktischen Verhaltens war derselbe,' aus dem jene Theorien her¬
vorgingen. Durchaus in die Endlichkeit des praktischen Lehens versenkt, hatte
er nur für Solidität, Ordnung und Ausdauer Sinn. Sein Ingrimm gegen die
Stein'schen Reformen, gegen die Gneisenau'scheu Jnsurrectionspläue entsprang
nicht blos ans seiner militairisch^aristokratischen Gesinnung, die in dem kleinen
Adelstand das konservative Interesse Preußens vorzugsweise vertreten glaubte,
obgleich er schon durch seine Heirath mit einer Bürgerlichen und den Witz, mit
dem er Dieselbe in die Gesellschaft einführte, hinlänglich zeigte, daß mit seinem
Adelstolz kein Aberglaube verbunden war, sondern er beruhte zum großen Theil
auf jener Zähigkeit eines in engen, aber bestimmten Pflichten beschränkten Thuns,
die den Vorzug hat, besonnen zu bleiben, wo die Andern toll werden, die aber


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[0191] dire»,den Generals in persönliche Verhältnisse mit denselben einzulassen, oder gar sich in einen Enthusiasmus für den großen Kaiser hineinznschwindeln, aber die Achtung vor dem Marschall, der den preußischen Truppen volles Vertrauen schenkte, ist doch immer in Anschlag zu bringen, und dieses Moment wurde keineswegs dadurch schwächer, daß seine persönliche Stellung zum Marsch all in der letzten Zeit eine mißliche geworden war. Alle diese Umstände müssen in Erwägung gezogen werden, wenn man über die Convention, von Tauroggen ein unparteiisches Urtheil fällen will. Wir werden anerkennen müssen, daß er mit der größten Behutsamkeit in dem Augenblick, wo es zur Entscheidung kam, die vollste Energie verband, und wenn unsere Phantasie auch kalt dabei bleibt, so wird wenigstens unser Verstand befriedigt. Die eigentliche Färbung erlangt die That allerdings erst durch den.besondern Charakter des Generals. Er kann uns als ein Bild von der bessern Seite des preußischen Officierstandes überhaupt gelten, von jener Mischung eines starren, schroffen und verschlossenen Eigensinns, sehr hoch gesteigerten Selbstgefühls mit jener unbedingten Ergebung, die aus der Pflicht eine Art Leidenschaft macht. Man lege eS uns nicht als einen Scherz aus, wenn wir behaupten, daß das Moralgesetz des kategorischen Imperativs mit seiner etwas abstracten, unfrucht¬ baren Härte uicht mit Unrecht ein preußisches Product genannt werden kauu. In der Geschichte keines Staats ist das Nationalgefühl mit dem Royalismus so organisch verwebt, wie im preußischen. Diese Orthodoxie des Ehr- und Pflicht¬ gefühls, die sich gegen den überströmenden Enthusiasmus eben so ablehnend verhält, wie gegen die Willkür der, Genialität, brachte in Uork eben so jene Abneigung gegen die Königin Louise und ihren genialen Hos einerseits, gegen die liberalen Staatsmänner andrerseits hervor, die an Preußens Regeneration arbeiteten, wie bei den Kantianern die Abneigung gegen die moderne Romantik und gegen die revolutionaire Begeisterung. Freilich hat sich Uork, obgleich mehre in der vor¬ liegenden Schrift angeführte Züge einen hohen Grad von Bildung verrathen, niemals mit der Philosophie, noch mit etwas dem Aehnlichen abgegeben, aber der Grund seines praktischen Verhaltens war derselbe,' aus dem jene Theorien her¬ vorgingen. Durchaus in die Endlichkeit des praktischen Lehens versenkt, hatte er nur für Solidität, Ordnung und Ausdauer Sinn. Sein Ingrimm gegen die Stein'schen Reformen, gegen die Gneisenau'scheu Jnsurrectionspläue entsprang nicht blos ans seiner militairisch^aristokratischen Gesinnung, die in dem kleinen Adelstand das konservative Interesse Preußens vorzugsweise vertreten glaubte, obgleich er schon durch seine Heirath mit einer Bürgerlichen und den Witz, mit dem er Dieselbe in die Gesellschaft einführte, hinlänglich zeigte, daß mit seinem Adelstolz kein Aberglaube verbunden war, sondern er beruhte zum großen Theil auf jener Zähigkeit eines in engen, aber bestimmten Pflichten beschränkten Thuns, die den Vorzug hat, besonnen zu bleiben, wo die Andern toll werden, die aber 83*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/191>, abgerufen am 14.05.2024.