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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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durch die Durchführung des Chatti-Scherifs von Gülhane erleichtert. Dieser un¬
selige Chailli-Scherif hat bisher Niemandem mehr geschadet als den Christen, zu
deren Gunsten er doch gegeben ist; denn der durch denselben aufgestachelte Haß
der Muhamedaner hat dessen gründliche Durchführung um so leichter verhindern
können, als es damit dem Divan bisher durchaus uicht Ernst schien. Diese
Schwäche wußten die türkischen Juristen und Staatssophisten zu ihrem Vortheile
zu benutzen, und bedrückten und bedrängten die Raja im Namen des Islam und
des Propheten. Freilich getraute sich nnn der Divan nicht, für die Ungläubigen
Partei zu nehmen und überließ sie ihrem Schicksale, obwol die Christen auf
ihre Klagen und Vorstellungen honigsüße Antworten erhielten. Es ist aber
Omer-Pascha Ernst um die Raja; er kennt ihre Wichtigkeit zum Fortbestande
der Pforte, und reformirt ohne Rücksicht auf die Reaction, welche sich dagegen
sträubt und ihn einen halben Dschaur nennt. Möglicher Weise gelingt es ihm
noch, den drohenden Zerfall des OsmanenreichS auf eine Zeit lang hinauszu¬
schieben; wenn dies irgend möglich ist, so ist Omer-Pascha der Mann dazu.
Er wird dadurch eine der interessantesten und bedeutendsten Persönlichkeiten der
Gegenwart, und verdient die höchste Beachtung Europas. Ich schließe mit den
Worten, die ich bei einer andern Gelegenheit an einige Tnrkophilen gerichtet
habe: "Der Keim der organischen Zersetzung des osmanischen Reiches ist nun
einmal da und kann nimmer entfernt oder vernichtet werden; es handelt sich hier¬
bei nur, ob diese Zersetzung noch und wie lauge sie aufgehalten werden könne."




Zwei Bekehrungen.

Die alleinseligmachende Kirche hat in der jüngsten Zeit in der deutschen
Schriststellerwelt wieder zwei illustre Acguisitionen gemacht, die Gräfin-Hahn-Hahn
und den Herrn von Florenconrt. Hoffentlich werden bald noch einige nachfolgen,
denn es treibt sich noch eine ganze Zahl verkümmerter Gemüther, die in sich selbst
keinen Halt des Glaubens finden, zwischen Himmel und Erde herum, und sucht
den sichern Punkt, von dem aus sie die Wirrnisse dieser Welt überschauen könne.
Mehr und mehr nähert sich das reactionaire Vollblut dem alten Kaiserhause
Ferdinand's II., und wenn unsre Kreuzzeituugeu auch uoch hin und wieder von
dem Dämon Alten-Fritzischer Erinnerungen erfaßt werde", so bricht sich der Geist
der Buße doch lebhaft genug Bahn, um der letzten Wurzel der revolutionairen
Gesinnung auch in dem eigenen Herzen nachzugehen. Die gesammte Reaction
wird allmählig dahin streben müssen, sür ihren Bruch mit der Revolution ein
gemeinsames Symbol zu suchen, und sie wird es im Kaiserthum und in der


durch die Durchführung des Chatti-Scherifs von Gülhane erleichtert. Dieser un¬
selige Chailli-Scherif hat bisher Niemandem mehr geschadet als den Christen, zu
deren Gunsten er doch gegeben ist; denn der durch denselben aufgestachelte Haß
der Muhamedaner hat dessen gründliche Durchführung um so leichter verhindern
können, als es damit dem Divan bisher durchaus uicht Ernst schien. Diese
Schwäche wußten die türkischen Juristen und Staatssophisten zu ihrem Vortheile
zu benutzen, und bedrückten und bedrängten die Raja im Namen des Islam und
des Propheten. Freilich getraute sich nnn der Divan nicht, für die Ungläubigen
Partei zu nehmen und überließ sie ihrem Schicksale, obwol die Christen auf
ihre Klagen und Vorstellungen honigsüße Antworten erhielten. Es ist aber
Omer-Pascha Ernst um die Raja; er kennt ihre Wichtigkeit zum Fortbestande
der Pforte, und reformirt ohne Rücksicht auf die Reaction, welche sich dagegen
sträubt und ihn einen halben Dschaur nennt. Möglicher Weise gelingt es ihm
noch, den drohenden Zerfall des OsmanenreichS auf eine Zeit lang hinauszu¬
schieben; wenn dies irgend möglich ist, so ist Omer-Pascha der Mann dazu.
Er wird dadurch eine der interessantesten und bedeutendsten Persönlichkeiten der
Gegenwart, und verdient die höchste Beachtung Europas. Ich schließe mit den
Worten, die ich bei einer andern Gelegenheit an einige Tnrkophilen gerichtet
habe: „Der Keim der organischen Zersetzung des osmanischen Reiches ist nun
einmal da und kann nimmer entfernt oder vernichtet werden; es handelt sich hier¬
bei nur, ob diese Zersetzung noch und wie lauge sie aufgehalten werden könne."




Zwei Bekehrungen.

Die alleinseligmachende Kirche hat in der jüngsten Zeit in der deutschen
Schriststellerwelt wieder zwei illustre Acguisitionen gemacht, die Gräfin-Hahn-Hahn
und den Herrn von Florenconrt. Hoffentlich werden bald noch einige nachfolgen,
denn es treibt sich noch eine ganze Zahl verkümmerter Gemüther, die in sich selbst
keinen Halt des Glaubens finden, zwischen Himmel und Erde herum, und sucht
den sichern Punkt, von dem aus sie die Wirrnisse dieser Welt überschauen könne.
Mehr und mehr nähert sich das reactionaire Vollblut dem alten Kaiserhause
Ferdinand's II., und wenn unsre Kreuzzeituugeu auch uoch hin und wieder von
dem Dämon Alten-Fritzischer Erinnerungen erfaßt werde«, so bricht sich der Geist
der Buße doch lebhaft genug Bahn, um der letzten Wurzel der revolutionairen
Gesinnung auch in dem eigenen Herzen nachzugehen. Die gesammte Reaction
wird allmählig dahin streben müssen, sür ihren Bruch mit der Revolution ein
gemeinsames Symbol zu suchen, und sie wird es im Kaiserthum und in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/200>, abgerufen am 29.04.2024.