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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Mutter Kirche finden. Die Bußpredigten des Herrn von Gerlach deuten schon
ziemlich energisch darauf hin. Was einzelne Ueberläufer nicht thun, wird eine
allgemeine pnyseitischc Hinneigung zu der allgemeinen Kirche zu erreichen trachten,
und wir werden dann den Feind, der uns jetzt immer nur sporadisch und unter den
verschiedenartigsten Masken entgegentritt, in geschlossener Phalanx vor uns sehen.'

Die beiden Bekehrungen, von denen wir hier sprechen, sind freilich erst in¬
dividueller Natur, aber sie find ein sprechendes Symptom für die Tendenzen des
reactionairen Geistes, wie es im Anfang dieses Jahrhunderts die Bekehrungen
der in sich gegangenen Romantiker waren.

Die Gräfin Hahn hat ihre neueste Wendung in einem ihrer frühern Romane
vorahnend angedeutet: sie läßt ihre Heldin Faustine, nachdem sie eine Menge von
.Liebesversuchen mit mehr oder minder Erfolg durchgemacht, endlich den wahren
Seelenbräutigam erwählen,, der ihrem Herzen Frieden gibt. Damals verhielt sie
sich zu diesem Ausfluß der Blasirtheit noch halb ironisch, und wir stehen auch
heute noch nicht dafür, daß diese Ironie sich uicht uoch zum zweiten Male ein¬
stellt. Die Lelia's und Faustiuen finden auch im Schooß der Kirche, auch wenn
sie sich bis in die Einsamkeit des Klosters flüchten, immer eine harte und com-
pacte Wirklichkeit vor sich, der ihr Gemüth widerstrebt, und sie können einmal
klostermüde werden, so wie sie früher weltmüde wurden. In diesem Augenblick
hat zwar die Gräfin, ergriffen von dem drohenden Ernste des RevolntionSjahres,
den Leichtsinn ihrer schriftstellerischen Vergangenheit verläugnet, aber sie wird da¬
bei im Stillen das immer noch sehr lebhafte Gefühl haben, daß sie in derselben
trotz aller Verirrungen eine sehr geistreiche Frau war. Wenn nun einmal Einer
ihrer neuen Alliirten aus den Einfall kommen sollte, diese Vergangenheit zur Ehre
Gottes mit einiger Energie zu geißeln, so könnte die alte Liebe doch wieder er¬
wachen, und sie könnte die Rückreise von Jerusalem nach Babylon antreten, um
so mehr, da es in dem Jerusalem ihres Herzens nicht viel anders aussehen
wird, als in dem Babel ihrer Gedanken.

Herr von Florenconrt ist das getreue Abbild der altromantischen Apostaten.
Gleich ihnen hat er früher mit einem schrankenlosen Kosmopolitismus für sämmt¬
liche Religionen des Weltalls geschwärmt, wenn sie nur etwas Bestimmtes und
Handgreifliches hatten. Er hat versichert, mit den Hottentotten und Eskimo's
sich in andächtigem Glaubensgesühl verewigen zu können, nur uicht mit den Ra¬
tionalisten, die ihr göttliches Wesen in abstracte Gedanken auflösten. Mit heiliger
Scheu hätte er jene Speise genossen, die der Dalai-Lama seinen Gläubigen bietet,
weil sie etwas Concretes und Naturwüchsiges ist. Ein solches Hin- und Her¬
fahren in dem unermeßlichen Pantheon aller Nationen ermüdet zuletzt einen
schwachen Geist, er wird eine Auswahl treffen und diejenige Form der Religion
vorziehen, in welcher das Concrete und Naturwüchsige, um mich eines populairen
Ausdrucks zu bedienen, am Dicksten ist.


Mutter Kirche finden. Die Bußpredigten des Herrn von Gerlach deuten schon
ziemlich energisch darauf hin. Was einzelne Ueberläufer nicht thun, wird eine
allgemeine pnyseitischc Hinneigung zu der allgemeinen Kirche zu erreichen trachten,
und wir werden dann den Feind, der uns jetzt immer nur sporadisch und unter den
verschiedenartigsten Masken entgegentritt, in geschlossener Phalanx vor uns sehen.'

Die beiden Bekehrungen, von denen wir hier sprechen, sind freilich erst in¬
dividueller Natur, aber sie find ein sprechendes Symptom für die Tendenzen des
reactionairen Geistes, wie es im Anfang dieses Jahrhunderts die Bekehrungen
der in sich gegangenen Romantiker waren.

Die Gräfin Hahn hat ihre neueste Wendung in einem ihrer frühern Romane
vorahnend angedeutet: sie läßt ihre Heldin Faustine, nachdem sie eine Menge von
.Liebesversuchen mit mehr oder minder Erfolg durchgemacht, endlich den wahren
Seelenbräutigam erwählen,, der ihrem Herzen Frieden gibt. Damals verhielt sie
sich zu diesem Ausfluß der Blasirtheit noch halb ironisch, und wir stehen auch
heute noch nicht dafür, daß diese Ironie sich uicht uoch zum zweiten Male ein¬
stellt. Die Lelia's und Faustiuen finden auch im Schooß der Kirche, auch wenn
sie sich bis in die Einsamkeit des Klosters flüchten, immer eine harte und com-
pacte Wirklichkeit vor sich, der ihr Gemüth widerstrebt, und sie können einmal
klostermüde werden, so wie sie früher weltmüde wurden. In diesem Augenblick
hat zwar die Gräfin, ergriffen von dem drohenden Ernste des RevolntionSjahres,
den Leichtsinn ihrer schriftstellerischen Vergangenheit verläugnet, aber sie wird da¬
bei im Stillen das immer noch sehr lebhafte Gefühl haben, daß sie in derselben
trotz aller Verirrungen eine sehr geistreiche Frau war. Wenn nun einmal Einer
ihrer neuen Alliirten aus den Einfall kommen sollte, diese Vergangenheit zur Ehre
Gottes mit einiger Energie zu geißeln, so könnte die alte Liebe doch wieder er¬
wachen, und sie könnte die Rückreise von Jerusalem nach Babylon antreten, um
so mehr, da es in dem Jerusalem ihres Herzens nicht viel anders aussehen
wird, als in dem Babel ihrer Gedanken.

Herr von Florenconrt ist das getreue Abbild der altromantischen Apostaten.
Gleich ihnen hat er früher mit einem schrankenlosen Kosmopolitismus für sämmt¬
liche Religionen des Weltalls geschwärmt, wenn sie nur etwas Bestimmtes und
Handgreifliches hatten. Er hat versichert, mit den Hottentotten und Eskimo's
sich in andächtigem Glaubensgesühl verewigen zu können, nur uicht mit den Ra¬
tionalisten, die ihr göttliches Wesen in abstracte Gedanken auflösten. Mit heiliger
Scheu hätte er jene Speise genossen, die der Dalai-Lama seinen Gläubigen bietet,
weil sie etwas Concretes und Naturwüchsiges ist. Ein solches Hin- und Her¬
fahren in dem unermeßlichen Pantheon aller Nationen ermüdet zuletzt einen
schwachen Geist, er wird eine Auswahl treffen und diejenige Form der Religion
vorziehen, in welcher das Concrete und Naturwüchsige, um mich eines populairen
Ausdrucks zu bedienen, am Dicksten ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/201>, abgerufen am 14.05.2024.