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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Charakterbilder aus der deutschen Literatur der
Restaurationszeit.
-I. August Gras v. Platen-Hallermünde.

Die deutsche Literaturgeschichte schließt in der Regel mit Schiller's Tod;
was später kommt, erscheint ihr zu chaotisch und gewährt zu wenig Ausbeute,
um die ordnende Hand der historischen Kunst daran zu versuchen. Ich bin
weit entfernt, auf die Schriftsteller dieser Epigonenliteratnr es: größeres Gewicht
zu legen, als Gervinus und Andere; aber es ist doch einmal eine Uebergangs¬
periode, die verstanden sein will, um das Vorhergehende und Nachfolgende zu
begreifen. Eine Sichtung dieser Verworrenheit kann zunächst, wo die Principien
selbst noch in beständigem Streit sind, nur dadurch erfolgen, daß man sich an
einzelne bedeutende Persönlichkeiten hält. Theils wird sich an denselben manches
Vortreffliche ergeben, welches der Aufbewahrung werth ist, theils werden selbst
ihre Irrthümer, insofern man ans ihnen AnsMrung über streitige Principien
schöpfen kann, lehrreich sein.

Platen hat zu seiner Zeit verhältnißmäßig wenig Glück gemacht; dagegen
wird er von der jungem Literatur wieder mit Achtung genannt, und man hat
sich sonderbarer Weise durch einzelne seiner Lieder, die sich mit den Polen und
Griechen beschäftigen, verleiten lassen, ihn für einen der ersten Apostel des
neupolitischen Evangeliums auszugeben. Der weitere Verlauf wird zeigen, daß
der Stoff in seiner Poesie gleichgiltig ist, und daß er für eine literarhistorische
Monographie nur insoweit in Betracht kommt, als es sich um die Form handelt.
Bei den andern civilisirten Völkern ist in der Poesie ein nationaler Styl vor¬
handen; die neue deutsche Literatur dagegen charakterisirt ein ängstliches, fieber¬
haftes Suchen nach fremden Formen, das aus dem drückenden Gefühl einer
innern Leere zu erklären ist. Ein Typus dieser Richtung ist Platen.

Zuerst Einiges von seinem Leben. Er ist 1796 zu Ansbach geboren, seit
1806 in der Cadettenschule zu München erzogen, hat 181i sein Osficieröpätent


Grenzboten. ,?. I8SI. 26
Charakterbilder aus der deutschen Literatur der
Restaurationszeit.
-I. August Gras v. Platen-Hallermünde.

Die deutsche Literaturgeschichte schließt in der Regel mit Schiller's Tod;
was später kommt, erscheint ihr zu chaotisch und gewährt zu wenig Ausbeute,
um die ordnende Hand der historischen Kunst daran zu versuchen. Ich bin
weit entfernt, auf die Schriftsteller dieser Epigonenliteratnr es: größeres Gewicht
zu legen, als Gervinus und Andere; aber es ist doch einmal eine Uebergangs¬
periode, die verstanden sein will, um das Vorhergehende und Nachfolgende zu
begreifen. Eine Sichtung dieser Verworrenheit kann zunächst, wo die Principien
selbst noch in beständigem Streit sind, nur dadurch erfolgen, daß man sich an
einzelne bedeutende Persönlichkeiten hält. Theils wird sich an denselben manches
Vortreffliche ergeben, welches der Aufbewahrung werth ist, theils werden selbst
ihre Irrthümer, insofern man ans ihnen AnsMrung über streitige Principien
schöpfen kann, lehrreich sein.

Platen hat zu seiner Zeit verhältnißmäßig wenig Glück gemacht; dagegen
wird er von der jungem Literatur wieder mit Achtung genannt, und man hat
sich sonderbarer Weise durch einzelne seiner Lieder, die sich mit den Polen und
Griechen beschäftigen, verleiten lassen, ihn für einen der ersten Apostel des
neupolitischen Evangeliums auszugeben. Der weitere Verlauf wird zeigen, daß
der Stoff in seiner Poesie gleichgiltig ist, und daß er für eine literarhistorische
Monographie nur insoweit in Betracht kommt, als es sich um die Form handelt.
Bei den andern civilisirten Völkern ist in der Poesie ein nationaler Styl vor¬
handen; die neue deutsche Literatur dagegen charakterisirt ein ängstliches, fieber¬
haftes Suchen nach fremden Formen, das aus dem drückenden Gefühl einer
innern Leere zu erklären ist. Ein Typus dieser Richtung ist Platen.

Zuerst Einiges von seinem Leben. Er ist 1796 zu Ansbach geboren, seit
1806 in der Cadettenschule zu München erzogen, hat 181i sein Osficieröpätent


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[0213] Charakterbilder aus der deutschen Literatur der Restaurationszeit. -I. August Gras v. Platen-Hallermünde. Die deutsche Literaturgeschichte schließt in der Regel mit Schiller's Tod; was später kommt, erscheint ihr zu chaotisch und gewährt zu wenig Ausbeute, um die ordnende Hand der historischen Kunst daran zu versuchen. Ich bin weit entfernt, auf die Schriftsteller dieser Epigonenliteratnr es: größeres Gewicht zu legen, als Gervinus und Andere; aber es ist doch einmal eine Uebergangs¬ periode, die verstanden sein will, um das Vorhergehende und Nachfolgende zu begreifen. Eine Sichtung dieser Verworrenheit kann zunächst, wo die Principien selbst noch in beständigem Streit sind, nur dadurch erfolgen, daß man sich an einzelne bedeutende Persönlichkeiten hält. Theils wird sich an denselben manches Vortreffliche ergeben, welches der Aufbewahrung werth ist, theils werden selbst ihre Irrthümer, insofern man ans ihnen AnsMrung über streitige Principien schöpfen kann, lehrreich sein. Platen hat zu seiner Zeit verhältnißmäßig wenig Glück gemacht; dagegen wird er von der jungem Literatur wieder mit Achtung genannt, und man hat sich sonderbarer Weise durch einzelne seiner Lieder, die sich mit den Polen und Griechen beschäftigen, verleiten lassen, ihn für einen der ersten Apostel des neupolitischen Evangeliums auszugeben. Der weitere Verlauf wird zeigen, daß der Stoff in seiner Poesie gleichgiltig ist, und daß er für eine literarhistorische Monographie nur insoweit in Betracht kommt, als es sich um die Form handelt. Bei den andern civilisirten Völkern ist in der Poesie ein nationaler Styl vor¬ handen; die neue deutsche Literatur dagegen charakterisirt ein ängstliches, fieber¬ haftes Suchen nach fremden Formen, das aus dem drückenden Gefühl einer innern Leere zu erklären ist. Ein Typus dieser Richtung ist Platen. Zuerst Einiges von seinem Leben. Er ist 1796 zu Ansbach geboren, seit 1806 in der Cadettenschule zu München erzogen, hat 181i sein Osficieröpätent Grenzboten. ,?. I8SI. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/213>, abgerufen am 28.04.2024.