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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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leuten umgeben zu sterben. Diese erzählten mir später, daß sein letztes Wort,
was er nur noch mit halber Stimme habe hervorbringen können, eine furchtbare
Verwünschung gegen Nußland gewesen sei. Als ich am Abend wieder in die
Kammer trat, war er schon eine starre Leiche. An seinem Körper wurden eilf
Narben von mehr oder weniger bedeutenden Wunden gefunden.

Am andern Morgen begruben wir ihn mit militairischen Ehrenbezeugungen.
Unter seinem Haupte ruhte der Beutel mit Erde vom Grabe seiner Mutter, ans
der Brust die Orden. Eine dreimalige Salve donnerte über das Grab des alten
Soldaten. Eine kleine schwarz-roth-goldne Fahne schmückte seinen Grabhügel.
Wahrscheinlich werden die Dänen, die ja alle Grabmonumente der in Schleswig
gefallenen Deutschen Soldaten zerstörten, auch diese mit verbrannt haben. So ruht
der arme alte Soldat denn jetzt ohne ein Zeichen der äußern Erinnerung, wie sein
Name vergesse", sein Andenken verwischt ist.




Hippolytos und Phädra.
Aus

Der Hippolyt des Euripides ist in der Reihe altgriechischer Tragödien, welche
über die Breter der königlichen Bühne zu Berlin geschritten, die vierte. Anti-
gone, Medea, Oedipus aus Kolonos send ihm nach und nach vorausgegangen,
und der Reiz des Origineller, den die abweichende Anordnung der Scene aus-
übte, hat sich verloren. Von den drei Vorgängern des Hippolyt könnte sich nur
die Antigone durch ihre einfache, menschliche Schönheit dauernd ans der Bühne
erhalten, und ich zweifle, daß es dem Hippolyt gelingen werde. Aber zu einer
Vergleichung von literar-geschichtlichem Interesse bietet die Aufführung um so mehr
Gelegenheit, als der Ueber setz er des Hippolyt, Justizrath Fritze, in dem Vorwort zu
seiner im Druck erschienenen Arbeit selbst auffordert, die kritische Parallele zu ziehen
zwischen der Tragödie des Euripides und der Phädra des Racine. Mit wie
künstlicher Entäußerung der Originalität auch immerhin der Französische Dichter
nach den Formprincipien Griechischer Kunst zu schaffen trachtete, so blieb er doch
genugsam moderner Poet, um die grundsätzliche Verschiedenheit des alten und
des neuern Drama's an den Gegensätzen des Hippolyt und der Phädra erken¬
nen zu lassen.

Herr Fritze ist der Ansicht, daß Hoheit der Charaktere, Adel der Gedanken,
ein Hauch der ernstesten Sittlichkeit und scharfe Motivirung jeder Handlung und
jeder Rede der Personen das Griechische Drama zu einem vollendeten Kunstwerk
erheben, während jene Eigenschaften bei dem Franzosen sast überall ihrem Gegen-


leuten umgeben zu sterben. Diese erzählten mir später, daß sein letztes Wort,
was er nur noch mit halber Stimme habe hervorbringen können, eine furchtbare
Verwünschung gegen Nußland gewesen sei. Als ich am Abend wieder in die
Kammer trat, war er schon eine starre Leiche. An seinem Körper wurden eilf
Narben von mehr oder weniger bedeutenden Wunden gefunden.

Am andern Morgen begruben wir ihn mit militairischen Ehrenbezeugungen.
Unter seinem Haupte ruhte der Beutel mit Erde vom Grabe seiner Mutter, ans
der Brust die Orden. Eine dreimalige Salve donnerte über das Grab des alten
Soldaten. Eine kleine schwarz-roth-goldne Fahne schmückte seinen Grabhügel.
Wahrscheinlich werden die Dänen, die ja alle Grabmonumente der in Schleswig
gefallenen Deutschen Soldaten zerstörten, auch diese mit verbrannt haben. So ruht
der arme alte Soldat denn jetzt ohne ein Zeichen der äußern Erinnerung, wie sein
Name vergesse», sein Andenken verwischt ist.




Hippolytos und Phädra.
Aus

Der Hippolyt des Euripides ist in der Reihe altgriechischer Tragödien, welche
über die Breter der königlichen Bühne zu Berlin geschritten, die vierte. Anti-
gone, Medea, Oedipus aus Kolonos send ihm nach und nach vorausgegangen,
und der Reiz des Origineller, den die abweichende Anordnung der Scene aus-
übte, hat sich verloren. Von den drei Vorgängern des Hippolyt könnte sich nur
die Antigone durch ihre einfache, menschliche Schönheit dauernd ans der Bühne
erhalten, und ich zweifle, daß es dem Hippolyt gelingen werde. Aber zu einer
Vergleichung von literar-geschichtlichem Interesse bietet die Aufführung um so mehr
Gelegenheit, als der Ueber setz er des Hippolyt, Justizrath Fritze, in dem Vorwort zu
seiner im Druck erschienenen Arbeit selbst auffordert, die kritische Parallele zu ziehen
zwischen der Tragödie des Euripides und der Phädra des Racine. Mit wie
künstlicher Entäußerung der Originalität auch immerhin der Französische Dichter
nach den Formprincipien Griechischer Kunst zu schaffen trachtete, so blieb er doch
genugsam moderner Poet, um die grundsätzliche Verschiedenheit des alten und
des neuern Drama's an den Gegensätzen des Hippolyt und der Phädra erken¬
nen zu lassen.

Herr Fritze ist der Ansicht, daß Hoheit der Charaktere, Adel der Gedanken,
ein Hauch der ernstesten Sittlichkeit und scharfe Motivirung jeder Handlung und
jeder Rede der Personen das Griechische Drama zu einem vollendeten Kunstwerk
erheben, während jene Eigenschaften bei dem Franzosen sast überall ihrem Gegen-


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[0275] leuten umgeben zu sterben. Diese erzählten mir später, daß sein letztes Wort, was er nur noch mit halber Stimme habe hervorbringen können, eine furchtbare Verwünschung gegen Nußland gewesen sei. Als ich am Abend wieder in die Kammer trat, war er schon eine starre Leiche. An seinem Körper wurden eilf Narben von mehr oder weniger bedeutenden Wunden gefunden. Am andern Morgen begruben wir ihn mit militairischen Ehrenbezeugungen. Unter seinem Haupte ruhte der Beutel mit Erde vom Grabe seiner Mutter, ans der Brust die Orden. Eine dreimalige Salve donnerte über das Grab des alten Soldaten. Eine kleine schwarz-roth-goldne Fahne schmückte seinen Grabhügel. Wahrscheinlich werden die Dänen, die ja alle Grabmonumente der in Schleswig gefallenen Deutschen Soldaten zerstörten, auch diese mit verbrannt haben. So ruht der arme alte Soldat denn jetzt ohne ein Zeichen der äußern Erinnerung, wie sein Name vergesse», sein Andenken verwischt ist. Hippolytos und Phädra. Aus Der Hippolyt des Euripides ist in der Reihe altgriechischer Tragödien, welche über die Breter der königlichen Bühne zu Berlin geschritten, die vierte. Anti- gone, Medea, Oedipus aus Kolonos send ihm nach und nach vorausgegangen, und der Reiz des Origineller, den die abweichende Anordnung der Scene aus- übte, hat sich verloren. Von den drei Vorgängern des Hippolyt könnte sich nur die Antigone durch ihre einfache, menschliche Schönheit dauernd ans der Bühne erhalten, und ich zweifle, daß es dem Hippolyt gelingen werde. Aber zu einer Vergleichung von literar-geschichtlichem Interesse bietet die Aufführung um so mehr Gelegenheit, als der Ueber setz er des Hippolyt, Justizrath Fritze, in dem Vorwort zu seiner im Druck erschienenen Arbeit selbst auffordert, die kritische Parallele zu ziehen zwischen der Tragödie des Euripides und der Phädra des Racine. Mit wie künstlicher Entäußerung der Originalität auch immerhin der Französische Dichter nach den Formprincipien Griechischer Kunst zu schaffen trachtete, so blieb er doch genugsam moderner Poet, um die grundsätzliche Verschiedenheit des alten und des neuern Drama's an den Gegensätzen des Hippolyt und der Phädra erken¬ nen zu lassen. Herr Fritze ist der Ansicht, daß Hoheit der Charaktere, Adel der Gedanken, ein Hauch der ernstesten Sittlichkeit und scharfe Motivirung jeder Handlung und jeder Rede der Personen das Griechische Drama zu einem vollendeten Kunstwerk erheben, während jene Eigenschaften bei dem Franzosen sast überall ihrem Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/275>, abgerufen am 28.04.2024.