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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gut zu machen suchen, daß sie die Grundzüge ihrer Ueberzeugung nicht mehr blos
in der Form der Versicherung und der Leidenschaft, sondern als ruhige Deduction
hinstellen, so kann das mehr dazu beitragen, eine wirkliche Annäherung aller
Gutgesinnten zu befördern, als alle Intriguen einer Fusion. Bis jetzt ist es der
Fall gewesen, daß mau in den Parteien nicht die Principien, sondern die
Personen angegriffen, und daß man die Principien mit einigen allgemeinen
Redensarten, wie Halbheit und dergleichen, abgefertigt hat. Sobald man
es wagt, nicht durch sophistischen Spott, sondern durch eine gewissenhafte
Erörterung den Principien selbst z" Leibe zu gehen, so wird es sich sehr bald
ergeben, daß auch diese einander nicht so schroff gegenüber stehen, als es den
Anschein hat.

Eine solche Annäherung, die nicht etwa eine parlamentarische Koalition sein
soll, dürfte in der nächsten Zeit nothwendig werden, wenn die Krisis, die vor¬
aussichtlich im nächsten Jahre eintreten wird, nicht zu einer allgemeinen Barbarei
führen soll. Bei unsern verwirrten und unklaren Verhältnissen in Deutschland
läßt sich die Behauptung sehr leicht cinfstellen, daß eS nur zwei Parteien geben
dürste, von denen die eine die andere im offenen Kampfe vernichten muß. Diese
chevalereske Redensart verliert aber allen Sinn, wenn mau einerseits nach Paris,
andrerseits nach Warschau sieht. In Paris existirt eine große geschlossene, voll¬
ständig organisirte Partei, die im strengsten Sinne des Worts den Umsturz aller
gesellschaftlichen Verhältnisse und wenigstens vorläufig eine Dictatur der Massen
beabsichtigt; in Warschau rüstet sich die monarchische Coalition zur Bekämpfung
derselben und zur Concentration aller Souverainetät in den Händen der Fürsten.
Bleibt der eigentliche Kern des Volks, die Bürgerschaft, in Deutschland und
Frankreich in ihrer bisherigen Spaltung, so wird sie nach beiden Seiten hin
von den Extremen absorbirt und verliert allen Einfluß; schließt sie sich dagegen
zusammen, so wird sie in der Partei, mit der sie sich verbindet, die Herrschaft
gewinnen. Diejenigen also, welche eine Verständigung der Mittelparteien, ganz
abgesehen von der historischen Vergangenheit derselben, unmöglich zu machen
suchen, laden dadurch eine Schuld aus sich, deren Umfang sie noch gar nicht
übersehen.




Wochenschau.
A us

-- Auf dem Schlosse der alten Pommerschen Herzöge in
Stettin wohnt der Oberpräsident der Provinz, ein Schwiegersohn des verstorbenen
Ministers v. Kamptz. Wer die verwandtschaftlichen Verhältnisse der hohen Preußischen
Staatsbeamten weiter verfolgt, wird meist zu einem Gönner geführt werden, dessen
Protection die Schranken und Hemmmigen beseitigte, die ohne solche Familien-Ver¬
bindungen als ein eherner Schlagbaum dem Emporsteigen im Wege gestanden hätten.


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gut zu machen suchen, daß sie die Grundzüge ihrer Ueberzeugung nicht mehr blos
in der Form der Versicherung und der Leidenschaft, sondern als ruhige Deduction
hinstellen, so kann das mehr dazu beitragen, eine wirkliche Annäherung aller
Gutgesinnten zu befördern, als alle Intriguen einer Fusion. Bis jetzt ist es der
Fall gewesen, daß mau in den Parteien nicht die Principien, sondern die
Personen angegriffen, und daß man die Principien mit einigen allgemeinen
Redensarten, wie Halbheit und dergleichen, abgefertigt hat. Sobald man
es wagt, nicht durch sophistischen Spott, sondern durch eine gewissenhafte
Erörterung den Principien selbst z» Leibe zu gehen, so wird es sich sehr bald
ergeben, daß auch diese einander nicht so schroff gegenüber stehen, als es den
Anschein hat.

Eine solche Annäherung, die nicht etwa eine parlamentarische Koalition sein
soll, dürfte in der nächsten Zeit nothwendig werden, wenn die Krisis, die vor¬
aussichtlich im nächsten Jahre eintreten wird, nicht zu einer allgemeinen Barbarei
führen soll. Bei unsern verwirrten und unklaren Verhältnissen in Deutschland
läßt sich die Behauptung sehr leicht cinfstellen, daß eS nur zwei Parteien geben
dürste, von denen die eine die andere im offenen Kampfe vernichten muß. Diese
chevalereske Redensart verliert aber allen Sinn, wenn mau einerseits nach Paris,
andrerseits nach Warschau sieht. In Paris existirt eine große geschlossene, voll¬
ständig organisirte Partei, die im strengsten Sinne des Worts den Umsturz aller
gesellschaftlichen Verhältnisse und wenigstens vorläufig eine Dictatur der Massen
beabsichtigt; in Warschau rüstet sich die monarchische Coalition zur Bekämpfung
derselben und zur Concentration aller Souverainetät in den Händen der Fürsten.
Bleibt der eigentliche Kern des Volks, die Bürgerschaft, in Deutschland und
Frankreich in ihrer bisherigen Spaltung, so wird sie nach beiden Seiten hin
von den Extremen absorbirt und verliert allen Einfluß; schließt sie sich dagegen
zusammen, so wird sie in der Partei, mit der sie sich verbindet, die Herrschaft
gewinnen. Diejenigen also, welche eine Verständigung der Mittelparteien, ganz
abgesehen von der historischen Vergangenheit derselben, unmöglich zu machen
suchen, laden dadurch eine Schuld aus sich, deren Umfang sie noch gar nicht
übersehen.




Wochenschau.
A us

— Auf dem Schlosse der alten Pommerschen Herzöge in
Stettin wohnt der Oberpräsident der Provinz, ein Schwiegersohn des verstorbenen
Ministers v. Kamptz. Wer die verwandtschaftlichen Verhältnisse der hohen Preußischen
Staatsbeamten weiter verfolgt, wird meist zu einem Gönner geführt werden, dessen
Protection die Schranken und Hemmmigen beseitigte, die ohne solche Familien-Ver¬
bindungen als ein eherner Schlagbaum dem Emporsteigen im Wege gestanden hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/365>, abgerufen am 29.04.2024.