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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Vertreter unsrer Partei mit dem Spottnamen der "Edlen" bezeichnet, so könnte
man die eigentlichen Demokraten die "Gemüthlichen" nennen. In Frankfurt waren
Männer, wie Heinrich Simon, Raveaux, Venedey u. s. w. die charakteristischen
Erscheinungen dieser Partei; man könnte aber auch noch weiter nach Links greifen,
um dieselben Eigenthümlichkeiten wiederzufinden. Herr Venedey ist ein conti-
nuirliches Ausrufungszeichen, er hat eine so große Masse widersprechender Wünsche
in seinem Herzen, daß er in einer beständigen sittlichen Entrüstung leben muß.
Ein Sieg der Demokratie würde dieses Verhältniß nicht ändern. Das vorlie¬
gende Buch ist sehr lehrreich für die Charakteristik der demokratischen Gesinnung.
Zorn, Spott und Neigung zu Thränen, diese drei Stimmungen wechseln fort¬
während durch einander. Ein beständiges Urtheil ex agciuo et dazuo und dabei
eine Befangenheit in den hergebrachten Redensarten, die jede ruhige Erwägung
unmöglich macht. Bei Venedey kommen die äußern Schicksale hinzu, diese ober¬
flächliche Touristennatur zu erklären; aber es liegt auch zum Theil in den Ge¬
wohnheiten der politischen Kannegießeret, wie sie seit vielen Jahren bei unsrer
Opposition ausschließlich herrschend war. Für diese Männer giebt es keine poli¬
tische Entwickelung mehr; sie werden entweder allmälig auf das Resultat kommen,
wie Herr Brockmann, daß mit Europa Nichts mehr anzufangen ist, und daß man
einen transatlantischen Naturboden suchen müsse, um das Reich des Guten herzu¬
stellen, oder sie werden mit ihrer demokratischen Gesinnung in's Privatleben flüchten
und sie je nach Talent und Neigung in der Kunst oder in religiöser Particula-
rität ausdrücken. Von dieser Neigung, aus Grundlage der Demokratie eine exclnstve
Welt der Kunst herzustellen, wie sie sich in Richard Wagner ausspricht, und
wie sie schon früher in einzelnen der begabteren lichtfrenndlichen Gemeinden spukte,
werden wir später noch ausführlicher spreche".

Sehr wesentlich zu unterscheiden von diesen Gefühlsphilosophen der Demo¬
kratie sind die Staatsmänner derselben, die eigentlich nnr zufällig in diese Ver¬
bindung gekommen sind. Herr Rodbertns, der eine derselben, giebt, in seinen
"socialen Briefen" die Beiträge zu einer Theorie der Nationalökonomie, die schon
dadurch, daß sie gegen ein Mitglied seiner eigenen Partei gerichtet sind, andeuten,
wie auch in diesem Felde die Demokratie noch im Suchen begriffen ist. DaS
Buch, dessen Inhalt zu würdigen wir uns später vorbehalten, ist uns hier nur
wegen der Stellung seines Verfassers innerhalb der Parteien interessant. Herr
Rodbertns tritt keineswegs als Agitator aus, sein Buch setzt eine wissenschaftliche
Vorbereitung voraus. Wenn die Führer der Demokratie, die das Talent dazu
haben, in dieser Weise fortarbeiten, anstatt ihrer Muße den Anschein einer wirk¬
lichen Partcithätigkeit zu geben, so können sie unsrer Theilnahme gewiß sein.
Die politische Thätigkeit der Demagogen- des Jahres 1848 hat sehr viel dazu
beigetragen, die sittlichen Begriffe und den Verstand des Volkes, das sich von
ihnen leiten ließ, zu verwirren; wenn das die Besseren der Partei dadurch wieder


Vertreter unsrer Partei mit dem Spottnamen der „Edlen" bezeichnet, so könnte
man die eigentlichen Demokraten die „Gemüthlichen" nennen. In Frankfurt waren
Männer, wie Heinrich Simon, Raveaux, Venedey u. s. w. die charakteristischen
Erscheinungen dieser Partei; man könnte aber auch noch weiter nach Links greifen,
um dieselben Eigenthümlichkeiten wiederzufinden. Herr Venedey ist ein conti-
nuirliches Ausrufungszeichen, er hat eine so große Masse widersprechender Wünsche
in seinem Herzen, daß er in einer beständigen sittlichen Entrüstung leben muß.
Ein Sieg der Demokratie würde dieses Verhältniß nicht ändern. Das vorlie¬
gende Buch ist sehr lehrreich für die Charakteristik der demokratischen Gesinnung.
Zorn, Spott und Neigung zu Thränen, diese drei Stimmungen wechseln fort¬
während durch einander. Ein beständiges Urtheil ex agciuo et dazuo und dabei
eine Befangenheit in den hergebrachten Redensarten, die jede ruhige Erwägung
unmöglich macht. Bei Venedey kommen die äußern Schicksale hinzu, diese ober¬
flächliche Touristennatur zu erklären; aber es liegt auch zum Theil in den Ge¬
wohnheiten der politischen Kannegießeret, wie sie seit vielen Jahren bei unsrer
Opposition ausschließlich herrschend war. Für diese Männer giebt es keine poli¬
tische Entwickelung mehr; sie werden entweder allmälig auf das Resultat kommen,
wie Herr Brockmann, daß mit Europa Nichts mehr anzufangen ist, und daß man
einen transatlantischen Naturboden suchen müsse, um das Reich des Guten herzu¬
stellen, oder sie werden mit ihrer demokratischen Gesinnung in's Privatleben flüchten
und sie je nach Talent und Neigung in der Kunst oder in religiöser Particula-
rität ausdrücken. Von dieser Neigung, aus Grundlage der Demokratie eine exclnstve
Welt der Kunst herzustellen, wie sie sich in Richard Wagner ausspricht, und
wie sie schon früher in einzelnen der begabteren lichtfrenndlichen Gemeinden spukte,
werden wir später noch ausführlicher spreche».

Sehr wesentlich zu unterscheiden von diesen Gefühlsphilosophen der Demo¬
kratie sind die Staatsmänner derselben, die eigentlich nnr zufällig in diese Ver¬
bindung gekommen sind. Herr Rodbertns, der eine derselben, giebt, in seinen
„socialen Briefen" die Beiträge zu einer Theorie der Nationalökonomie, die schon
dadurch, daß sie gegen ein Mitglied seiner eigenen Partei gerichtet sind, andeuten,
wie auch in diesem Felde die Demokratie noch im Suchen begriffen ist. DaS
Buch, dessen Inhalt zu würdigen wir uns später vorbehalten, ist uns hier nur
wegen der Stellung seines Verfassers innerhalb der Parteien interessant. Herr
Rodbertns tritt keineswegs als Agitator aus, sein Buch setzt eine wissenschaftliche
Vorbereitung voraus. Wenn die Führer der Demokratie, die das Talent dazu
haben, in dieser Weise fortarbeiten, anstatt ihrer Muße den Anschein einer wirk¬
lichen Partcithätigkeit zu geben, so können sie unsrer Theilnahme gewiß sein.
Die politische Thätigkeit der Demagogen- des Jahres 1848 hat sehr viel dazu
beigetragen, die sittlichen Begriffe und den Verstand des Volkes, das sich von
ihnen leiten ließ, zu verwirren; wenn das die Besseren der Partei dadurch wieder


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[0364] Vertreter unsrer Partei mit dem Spottnamen der „Edlen" bezeichnet, so könnte man die eigentlichen Demokraten die „Gemüthlichen" nennen. In Frankfurt waren Männer, wie Heinrich Simon, Raveaux, Venedey u. s. w. die charakteristischen Erscheinungen dieser Partei; man könnte aber auch noch weiter nach Links greifen, um dieselben Eigenthümlichkeiten wiederzufinden. Herr Venedey ist ein conti- nuirliches Ausrufungszeichen, er hat eine so große Masse widersprechender Wünsche in seinem Herzen, daß er in einer beständigen sittlichen Entrüstung leben muß. Ein Sieg der Demokratie würde dieses Verhältniß nicht ändern. Das vorlie¬ gende Buch ist sehr lehrreich für die Charakteristik der demokratischen Gesinnung. Zorn, Spott und Neigung zu Thränen, diese drei Stimmungen wechseln fort¬ während durch einander. Ein beständiges Urtheil ex agciuo et dazuo und dabei eine Befangenheit in den hergebrachten Redensarten, die jede ruhige Erwägung unmöglich macht. Bei Venedey kommen die äußern Schicksale hinzu, diese ober¬ flächliche Touristennatur zu erklären; aber es liegt auch zum Theil in den Ge¬ wohnheiten der politischen Kannegießeret, wie sie seit vielen Jahren bei unsrer Opposition ausschließlich herrschend war. Für diese Männer giebt es keine poli¬ tische Entwickelung mehr; sie werden entweder allmälig auf das Resultat kommen, wie Herr Brockmann, daß mit Europa Nichts mehr anzufangen ist, und daß man einen transatlantischen Naturboden suchen müsse, um das Reich des Guten herzu¬ stellen, oder sie werden mit ihrer demokratischen Gesinnung in's Privatleben flüchten und sie je nach Talent und Neigung in der Kunst oder in religiöser Particula- rität ausdrücken. Von dieser Neigung, aus Grundlage der Demokratie eine exclnstve Welt der Kunst herzustellen, wie sie sich in Richard Wagner ausspricht, und wie sie schon früher in einzelnen der begabteren lichtfrenndlichen Gemeinden spukte, werden wir später noch ausführlicher spreche». Sehr wesentlich zu unterscheiden von diesen Gefühlsphilosophen der Demo¬ kratie sind die Staatsmänner derselben, die eigentlich nnr zufällig in diese Ver¬ bindung gekommen sind. Herr Rodbertns, der eine derselben, giebt, in seinen „socialen Briefen" die Beiträge zu einer Theorie der Nationalökonomie, die schon dadurch, daß sie gegen ein Mitglied seiner eigenen Partei gerichtet sind, andeuten, wie auch in diesem Felde die Demokratie noch im Suchen begriffen ist. DaS Buch, dessen Inhalt zu würdigen wir uns später vorbehalten, ist uns hier nur wegen der Stellung seines Verfassers innerhalb der Parteien interessant. Herr Rodbertns tritt keineswegs als Agitator aus, sein Buch setzt eine wissenschaftliche Vorbereitung voraus. Wenn die Führer der Demokratie, die das Talent dazu haben, in dieser Weise fortarbeiten, anstatt ihrer Muße den Anschein einer wirk¬ lichen Partcithätigkeit zu geben, so können sie unsrer Theilnahme gewiß sein. Die politische Thätigkeit der Demagogen- des Jahres 1848 hat sehr viel dazu beigetragen, die sittlichen Begriffe und den Verstand des Volkes, das sich von ihnen leiten ließ, zu verwirren; wenn das die Besseren der Partei dadurch wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/364>, abgerufen am 16.05.2024.