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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Form aufgehoben, aber keineswegs sich selbst. So wie die Kunst gleichfalls die
Realität giebt, aber in der Form des Ideals, so soll es anch die Philosophie
thun; nur soll sie verallgemeinern, während jene individualisirt. Daß die Kunst
in der gegenwärtigen Zeit die sehr gefährliche Neigung hat, zu generalistren, so¬
genannte Weltanschauungen zu geben, beruht auf einer Verwechslung. Neben den
individuellen Darstellungen des Idealen, wie Werther, Iphigenie, Tasso u, s. w.,
wird ein allgemein gehaltenes Gemälde desselben, ungefähr in der Art, wie
Schleiermacher's Reden über die Religion, Fichte's Bestimmung des Menschen,
oder wie Schiller's didaktische Gedichte, seine volle Berechtigung haben; aber
diese im höhern Sinne des Wortes künstlerische Thätigkeit wird eben so wie die
eigentliche Poesie nur dem Genius vorbehalten bleiben, und der Philosoph wird,
ohne sich dadurch herabzusetzen, sich unter die Reihe der Künstler zählen.


I. S.


Französische Romantiker.
Jules Janin.

Der berühmte Kritiker des Journal ä<Z8 vet^es, der als Einzelner kein er¬
hebliches Interesse erregen würde, gehört zu einer sehr zahlreichen Klasse, deren
Einfluß auf die Literatur in Frankreich und Deutschland ein sehr /bedeutender und
sehr verderblicher gewesen ist, zu der Klasse nämlich der sogenannten Feuilletonisten,
die uicht schreiben, weil sie Etwas zu sagen haben, sondern blos der Industrie
wegen, denen die Gegenstände-nur dazu dienen, allerlei pikante Redensarten daran
zu knüpfen, der souveraineU Feuilletonisten.. Bei Weitem der größte Theil der
Französischen Kritik fällt in diese Richtung, und die Deutsche" habe", freilich un¬
geschickter und tölpelhafter, ihnen redlich darin nachgeeifert. Witz und Stimmung
haben sich des Urtheils bemächtigt, der gesunde Menschenverstand und das richtige
Gefühl sind darin völlig untergegangen. Keiner aber hat das Geschäft so ins
Große getrieben, als Jules Janin. Als unbemittelter jüdischer Student kam er
im 16. Jahre (1820) nach Paris, ernährte sich vom Stundengeben, ohne Etwas
zu wisse", aber mit dem guten Glauben, daß er auch fähig wäre, allenfalls die
Syrische Sprache vorzutragen, wenn er sich acht Tage darauf vorbereiten könnte.
Dann schrieb er in kleine Theaterblätter, wurde zuerst mit 23 Francs monatlicher
Gage im Figaro angestellt, schwang sich dann zu bedeutendem Blättern aus und
eroberte 1830 glücklich seine Stellung im Journal Ac8 Vöba,t8. Jetzt ist er ein
reicher Mann, der in seinem mit Orientalischen Luxus ausgestatteten Salon die
glänzendsten Soireen giebt, und vor dem sich alle Künstler und Künstlerinnen


Form aufgehoben, aber keineswegs sich selbst. So wie die Kunst gleichfalls die
Realität giebt, aber in der Form des Ideals, so soll es anch die Philosophie
thun; nur soll sie verallgemeinern, während jene individualisirt. Daß die Kunst
in der gegenwärtigen Zeit die sehr gefährliche Neigung hat, zu generalistren, so¬
genannte Weltanschauungen zu geben, beruht auf einer Verwechslung. Neben den
individuellen Darstellungen des Idealen, wie Werther, Iphigenie, Tasso u, s. w.,
wird ein allgemein gehaltenes Gemälde desselben, ungefähr in der Art, wie
Schleiermacher's Reden über die Religion, Fichte's Bestimmung des Menschen,
oder wie Schiller's didaktische Gedichte, seine volle Berechtigung haben; aber
diese im höhern Sinne des Wortes künstlerische Thätigkeit wird eben so wie die
eigentliche Poesie nur dem Genius vorbehalten bleiben, und der Philosoph wird,
ohne sich dadurch herabzusetzen, sich unter die Reihe der Künstler zählen.


I. S.


Französische Romantiker.
Jules Janin.

Der berühmte Kritiker des Journal ä<Z8 vet^es, der als Einzelner kein er¬
hebliches Interesse erregen würde, gehört zu einer sehr zahlreichen Klasse, deren
Einfluß auf die Literatur in Frankreich und Deutschland ein sehr /bedeutender und
sehr verderblicher gewesen ist, zu der Klasse nämlich der sogenannten Feuilletonisten,
die uicht schreiben, weil sie Etwas zu sagen haben, sondern blos der Industrie
wegen, denen die Gegenstände-nur dazu dienen, allerlei pikante Redensarten daran
zu knüpfen, der souveraineU Feuilletonisten.. Bei Weitem der größte Theil der
Französischen Kritik fällt in diese Richtung, und die Deutsche» habe», freilich un¬
geschickter und tölpelhafter, ihnen redlich darin nachgeeifert. Witz und Stimmung
haben sich des Urtheils bemächtigt, der gesunde Menschenverstand und das richtige
Gefühl sind darin völlig untergegangen. Keiner aber hat das Geschäft so ins
Große getrieben, als Jules Janin. Als unbemittelter jüdischer Student kam er
im 16. Jahre (1820) nach Paris, ernährte sich vom Stundengeben, ohne Etwas
zu wisse», aber mit dem guten Glauben, daß er auch fähig wäre, allenfalls die
Syrische Sprache vorzutragen, wenn er sich acht Tage darauf vorbereiten könnte.
Dann schrieb er in kleine Theaterblätter, wurde zuerst mit 23 Francs monatlicher
Gage im Figaro angestellt, schwang sich dann zu bedeutendem Blättern aus und
eroberte 1830 glücklich seine Stellung im Journal Ac8 Vöba,t8. Jetzt ist er ein
reicher Mann, der in seinem mit Orientalischen Luxus ausgestatteten Salon die
glänzendsten Soireen giebt, und vor dem sich alle Künstler und Künstlerinnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/383>, abgerufen am 28.04.2024.