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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die künstlerische Ausbildung des musicirenden Zigeuners einen bedeutenden Einfluß
ausübte, und dies ist das Protectiouswesen. Bei der rechtlosen Stellung des
Ungarischen Zigeuners im Vormärz überhaupt, und bei dem Umstände, daß diese
Geiger und Pfeifer oft erhebliche Werkzeuge in der Hand der Parteien bildeten,
mußte sich bald ein Verhältniß ausbilden, welches deu Nationalmnsikern in jeder
Hinsicht nur Vortheil bringen konnte. Reiche adelige Herren, Parteichefs und
besonders Musikliebhaber, nahmen sich mancher auf ihren Gütern lebender Zigeu-
nerbande, besonders wenn diese einen gewissen Grad von Vorzüglichkeit erreicht
hatte, und einige talentvolle Mitglieder in ihrer Mitte zählte, mit besonderer
Wärme an, empfahl sie bei allen vorkommenden Fällen, suchte ihr Exterieur zu
veredeln, die Disciplin in ihrer Mitte festzuhalten, nahm sie selbst zu ländlichen
und Familienfesten guter Freunde auf eigene oder auf Kosten der Gesellschaft mit,
und sorgte oft auch dafür/ daß wenigstens einige Mitglieder derselben sich Noten-
kcnntniß und hohem Geschmack aneigneten. Solche protegirte Banden gehörten
immer der Partei ihres Chefs mit Leib und Seele an, und da die stolzen con-
servativen Magnaten sich fast nie zum Protectorat eines Paria herabließen, so
folgte daraus, daß die liberale Partei sast stets über die beste Musik disponiren
konnte. Als einen solchen Protector müssen wir anch den jungen Edelmann,
Herrn Prileszki, bei der in Deutschland mit dem glänzendsten Erfolg wirkenden
Loczer Gesellschaft, betrachten, und wir müssen nur bedauern, daß diese vortreffliche
Gesellschaft dem Deutschen Publicum eine so schlechte Meinung von der Ungari¬
schen Nationaltracht beibringt. Unsre Nationaltracht ist trotz ihres Orientalischen
Tipns Nichts weniger als bizarr, und ich erinnere mich unter den Tausenden
von Adelige", welchen ich bei der Krönung König Ferdinands V. und auf den
zahlreichen Preßburger Reichstagen begegnete, nie einen Ungar gesehen zu haben,
der eine blaue Hose und einen rothen Atilla mit breiten silbernen Schnuren
-- oder vielmehr Borten -- getragen hätte, wenn wir nämlich nicht die Livree
eines Ungarischen Bedienten oder Leibjägcrs für die Ungarische Nationaltracht
nehmen wollen. Unsre Nationaltracht ist am Schönsten in ihrer einfachsten Ein¬
fachheit: Schwarzer oder dunkelblauer Atilla, nach Verhältniß schwarze oder dunkel¬
blaue Hosen mit schwarzem Schnnrwerk hätten unsre Nationaltracht jedenfalls
getreuer wiedergegeben.




Der Proceß Bocarm<5.

In Mons wurden am 27. Mai die Assisen mit dem Proceß des Grafen
Visart de Bocarme und seiner Gemahlin eröffnet, Beide angeklagt, den Bruder
der Letztern, Gustav Fouguics, am 20. November auf ihrem Schlosse Bitremont


die künstlerische Ausbildung des musicirenden Zigeuners einen bedeutenden Einfluß
ausübte, und dies ist das Protectiouswesen. Bei der rechtlosen Stellung des
Ungarischen Zigeuners im Vormärz überhaupt, und bei dem Umstände, daß diese
Geiger und Pfeifer oft erhebliche Werkzeuge in der Hand der Parteien bildeten,
mußte sich bald ein Verhältniß ausbilden, welches deu Nationalmnsikern in jeder
Hinsicht nur Vortheil bringen konnte. Reiche adelige Herren, Parteichefs und
besonders Musikliebhaber, nahmen sich mancher auf ihren Gütern lebender Zigeu-
nerbande, besonders wenn diese einen gewissen Grad von Vorzüglichkeit erreicht
hatte, und einige talentvolle Mitglieder in ihrer Mitte zählte, mit besonderer
Wärme an, empfahl sie bei allen vorkommenden Fällen, suchte ihr Exterieur zu
veredeln, die Disciplin in ihrer Mitte festzuhalten, nahm sie selbst zu ländlichen
und Familienfesten guter Freunde auf eigene oder auf Kosten der Gesellschaft mit,
und sorgte oft auch dafür/ daß wenigstens einige Mitglieder derselben sich Noten-
kcnntniß und hohem Geschmack aneigneten. Solche protegirte Banden gehörten
immer der Partei ihres Chefs mit Leib und Seele an, und da die stolzen con-
servativen Magnaten sich fast nie zum Protectorat eines Paria herabließen, so
folgte daraus, daß die liberale Partei sast stets über die beste Musik disponiren
konnte. Als einen solchen Protector müssen wir anch den jungen Edelmann,
Herrn Prileszki, bei der in Deutschland mit dem glänzendsten Erfolg wirkenden
Loczer Gesellschaft, betrachten, und wir müssen nur bedauern, daß diese vortreffliche
Gesellschaft dem Deutschen Publicum eine so schlechte Meinung von der Ungari¬
schen Nationaltracht beibringt. Unsre Nationaltracht ist trotz ihres Orientalischen
Tipns Nichts weniger als bizarr, und ich erinnere mich unter den Tausenden
von Adelige», welchen ich bei der Krönung König Ferdinands V. und auf den
zahlreichen Preßburger Reichstagen begegnete, nie einen Ungar gesehen zu haben,
der eine blaue Hose und einen rothen Atilla mit breiten silbernen Schnuren
— oder vielmehr Borten — getragen hätte, wenn wir nämlich nicht die Livree
eines Ungarischen Bedienten oder Leibjägcrs für die Ungarische Nationaltracht
nehmen wollen. Unsre Nationaltracht ist am Schönsten in ihrer einfachsten Ein¬
fachheit: Schwarzer oder dunkelblauer Atilla, nach Verhältniß schwarze oder dunkel¬
blaue Hosen mit schwarzem Schnnrwerk hätten unsre Nationaltracht jedenfalls
getreuer wiedergegeben.




Der Proceß Bocarm<5.

In Mons wurden am 27. Mai die Assisen mit dem Proceß des Grafen
Visart de Bocarme und seiner Gemahlin eröffnet, Beide angeklagt, den Bruder
der Letztern, Gustav Fouguics, am 20. November auf ihrem Schlosse Bitremont


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[0398] die künstlerische Ausbildung des musicirenden Zigeuners einen bedeutenden Einfluß ausübte, und dies ist das Protectiouswesen. Bei der rechtlosen Stellung des Ungarischen Zigeuners im Vormärz überhaupt, und bei dem Umstände, daß diese Geiger und Pfeifer oft erhebliche Werkzeuge in der Hand der Parteien bildeten, mußte sich bald ein Verhältniß ausbilden, welches deu Nationalmnsikern in jeder Hinsicht nur Vortheil bringen konnte. Reiche adelige Herren, Parteichefs und besonders Musikliebhaber, nahmen sich mancher auf ihren Gütern lebender Zigeu- nerbande, besonders wenn diese einen gewissen Grad von Vorzüglichkeit erreicht hatte, und einige talentvolle Mitglieder in ihrer Mitte zählte, mit besonderer Wärme an, empfahl sie bei allen vorkommenden Fällen, suchte ihr Exterieur zu veredeln, die Disciplin in ihrer Mitte festzuhalten, nahm sie selbst zu ländlichen und Familienfesten guter Freunde auf eigene oder auf Kosten der Gesellschaft mit, und sorgte oft auch dafür/ daß wenigstens einige Mitglieder derselben sich Noten- kcnntniß und hohem Geschmack aneigneten. Solche protegirte Banden gehörten immer der Partei ihres Chefs mit Leib und Seele an, und da die stolzen con- servativen Magnaten sich fast nie zum Protectorat eines Paria herabließen, so folgte daraus, daß die liberale Partei sast stets über die beste Musik disponiren konnte. Als einen solchen Protector müssen wir anch den jungen Edelmann, Herrn Prileszki, bei der in Deutschland mit dem glänzendsten Erfolg wirkenden Loczer Gesellschaft, betrachten, und wir müssen nur bedauern, daß diese vortreffliche Gesellschaft dem Deutschen Publicum eine so schlechte Meinung von der Ungari¬ schen Nationaltracht beibringt. Unsre Nationaltracht ist trotz ihres Orientalischen Tipns Nichts weniger als bizarr, und ich erinnere mich unter den Tausenden von Adelige», welchen ich bei der Krönung König Ferdinands V. und auf den zahlreichen Preßburger Reichstagen begegnete, nie einen Ungar gesehen zu haben, der eine blaue Hose und einen rothen Atilla mit breiten silbernen Schnuren — oder vielmehr Borten — getragen hätte, wenn wir nämlich nicht die Livree eines Ungarischen Bedienten oder Leibjägcrs für die Ungarische Nationaltracht nehmen wollen. Unsre Nationaltracht ist am Schönsten in ihrer einfachsten Ein¬ fachheit: Schwarzer oder dunkelblauer Atilla, nach Verhältniß schwarze oder dunkel¬ blaue Hosen mit schwarzem Schnnrwerk hätten unsre Nationaltracht jedenfalls getreuer wiedergegeben. Der Proceß Bocarm<5. In Mons wurden am 27. Mai die Assisen mit dem Proceß des Grafen Visart de Bocarme und seiner Gemahlin eröffnet, Beide angeklagt, den Bruder der Letztern, Gustav Fouguics, am 20. November auf ihrem Schlosse Bitremont

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/398>, abgerufen am 29.04.2024.