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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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verwilderten Massen des ncueroberten, und an die segensreichen Beschäftigungen
des Friedens ungewohnten Landes durch diesen Samum zu veredeln und für
die europäische Cultur heranzureifen. Die Sachsen haben in sofern diesem Zwecke
entsprochen, als sie einen bedeutenden Theil des Bodens wirklich urbar und nutz¬
bringend machten, aber der Zunftgeist, den sie vermuthlich aus der Heimath mit¬
brachten, verhinderten ihren Einfluß auf die übrigen Volksstämme, was doch ei¬
gentlich der Hauptzweck sein mußte, und die Wallachen, die unter und mit ihnen
wohnen, blieben bis auf den heutigen Tag in dem Zustande des 13. Jahrhunderts,
obwohl diese durch eine freundschaftliche Annäherung der Cultur, dem Protestan¬
tismus und wahrscheinlich anch dem Deutschthum hätten zugeführt worden können.
Wir haben es oft ausgesprochen, und sind auch noch jetzt der Ueberzeugung, daß
die Sachsen in Siebenbürgen, bei den jetzt gegebenen Verhältnissen, wo die
Wallachen durch vergilbte Pergamente und sechshundertjährige Gerechtsame nicht
mehr im Zaum gehalten werden, im Falle einer neuen Katastrophe entweder ein
Raub der Barbarei werden, oder mit den Ungarn Hand in Hand gehen müssen.
Das Resultat der jüngstbeendigten Volkszählung in Siebenbürgen muß diese An¬
sicht nur befürsprechen. Siebenbürgen zählt auf 2,000,000 Einwohner, 1,200,000
Wallachen, 600,000 Ungarn und 200,000 Deutsche. Die Wallachen machen also
die numerisch absolute Mehrheit; doch können die Ungarn mit den Sachsen ver¬
einigt durch ihre Intelligenz, Grundbesitz und politische Ueberlegenheit mit Erfolg
die Wage halten; stehen sich diese Beiden wie bisher feindlich gegenüber, so ist
das Ende Anarchie und Massenherrschast wie in den Jahren 1848--1849, und
>es hängt nur vom Zufall oder der Privatpasston eines Jankö, Axenti u. s. w, ab.
wen sich diese Horden zu ihrem Opfer wählen. Dies soll jeder denkende Ungar
wie jeder denkende Sachse stets vor Augen haben, und werden sich diese beiden
biedern Volksstämme einmal -- genähert habe", so muß sich auch bald eine wahre
Freundschaft zwischen ihnen ausbilden, ohne die Nationalität des einen oder des
andern zu gefährden.




Wochenschau.
Aus Eine akademische Erinnerung an Professor Erdmann und
den 18. März 1848. -- Die Revolution von 1848 fand unter den Hallenser

Studenten wenig Beifall. Ich weiß nicht, ob es den energischen Untersuchungen früherer
Jahre gelungen war, der Schlange des Freigeistes in Halle für immer den Kops zu
zertreten: gewiß ist, daß die große Mehrzahl derer, die sich an dem Wcisheitstische der
alma Fridericiana nährten, mitten im ersten Jubelrausche die conservative Haltung nicht
verlor und wenn sich eine kleine Minorität --, Demokraten meinetwegen -- absonderte,
so bestand diese doch nur aus preußischen Demokraten, welche beim Patrotismus stehen
blieben und vor "Humanismus und Kosmopolitismus" drei Kreuze machten. Die energi-


verwilderten Massen des ncueroberten, und an die segensreichen Beschäftigungen
des Friedens ungewohnten Landes durch diesen Samum zu veredeln und für
die europäische Cultur heranzureifen. Die Sachsen haben in sofern diesem Zwecke
entsprochen, als sie einen bedeutenden Theil des Bodens wirklich urbar und nutz¬
bringend machten, aber der Zunftgeist, den sie vermuthlich aus der Heimath mit¬
brachten, verhinderten ihren Einfluß auf die übrigen Volksstämme, was doch ei¬
gentlich der Hauptzweck sein mußte, und die Wallachen, die unter und mit ihnen
wohnen, blieben bis auf den heutigen Tag in dem Zustande des 13. Jahrhunderts,
obwohl diese durch eine freundschaftliche Annäherung der Cultur, dem Protestan¬
tismus und wahrscheinlich anch dem Deutschthum hätten zugeführt worden können.
Wir haben es oft ausgesprochen, und sind auch noch jetzt der Ueberzeugung, daß
die Sachsen in Siebenbürgen, bei den jetzt gegebenen Verhältnissen, wo die
Wallachen durch vergilbte Pergamente und sechshundertjährige Gerechtsame nicht
mehr im Zaum gehalten werden, im Falle einer neuen Katastrophe entweder ein
Raub der Barbarei werden, oder mit den Ungarn Hand in Hand gehen müssen.
Das Resultat der jüngstbeendigten Volkszählung in Siebenbürgen muß diese An¬
sicht nur befürsprechen. Siebenbürgen zählt auf 2,000,000 Einwohner, 1,200,000
Wallachen, 600,000 Ungarn und 200,000 Deutsche. Die Wallachen machen also
die numerisch absolute Mehrheit; doch können die Ungarn mit den Sachsen ver¬
einigt durch ihre Intelligenz, Grundbesitz und politische Ueberlegenheit mit Erfolg
die Wage halten; stehen sich diese Beiden wie bisher feindlich gegenüber, so ist
das Ende Anarchie und Massenherrschast wie in den Jahren 1848—1849, und
>es hängt nur vom Zufall oder der Privatpasston eines Jankö, Axenti u. s. w, ab.
wen sich diese Horden zu ihrem Opfer wählen. Dies soll jeder denkende Ungar
wie jeder denkende Sachse stets vor Augen haben, und werden sich diese beiden
biedern Volksstämme einmal — genähert habe», so muß sich auch bald eine wahre
Freundschaft zwischen ihnen ausbilden, ohne die Nationalität des einen oder des
andern zu gefährden.




Wochenschau.
Aus Eine akademische Erinnerung an Professor Erdmann und
den 18. März 1848. — Die Revolution von 1848 fand unter den Hallenser

Studenten wenig Beifall. Ich weiß nicht, ob es den energischen Untersuchungen früherer
Jahre gelungen war, der Schlange des Freigeistes in Halle für immer den Kops zu
zertreten: gewiß ist, daß die große Mehrzahl derer, die sich an dem Wcisheitstische der
alma Fridericiana nährten, mitten im ersten Jubelrausche die conservative Haltung nicht
verlor und wenn sich eine kleine Minorität —, Demokraten meinetwegen — absonderte,
so bestand diese doch nur aus preußischen Demokraten, welche beim Patrotismus stehen
blieben und vor „Humanismus und Kosmopolitismus" drei Kreuze machten. Die energi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/44>, abgerufen am 29.04.2024.