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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Aus dem Münchener Ständehans.
2. Reichsräthliches Leben.

Man hörte noch von Politik, von Deutschland, von Volksvertretung beim
Bunde sprechen, und die Minister hatten noch vor ein Paar Tagen bei einer
Veranlassung in der Abgeordnetenkammer ihren constitutionellen Sinn gepriesen,
Baierns soldatische Macht nur bescheiden, sein moralisches Gewicht in Verfech¬
tung des constitutionellen Princips dagegen mit großer Selbstgenüge und viel
geschmeicheltem Wiederhall aus dem Centrum erwähnt; Preußen ward noch als
Großmacht, wenn auch ingymmig, aufgeführt, Oestreich noch als Hort paradie¬
sischer Zukunft gepriesen. Also 1851 war's gewiß nicht. Da entstand eines
Tages beinahe Gedränge ans der Galerie der Reichsrathskammer, und sogar einige
Legationssecretairs wurden erblickt. Kurz, die hohen Herren da unten hatten
eine "wichtige" Verhandlung vor, nicht gerade über die Deutsche Frage, doch
über irgend einen der Hochpolizeigesetzentwürfe, in deren Behandlung sich die
Abgeordnetenkammer damals übte. Das angeblich stets rücktrittsfertige Ministe¬
rium mochte sie nicht stürzen, wollte sich also dessen Willen fügen, und doch an¬
dererseits auch gern für sich einigen liberalen Heiligenschein bewahren. Dahatten
sie nun in endloser Debatte die Ausdrücke der einzelnen Paragraphen gedreht
und gewendet, versicherten einander beim Schluß, daß ein sehr unlogisches Gesetz
entstanden sei, stimmten aber dennoch gemüthlich für das Ganze. Man wußte ja
vorher, daß die "obere Schwesterkammer" den Entwurf in wwKrum restituiren,
und uoch ein Paar Strafverschärfnngen über die ministerielle Vorlage hineinmo-
dificiren werde. Man wußte auch, daß dies vorzugsweise geschah, um "die reichs-
räthliche Rückäußeruug" der edel" Entrüstung des untern Centrums preiszuge¬
ben, welches dann darüber vergessen konnte, wie der übrige Entwurf in der ur¬
sprünglichen, von ihr acht Tage vorher pathetisch bekämpften Gestalt verblieb.
Etwa daran erinnert, warf die Centralgemeinde einen gemeinschaftlichen Schmer-


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Aus dem Münchener Ständehans.
2. Reichsräthliches Leben.

Man hörte noch von Politik, von Deutschland, von Volksvertretung beim
Bunde sprechen, und die Minister hatten noch vor ein Paar Tagen bei einer
Veranlassung in der Abgeordnetenkammer ihren constitutionellen Sinn gepriesen,
Baierns soldatische Macht nur bescheiden, sein moralisches Gewicht in Verfech¬
tung des constitutionellen Princips dagegen mit großer Selbstgenüge und viel
geschmeicheltem Wiederhall aus dem Centrum erwähnt; Preußen ward noch als
Großmacht, wenn auch ingymmig, aufgeführt, Oestreich noch als Hort paradie¬
sischer Zukunft gepriesen. Also 1851 war's gewiß nicht. Da entstand eines
Tages beinahe Gedränge ans der Galerie der Reichsrathskammer, und sogar einige
Legationssecretairs wurden erblickt. Kurz, die hohen Herren da unten hatten
eine „wichtige" Verhandlung vor, nicht gerade über die Deutsche Frage, doch
über irgend einen der Hochpolizeigesetzentwürfe, in deren Behandlung sich die
Abgeordnetenkammer damals übte. Das angeblich stets rücktrittsfertige Ministe¬
rium mochte sie nicht stürzen, wollte sich also dessen Willen fügen, und doch an¬
dererseits auch gern für sich einigen liberalen Heiligenschein bewahren. Dahatten
sie nun in endloser Debatte die Ausdrücke der einzelnen Paragraphen gedreht
und gewendet, versicherten einander beim Schluß, daß ein sehr unlogisches Gesetz
entstanden sei, stimmten aber dennoch gemüthlich für das Ganze. Man wußte ja
vorher, daß die „obere Schwesterkammer" den Entwurf in wwKrum restituiren,
und uoch ein Paar Strafverschärfnngen über die ministerielle Vorlage hineinmo-
dificiren werde. Man wußte auch, daß dies vorzugsweise geschah, um „die reichs-
räthliche Rückäußeruug" der edel» Entrüstung des untern Centrums preiszuge¬
ben, welches dann darüber vergessen konnte, wie der übrige Entwurf in der ur¬
sprünglichen, von ihr acht Tage vorher pathetisch bekämpften Gestalt verblieb.
Etwa daran erinnert, warf die Centralgemeinde einen gemeinschaftlichen Schmer-


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[0493] Aus dem Münchener Ständehans. 2. Reichsräthliches Leben. Man hörte noch von Politik, von Deutschland, von Volksvertretung beim Bunde sprechen, und die Minister hatten noch vor ein Paar Tagen bei einer Veranlassung in der Abgeordnetenkammer ihren constitutionellen Sinn gepriesen, Baierns soldatische Macht nur bescheiden, sein moralisches Gewicht in Verfech¬ tung des constitutionellen Princips dagegen mit großer Selbstgenüge und viel geschmeicheltem Wiederhall aus dem Centrum erwähnt; Preußen ward noch als Großmacht, wenn auch ingymmig, aufgeführt, Oestreich noch als Hort paradie¬ sischer Zukunft gepriesen. Also 1851 war's gewiß nicht. Da entstand eines Tages beinahe Gedränge ans der Galerie der Reichsrathskammer, und sogar einige Legationssecretairs wurden erblickt. Kurz, die hohen Herren da unten hatten eine „wichtige" Verhandlung vor, nicht gerade über die Deutsche Frage, doch über irgend einen der Hochpolizeigesetzentwürfe, in deren Behandlung sich die Abgeordnetenkammer damals übte. Das angeblich stets rücktrittsfertige Ministe¬ rium mochte sie nicht stürzen, wollte sich also dessen Willen fügen, und doch an¬ dererseits auch gern für sich einigen liberalen Heiligenschein bewahren. Dahatten sie nun in endloser Debatte die Ausdrücke der einzelnen Paragraphen gedreht und gewendet, versicherten einander beim Schluß, daß ein sehr unlogisches Gesetz entstanden sei, stimmten aber dennoch gemüthlich für das Ganze. Man wußte ja vorher, daß die „obere Schwesterkammer" den Entwurf in wwKrum restituiren, und uoch ein Paar Strafverschärfnngen über die ministerielle Vorlage hineinmo- dificiren werde. Man wußte auch, daß dies vorzugsweise geschah, um „die reichs- räthliche Rückäußeruug" der edel» Entrüstung des untern Centrums preiszuge¬ ben, welches dann darüber vergessen konnte, wie der übrige Entwurf in der ur¬ sprünglichen, von ihr acht Tage vorher pathetisch bekämpften Gestalt verblieb. Etwa daran erinnert, warf die Centralgemeinde einen gemeinschaftlichen Schmer- Grenzvotcn. II. I8SI. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/493>, abgerufen am 29.04.2024.