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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zensblick nach der obern Kammer, schlug tönend an die Brust, und tröstete sich
wehmüthig damit, daß wenigstens das Gesetz zu Stande komme. "Denn, meine
Herren, ob man uus im nächsten Jahre selbst diesen Entwurf vorlegen werde, das
ist mir -- blicken Sie ans die Ereignisse in den größern Nachbarstaaten -- min¬
destens sehr zweifelhaft." So lautete die Schlußphrase. -- Ein Entwurf, dem
also dieses Ende bevorstand, befand sich ans der Tagesordnung der Reichsrathe.
So wichtig hatten ihn die Erblichen indessen nicht erachtet, um große Einberu¬
fung von Jagden, Landsitzen und Reisen zu halten. Bekannt war, daß der Aus¬
schuß sich mit erwähnten Verschärfungen für die ursprüngliche Vorlage entschie¬
den, einige "jedoch" anstatt "allein", "zwar" statt "obzwar", ja selbst einmal
"Gefängniß" statt "Arbeitshaus" ans den "jenseitigen" Modificationen befürwor¬
tet, alle andern Abänderungsvorschläge dagegen kurzweg verworfen hatte.

Auf den Gesichtern der hohen Mitglieder zeigte sich natürlich beim gewohn¬
ten Heimznge nicht die mindeste Aufregungöspur. Nur ein Paar "rothe" jüngste
Reichsrathe suchten uoch auf diesem kurzen Gauge ihren Nachbarn Etwas zu be¬
weise"; man bemerkt's indessen blos daran, daß sie den einen Glacehandschuh
auszogen und schlenkerten, während sie sprachen. "Meine Herren, ich eröffne die
Sitzung und ersuche den Herrn Referenten des ... ten Ausschusses Bericht zu
erstatten." Während dies ohne allen Aufwand von parlamentarischem Ueberzeu-
gnngseifer ziemlich unverständlich geschieht, hört nur das Publicum zu, und etwa
noch ein oder das andere Mitglied der sogenannten Opposition. Der Majori-
tätsbeschuß ist auch diesmal schon fertig, man braucht Nichts mehr zu wissen. --
"Nachdem Sie den Vortrag vernommen, eröffne ich die allgemeine Discussion
wenn Niemand.... Der Herr zweite Präsident hat das Wort." --

Er hat es wirklich, trotzdem daß eine große Geübtheit dazu gehörte, sich
zwischen "Discussion" und "wenn" zu schiebe". Herr Gras Carl v. Seinsheim
ist ein ganz trockner, kleiner, grauer Mann, mit schmalem, strengem Gesicht, was
nnr höflich mit dem Munde, nie mit den Augen lächelt. Ein auffallend ausge¬
bildetes Riechorgcm trägt uicht dazu bei, heilt Antlitz einnehmender zu machen, und
seine Stimme redet sich keineswegs in ein Herz. Sie ist scharf, trocken, befehls¬
haberisch; vielleicht würde sie für Tilly gepaßt haben, wenn er im Civilsach an¬
gestellt gewesen wäre. Gesticulationen macht er nicht, höchstens einmal eine kurze
imperatorische, Handbewegung. Und er beginnt mit herablassenden Danke für
die Weisheit des Ministeriums, ohne zu vergessen, daß dessen morgenröthliche
Vorgänger längst die Verpflichtung gehabt hätten, den vorliegenden Entwurf ein¬
zubringen. Er ergießt sich dann in herbe Klagen gegen die wühlerischen Um¬
triebe, die natürlich noch immer im Dunkeln umherschleichen, deshalb gefahrdro¬
hender als jemals, stets zum Losbrnch bereit, nur bezwingbar durch äußerste
Machtmittel und härteste Strafen. Er findet den Entwurf im Ganzen viel zu
mild gegen die zersetzende Verderbtheit der modernen Welt, und streift sogar mit


zensblick nach der obern Kammer, schlug tönend an die Brust, und tröstete sich
wehmüthig damit, daß wenigstens das Gesetz zu Stande komme. „Denn, meine
Herren, ob man uus im nächsten Jahre selbst diesen Entwurf vorlegen werde, das
ist mir — blicken Sie ans die Ereignisse in den größern Nachbarstaaten — min¬
destens sehr zweifelhaft." So lautete die Schlußphrase. — Ein Entwurf, dem
also dieses Ende bevorstand, befand sich ans der Tagesordnung der Reichsrathe.
So wichtig hatten ihn die Erblichen indessen nicht erachtet, um große Einberu¬
fung von Jagden, Landsitzen und Reisen zu halten. Bekannt war, daß der Aus¬
schuß sich mit erwähnten Verschärfungen für die ursprüngliche Vorlage entschie¬
den, einige „jedoch" anstatt „allein", „zwar" statt „obzwar", ja selbst einmal
„Gefängniß" statt „Arbeitshaus" ans den „jenseitigen" Modificationen befürwor¬
tet, alle andern Abänderungsvorschläge dagegen kurzweg verworfen hatte.

Auf den Gesichtern der hohen Mitglieder zeigte sich natürlich beim gewohn¬
ten Heimznge nicht die mindeste Aufregungöspur. Nur ein Paar „rothe" jüngste
Reichsrathe suchten uoch auf diesem kurzen Gauge ihren Nachbarn Etwas zu be¬
weise»; man bemerkt's indessen blos daran, daß sie den einen Glacehandschuh
auszogen und schlenkerten, während sie sprachen. „Meine Herren, ich eröffne die
Sitzung und ersuche den Herrn Referenten des ... ten Ausschusses Bericht zu
erstatten." Während dies ohne allen Aufwand von parlamentarischem Ueberzeu-
gnngseifer ziemlich unverständlich geschieht, hört nur das Publicum zu, und etwa
noch ein oder das andere Mitglied der sogenannten Opposition. Der Majori-
tätsbeschuß ist auch diesmal schon fertig, man braucht Nichts mehr zu wissen. —
„Nachdem Sie den Vortrag vernommen, eröffne ich die allgemeine Discussion
wenn Niemand.... Der Herr zweite Präsident hat das Wort." —

Er hat es wirklich, trotzdem daß eine große Geübtheit dazu gehörte, sich
zwischen „Discussion" und „wenn" zu schiebe». Herr Gras Carl v. Seinsheim
ist ein ganz trockner, kleiner, grauer Mann, mit schmalem, strengem Gesicht, was
nnr höflich mit dem Munde, nie mit den Augen lächelt. Ein auffallend ausge¬
bildetes Riechorgcm trägt uicht dazu bei, heilt Antlitz einnehmender zu machen, und
seine Stimme redet sich keineswegs in ein Herz. Sie ist scharf, trocken, befehls¬
haberisch; vielleicht würde sie für Tilly gepaßt haben, wenn er im Civilsach an¬
gestellt gewesen wäre. Gesticulationen macht er nicht, höchstens einmal eine kurze
imperatorische, Handbewegung. Und er beginnt mit herablassenden Danke für
die Weisheit des Ministeriums, ohne zu vergessen, daß dessen morgenröthliche
Vorgänger längst die Verpflichtung gehabt hätten, den vorliegenden Entwurf ein¬
zubringen. Er ergießt sich dann in herbe Klagen gegen die wühlerischen Um¬
triebe, die natürlich noch immer im Dunkeln umherschleichen, deshalb gefahrdro¬
hender als jemals, stets zum Losbrnch bereit, nur bezwingbar durch äußerste
Machtmittel und härteste Strafen. Er findet den Entwurf im Ganzen viel zu
mild gegen die zersetzende Verderbtheit der modernen Welt, und streift sogar mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/494>, abgerufen am 15.05.2024.