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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Siegel in der Hand, verfälschte Urkunden, verbrannte Archive, bestach Richter
und beschmuzte durch Gift seine Erbschaften; daher stammen Deine Dörfer, Deine
Einkünfte. Jener Mann im schwarzen Kleide trieb Ehebruch mit den Weibern
seiner Freunde; Dieser da mit dem goldnen Vließe diente dem Auslande, und
diese blasse Fran buhlte mit ihrem Pagen. Das sind Eure ununterbroche¬
nen unbefleckten Geschlechtsregister! Die Dummheit und das Elend
des ganzen Landes, das ist Eure ganze Stärke." -- In kräftigen
Zügen ist das Aristokratenwesen gezeichnet. Seine Zeit ist um. Pankratius siegt
und triumphirt über seinen Gegner. Aber er fällt auch selbst. sterbend sieht
er eine merkwürdige Erscheinung am Himmel: es ist der Mann am Kreuze --
er steht regungslos -- drei Nägel sind ihm eingeschlagen, --- drei Sterne --
seine Arme, zwei Blitze -- und mit jenen Worten des Römischen Kaisers: Ktüileiz,
vieisti I Galiläer, Du hast gesiegt! sinkt Pankratius leblos zusammen. Er unter¬
ordnet seinen Sieg einem reinen und echten Christenthume. -- Ein merkwürdiges
Buch, das wir gelesen; es ist keine Komödie und auch keine Tragödie, und hat
uns doch gewaltig erschüttert. -- Mit Diesem schließt die Regeneratiousperiode.

So bildete sich in Polen allmälig eine eigenthümliche Nationalliteratur
heran. Sie trägt bereits den Typus der Nation, der sie entstammt. schwankend
zwischen der Naturanschauung des Orients und der Civilisation des Abendlandes
hat sie beide Elemente glücklich zu vereinigen gewußt.




Wochenschau.
Neue Schristen über Rußland. ,
Unpolitische Bilder aus Se. Petersburg. Skizzen nach dem Leben ge¬
zeichnet von Eduard Jerrmann. Berlin, allgemeine Deutsche Verlagsanstalt.
Rußland und die Gegenwart. Erster Band. Leipzig, Weidmann.

Rußland stand während der ganzen Europäischen Bewegung des Jahres ->8i-8 der
Revolution als ein drohender und aufmerksamer Beobachter gegenüber. Es hatte den
großen Vortheil, daß es durch seine geschickten Agenten das Wesen derselben vollstän¬
dig übersah und ihren Gang berechnen konnte, während sein eigenes Wesen ver aus¬
wärtigen Politik ein Buch mit sieben Siegeln blieb. Es konnte daher scheinbar ruhig,
aber nicht unthätig abwarten, bis seine Zeit kam. Es hat zuerst, indem es sich der
Dänischen Frage bemächtigte, der Entwickelung der Deutschen Verhältnisse ein mächti¬
ges Hinderniß entgegengeworfen, an dem dieselbe zu Grunde ging; es hat alsdann
durch die Besiegung der Ungarn die rcactiouaire Kraft Oestreichs entfesselt und in sei¬
nen Dienst gezogen; es hat endlich in Warschau durch das Gewicht, welches es in die
Wagschale warf, die Sache des Fortschritts, die sich im letzten Stadium an Preuße"
anklammerte, zum Steigen gebracht.


Siegel in der Hand, verfälschte Urkunden, verbrannte Archive, bestach Richter
und beschmuzte durch Gift seine Erbschaften; daher stammen Deine Dörfer, Deine
Einkünfte. Jener Mann im schwarzen Kleide trieb Ehebruch mit den Weibern
seiner Freunde; Dieser da mit dem goldnen Vließe diente dem Auslande, und
diese blasse Fran buhlte mit ihrem Pagen. Das sind Eure ununterbroche¬
nen unbefleckten Geschlechtsregister! Die Dummheit und das Elend
des ganzen Landes, das ist Eure ganze Stärke." — In kräftigen
Zügen ist das Aristokratenwesen gezeichnet. Seine Zeit ist um. Pankratius siegt
und triumphirt über seinen Gegner. Aber er fällt auch selbst. sterbend sieht
er eine merkwürdige Erscheinung am Himmel: es ist der Mann am Kreuze —
er steht regungslos — drei Nägel sind ihm eingeschlagen, -— drei Sterne —
seine Arme, zwei Blitze — und mit jenen Worten des Römischen Kaisers: Ktüileiz,
vieisti I Galiläer, Du hast gesiegt! sinkt Pankratius leblos zusammen. Er unter¬
ordnet seinen Sieg einem reinen und echten Christenthume. — Ein merkwürdiges
Buch, das wir gelesen; es ist keine Komödie und auch keine Tragödie, und hat
uns doch gewaltig erschüttert. — Mit Diesem schließt die Regeneratiousperiode.

So bildete sich in Polen allmälig eine eigenthümliche Nationalliteratur
heran. Sie trägt bereits den Typus der Nation, der sie entstammt. schwankend
zwischen der Naturanschauung des Orients und der Civilisation des Abendlandes
hat sie beide Elemente glücklich zu vereinigen gewußt.




Wochenschau.
Neue Schristen über Rußland. ,
Unpolitische Bilder aus Se. Petersburg. Skizzen nach dem Leben ge¬
zeichnet von Eduard Jerrmann. Berlin, allgemeine Deutsche Verlagsanstalt.
Rußland und die Gegenwart. Erster Band. Leipzig, Weidmann.

Rußland stand während der ganzen Europäischen Bewegung des Jahres ->8i-8 der
Revolution als ein drohender und aufmerksamer Beobachter gegenüber. Es hatte den
großen Vortheil, daß es durch seine geschickten Agenten das Wesen derselben vollstän¬
dig übersah und ihren Gang berechnen konnte, während sein eigenes Wesen ver aus¬
wärtigen Politik ein Buch mit sieben Siegeln blieb. Es konnte daher scheinbar ruhig,
aber nicht unthätig abwarten, bis seine Zeit kam. Es hat zuerst, indem es sich der
Dänischen Frage bemächtigte, der Entwickelung der Deutschen Verhältnisse ein mächti¬
ges Hinderniß entgegengeworfen, an dem dieselbe zu Grunde ging; es hat alsdann
durch die Besiegung der Ungarn die rcactiouaire Kraft Oestreichs entfesselt und in sei¬
nen Dienst gezogen; es hat endlich in Warschau durch das Gewicht, welches es in die
Wagschale warf, die Sache des Fortschritts, die sich im letzten Stadium an Preuße»
anklammerte, zum Steigen gebracht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/522>, abgerufen am 28.04.2024.