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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Die verflossene Concertsaison in Leipzig.

So ist denn abermals ein Winter mit seinen Klängen vorübergeranscht und
wir schicken uns an, dnrch das unbeständige Wetter des April und die noch be¬
vorstehende Messe mit ihrem prosaischen Geräusche in den musikstillen Sommer
überzugehen. Der ist aber auch für deu mit den musikalischen Genüssen übersät¬
tigten Bewohner unsrer Stadt ein dringendes Bedürfniß; wir brauchen die stille,
klanglose Vorbereitung für die neuen Anstrengungen unsrer GehorSnerven, die uns
der künftige Winter wieder unabweislich bringen wird-. Und wie kann es anders
kommen? Zwanzig Concerte des Gewandhauses, acht der Eutcrpe, mehre
Quartettuuterhaltungen, viele außerordentliche für milde Stiftungen, Soireen
und Matineen von Virtuosen, hier und da eine bessere Oper, -- es ist fast zu
viel für eine Stadt von 60,0(10 Einwohnern, von denen sich doch nur ein ver¬
hältnißmäßig nicht zu großer Theil der gebildeten Stände betheiligt. Diese regel¬
mäßigen Besucher der Concerte bilden aber eine geschlossene Phalanx, in welcher
sich Veteranen finden, die seit länger als 50 Jahren jeden Winter der heiligen
Tonkunst ihr Opfer brachten. Wenn man sie auf den kalten Stufen der Treppe
im Winter der Eröffnung des Saales harren sieht, um das seit so laugen Jahren
geliebte Plätzchen zu erHaschen, so liegt gewiß etwas Rührendes darin, zu gleicher
Zeit ein Beispiel der Nacheiferung des jungem Geschlechts, daß es mit eben so edler
Hingebung besonders das Institut Pflegen möge, das seit hundert Jahren eine Zierde
unsrer Stadt und ein Palladium der Kunst für ganz Deutschland gewesen ist. Wir
dürfen um so stolzer sein, als gerade die Begründung unsrer Institute und die
ungeschwächte Erhaltung des Interesses an denselben rein bürgerlichen. Ursprungs
ist. Weder die Schätze der Fürsten, noch die Protection des hohen Adels hat
uns auf die Stufe gebracht, die wir jetzt mit Ehren einnehmen, nur einfache
Gelehrte und Kaufleute waren es, die den erste" Samen ausstreuten. Ihre Nach¬
folger haben mit Glück die Keime gepflegt und mit unermüdlicher Sorgfalt den
Baum mit seinem Blüthenreichthnm großgezogen. Möge uns das glückliche Loos
nicht vorenthalten werden, an der Pflege dieses kostbaren Gewächses anch das
Unsrige thun zu dürfen.

In unserm Bericht wenden wir uns zuerst an das Gewandhaus. An reinen
Instrumentalwerken wurden hier aufgeführt: Sinfonien von Beethoven, in
pour, Lroioa, ^,Our, övur, ?a8lx)rath, undvl^vitale Chören; von Haydn in
cour und VOm-; von Mozart in e Dur (mit Schlußfuge) und Knoll; von
Gabe in Ol^oU nndöDur (Ur. 4); von Schumann in LDur und Ouvertüre,
Scherzo und Finale; von Mendelssohn in ^ Roll und ^.vur (der philharmo¬
nischen Gesellschaft in London gewidmet); je eine von Hiller (Es muß doch


Die verflossene Concertsaison in Leipzig.

So ist denn abermals ein Winter mit seinen Klängen vorübergeranscht und
wir schicken uns an, dnrch das unbeständige Wetter des April und die noch be¬
vorstehende Messe mit ihrem prosaischen Geräusche in den musikstillen Sommer
überzugehen. Der ist aber auch für deu mit den musikalischen Genüssen übersät¬
tigten Bewohner unsrer Stadt ein dringendes Bedürfniß; wir brauchen die stille,
klanglose Vorbereitung für die neuen Anstrengungen unsrer GehorSnerven, die uns
der künftige Winter wieder unabweislich bringen wird-. Und wie kann es anders
kommen? Zwanzig Concerte des Gewandhauses, acht der Eutcrpe, mehre
Quartettuuterhaltungen, viele außerordentliche für milde Stiftungen, Soireen
und Matineen von Virtuosen, hier und da eine bessere Oper, — es ist fast zu
viel für eine Stadt von 60,0(10 Einwohnern, von denen sich doch nur ein ver¬
hältnißmäßig nicht zu großer Theil der gebildeten Stände betheiligt. Diese regel¬
mäßigen Besucher der Concerte bilden aber eine geschlossene Phalanx, in welcher
sich Veteranen finden, die seit länger als 50 Jahren jeden Winter der heiligen
Tonkunst ihr Opfer brachten. Wenn man sie auf den kalten Stufen der Treppe
im Winter der Eröffnung des Saales harren sieht, um das seit so laugen Jahren
geliebte Plätzchen zu erHaschen, so liegt gewiß etwas Rührendes darin, zu gleicher
Zeit ein Beispiel der Nacheiferung des jungem Geschlechts, daß es mit eben so edler
Hingebung besonders das Institut Pflegen möge, das seit hundert Jahren eine Zierde
unsrer Stadt und ein Palladium der Kunst für ganz Deutschland gewesen ist. Wir
dürfen um so stolzer sein, als gerade die Begründung unsrer Institute und die
ungeschwächte Erhaltung des Interesses an denselben rein bürgerlichen. Ursprungs
ist. Weder die Schätze der Fürsten, noch die Protection des hohen Adels hat
uns auf die Stufe gebracht, die wir jetzt mit Ehren einnehmen, nur einfache
Gelehrte und Kaufleute waren es, die den erste» Samen ausstreuten. Ihre Nach¬
folger haben mit Glück die Keime gepflegt und mit unermüdlicher Sorgfalt den
Baum mit seinem Blüthenreichthnm großgezogen. Möge uns das glückliche Loos
nicht vorenthalten werden, an der Pflege dieses kostbaren Gewächses anch das
Unsrige thun zu dürfen.

In unserm Bericht wenden wir uns zuerst an das Gewandhaus. An reinen
Instrumentalwerken wurden hier aufgeführt: Sinfonien von Beethoven, in
pour, Lroioa, ^,Our, övur, ?a8lx)rath, undvl^vitale Chören; von Haydn in
cour und VOm-; von Mozart in e Dur (mit Schlußfuge) und Knoll; von
Gabe in Ol^oU nndöDur (Ur. 4); von Schumann in LDur und Ouvertüre,
Scherzo und Finale; von Mendelssohn in ^ Roll und ^.vur (der philharmo¬
nischen Gesellschaft in London gewidmet); je eine von Hiller (Es muß doch


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[0066] Die verflossene Concertsaison in Leipzig. So ist denn abermals ein Winter mit seinen Klängen vorübergeranscht und wir schicken uns an, dnrch das unbeständige Wetter des April und die noch be¬ vorstehende Messe mit ihrem prosaischen Geräusche in den musikstillen Sommer überzugehen. Der ist aber auch für deu mit den musikalischen Genüssen übersät¬ tigten Bewohner unsrer Stadt ein dringendes Bedürfniß; wir brauchen die stille, klanglose Vorbereitung für die neuen Anstrengungen unsrer GehorSnerven, die uns der künftige Winter wieder unabweislich bringen wird-. Und wie kann es anders kommen? Zwanzig Concerte des Gewandhauses, acht der Eutcrpe, mehre Quartettuuterhaltungen, viele außerordentliche für milde Stiftungen, Soireen und Matineen von Virtuosen, hier und da eine bessere Oper, — es ist fast zu viel für eine Stadt von 60,0(10 Einwohnern, von denen sich doch nur ein ver¬ hältnißmäßig nicht zu großer Theil der gebildeten Stände betheiligt. Diese regel¬ mäßigen Besucher der Concerte bilden aber eine geschlossene Phalanx, in welcher sich Veteranen finden, die seit länger als 50 Jahren jeden Winter der heiligen Tonkunst ihr Opfer brachten. Wenn man sie auf den kalten Stufen der Treppe im Winter der Eröffnung des Saales harren sieht, um das seit so laugen Jahren geliebte Plätzchen zu erHaschen, so liegt gewiß etwas Rührendes darin, zu gleicher Zeit ein Beispiel der Nacheiferung des jungem Geschlechts, daß es mit eben so edler Hingebung besonders das Institut Pflegen möge, das seit hundert Jahren eine Zierde unsrer Stadt und ein Palladium der Kunst für ganz Deutschland gewesen ist. Wir dürfen um so stolzer sein, als gerade die Begründung unsrer Institute und die ungeschwächte Erhaltung des Interesses an denselben rein bürgerlichen. Ursprungs ist. Weder die Schätze der Fürsten, noch die Protection des hohen Adels hat uns auf die Stufe gebracht, die wir jetzt mit Ehren einnehmen, nur einfache Gelehrte und Kaufleute waren es, die den erste» Samen ausstreuten. Ihre Nach¬ folger haben mit Glück die Keime gepflegt und mit unermüdlicher Sorgfalt den Baum mit seinem Blüthenreichthnm großgezogen. Möge uns das glückliche Loos nicht vorenthalten werden, an der Pflege dieses kostbaren Gewächses anch das Unsrige thun zu dürfen. In unserm Bericht wenden wir uns zuerst an das Gewandhaus. An reinen Instrumentalwerken wurden hier aufgeführt: Sinfonien von Beethoven, in pour, Lroioa, ^,Our, övur, ?a8lx)rath, undvl^vitale Chören; von Haydn in cour und VOm-; von Mozart in e Dur (mit Schlußfuge) und Knoll; von Gabe in Ol^oU nndöDur (Ur. 4); von Schumann in LDur und Ouvertüre, Scherzo und Finale; von Mendelssohn in ^ Roll und ^.vur (der philharmo¬ nischen Gesellschaft in London gewidmet); je eine von Hiller (Es muß doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/66>, abgerufen am 29.04.2024.