Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verständig ist, erscheint Alles gemacht. Ebenso wenn er des bloßen Effectes
wegen gespenstische Maskeraden aufführt, wie im Woodstock.

Ueberblicken wir sein Verhältniß zu den frühern und spätern englischen
Novellisten, so ist er gegen die ersten im entschiedenen Vortheil. Wir.lassen
dem Humor und der Anschaulichkeit eines Fielding, Smollet u. A. in. volle Ge¬
rechtigkeit angedeihen, aber man wird zugestehen müssen, daß ihr Gegenstand im
Ganzen doch ein sehr einförmiger ist. Die Wirthshäuser und dergleichen nehmen
kein Ende. Bei Walter Scott werden auch diejenigen Romane, die sich in der
modernen Gesellschaft bewegen, durch den Anflug des Geschichtlichen gefärbt,
wenn dieses zuweilen auch in der unverarbeiteten Form der Volkslieder, Balla¬
den, der landschaftlichen Localschilderungen auftritt. Außerdem zeichnet er sich
durch eine strenge Oeconomie in der Hamburg aus, die freilich nach seinem
eignen Geständniß mehr Instinkt als Absicht war, und wenn man ihm eine zu
weit getriebene epische Breite vorwirft, so muß man, um gerecht zu sein, einer¬
seits die früheren Novellisten und den Geschmack des englischen Publicums in
Rechnung bringen, andrerseits die ganze Methode seiner Dichtung in Betracht
ziehen, die überall ans Klarheit, Deutlichkeit und Vollständigkeit ausgeht, nicht ans
die glänzende, aber incorrccte Rapidität der französischen Erfindungen. Die späteren
Dichter haben meistens nur einzelne Seiten seines Wesens mit Virtuosität aus¬
gebildet, wenn sie ihn auch in dieser Einseitigkeit in mancher Beziehung über¬
treffen. Von Dickens habe ich schou gesprochen. Ich möchte, um einen schlagen¬
den Vergleich zwischen Beiden anzudeuten, die Lofer auf die Sarah Gamp des
Einen mit ihr Verhältniß zu dem Leichenweib in der Braut von Lammermoor
hinweisen. Von Cooper (der 1820 auftrat), Bulwer (1828) u. f. w. behalte ich
mir noch vor, das Verhältniß festzustellen.

In Einem ist Walter Scott schwächer, als mancher seiner Zeitgenossen, ge¬
rade weil er maßvoller ist, als sie: in der Darstellung der Leidenschaft. Zwar
fehlt es nicht an leidenschaftlichen Charakteren, Motiven und Handlungen, aber
diese Leidenschaft wird nicht mit der fieberhaften Gluth ausgemalt und detaillirt,
wie wir es bei den Franzosen gewohnt sind. Es hängt damit zusammen, daß
seine Frauengestalten im Ganzen weniger Interesse haben. Wo man das geschlecht¬
liche Verhältniß nur schonend berührt, wird auch die Darstellung des Weibes
etwas Schattenhaftes haben; dafür finden wir aber reichliche Entschädigung an
dem Behagen, welches uns seine idealen Gestalten einflößen, namentlich seine
Jenny im Herzen von Midlothian, an dem heitern Muthwillen seiner jungen
Mädchen und an der Energie, mit welcher ausnahmsweise die stolzerem Frauen¬
1, 8- gestalten gezeichnet sind, z. B. Lady Ashton in der "Braut".




verständig ist, erscheint Alles gemacht. Ebenso wenn er des bloßen Effectes
wegen gespenstische Maskeraden aufführt, wie im Woodstock.

Ueberblicken wir sein Verhältniß zu den frühern und spätern englischen
Novellisten, so ist er gegen die ersten im entschiedenen Vortheil. Wir.lassen
dem Humor und der Anschaulichkeit eines Fielding, Smollet u. A. in. volle Ge¬
rechtigkeit angedeihen, aber man wird zugestehen müssen, daß ihr Gegenstand im
Ganzen doch ein sehr einförmiger ist. Die Wirthshäuser und dergleichen nehmen
kein Ende. Bei Walter Scott werden auch diejenigen Romane, die sich in der
modernen Gesellschaft bewegen, durch den Anflug des Geschichtlichen gefärbt,
wenn dieses zuweilen auch in der unverarbeiteten Form der Volkslieder, Balla¬
den, der landschaftlichen Localschilderungen auftritt. Außerdem zeichnet er sich
durch eine strenge Oeconomie in der Hamburg aus, die freilich nach seinem
eignen Geständniß mehr Instinkt als Absicht war, und wenn man ihm eine zu
weit getriebene epische Breite vorwirft, so muß man, um gerecht zu sein, einer¬
seits die früheren Novellisten und den Geschmack des englischen Publicums in
Rechnung bringen, andrerseits die ganze Methode seiner Dichtung in Betracht
ziehen, die überall ans Klarheit, Deutlichkeit und Vollständigkeit ausgeht, nicht ans
die glänzende, aber incorrccte Rapidität der französischen Erfindungen. Die späteren
Dichter haben meistens nur einzelne Seiten seines Wesens mit Virtuosität aus¬
gebildet, wenn sie ihn auch in dieser Einseitigkeit in mancher Beziehung über¬
treffen. Von Dickens habe ich schou gesprochen. Ich möchte, um einen schlagen¬
den Vergleich zwischen Beiden anzudeuten, die Lofer auf die Sarah Gamp des
Einen mit ihr Verhältniß zu dem Leichenweib in der Braut von Lammermoor
hinweisen. Von Cooper (der 1820 auftrat), Bulwer (1828) u. f. w. behalte ich
mir noch vor, das Verhältniß festzustellen.

In Einem ist Walter Scott schwächer, als mancher seiner Zeitgenossen, ge¬
rade weil er maßvoller ist, als sie: in der Darstellung der Leidenschaft. Zwar
fehlt es nicht an leidenschaftlichen Charakteren, Motiven und Handlungen, aber
diese Leidenschaft wird nicht mit der fieberhaften Gluth ausgemalt und detaillirt,
wie wir es bei den Franzosen gewohnt sind. Es hängt damit zusammen, daß
seine Frauengestalten im Ganzen weniger Interesse haben. Wo man das geschlecht¬
liche Verhältniß nur schonend berührt, wird auch die Darstellung des Weibes
etwas Schattenhaftes haben; dafür finden wir aber reichliche Entschädigung an
dem Behagen, welches uns seine idealen Gestalten einflößen, namentlich seine
Jenny im Herzen von Midlothian, an dem heitern Muthwillen seiner jungen
Mädchen und an der Energie, mit welcher ausnahmsweise die stolzerem Frauen¬
1, 8- gestalten gezeichnet sind, z. B. Lady Ashton in der „Braut".




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91258"/>
          <p xml:id="ID_159" prev="#ID_158"> verständig ist, erscheint Alles gemacht. Ebenso wenn er des bloßen Effectes<lb/>
wegen gespenstische Maskeraden aufführt, wie im Woodstock.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_160"> Ueberblicken wir sein Verhältniß zu den frühern und spätern englischen<lb/>
Novellisten, so ist er gegen die ersten im entschiedenen Vortheil. Wir.lassen<lb/>
dem Humor und der Anschaulichkeit eines Fielding, Smollet u. A. in. volle Ge¬<lb/>
rechtigkeit angedeihen, aber man wird zugestehen müssen, daß ihr Gegenstand im<lb/>
Ganzen doch ein sehr einförmiger ist. Die Wirthshäuser und dergleichen nehmen<lb/>
kein Ende. Bei Walter Scott werden auch diejenigen Romane, die sich in der<lb/>
modernen Gesellschaft bewegen, durch den Anflug des Geschichtlichen gefärbt,<lb/>
wenn dieses zuweilen auch in der unverarbeiteten Form der Volkslieder, Balla¬<lb/>
den, der landschaftlichen Localschilderungen auftritt. Außerdem zeichnet er sich<lb/>
durch eine strenge Oeconomie in der Hamburg aus, die freilich nach seinem<lb/>
eignen Geständniß mehr Instinkt als Absicht war, und wenn man ihm eine zu<lb/>
weit getriebene epische Breite vorwirft, so muß man, um gerecht zu sein, einer¬<lb/>
seits die früheren Novellisten und den Geschmack des englischen Publicums in<lb/>
Rechnung bringen, andrerseits die ganze Methode seiner Dichtung in Betracht<lb/>
ziehen, die überall ans Klarheit, Deutlichkeit und Vollständigkeit ausgeht, nicht ans<lb/>
die glänzende, aber incorrccte Rapidität der französischen Erfindungen. Die späteren<lb/>
Dichter haben meistens nur einzelne Seiten seines Wesens mit Virtuosität aus¬<lb/>
gebildet, wenn sie ihn auch in dieser Einseitigkeit in mancher Beziehung über¬<lb/>
treffen. Von Dickens habe ich schou gesprochen. Ich möchte, um einen schlagen¬<lb/>
den Vergleich zwischen Beiden anzudeuten, die Lofer auf die Sarah Gamp des<lb/>
Einen mit ihr Verhältniß zu dem Leichenweib in der Braut von Lammermoor<lb/>
hinweisen. Von Cooper (der 1820 auftrat), Bulwer (1828) u. f. w. behalte ich<lb/>
mir noch vor, das Verhältniß festzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_161"> In Einem ist Walter Scott schwächer, als mancher seiner Zeitgenossen, ge¬<lb/>
rade weil er maßvoller ist, als sie: in der Darstellung der Leidenschaft. Zwar<lb/>
fehlt es nicht an leidenschaftlichen Charakteren, Motiven und Handlungen, aber<lb/>
diese Leidenschaft wird nicht mit der fieberhaften Gluth ausgemalt und detaillirt,<lb/>
wie wir es bei den Franzosen gewohnt sind. Es hängt damit zusammen, daß<lb/>
seine Frauengestalten im Ganzen weniger Interesse haben. Wo man das geschlecht¬<lb/>
liche Verhältniß nur schonend berührt, wird auch die Darstellung des Weibes<lb/>
etwas Schattenhaftes haben; dafür finden wir aber reichliche Entschädigung an<lb/>
dem Behagen, welches uns seine idealen Gestalten einflößen, namentlich seine<lb/>
Jenny im Herzen von Midlothian, an dem heitern Muthwillen seiner jungen<lb/>
Mädchen und an der Energie, mit welcher ausnahmsweise die stolzerem Frauen¬<lb/><note type="byline"> 1, 8-</note> gestalten gezeichnet sind, z. B. Lady Ashton in der &#x201E;Braut". </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] verständig ist, erscheint Alles gemacht. Ebenso wenn er des bloßen Effectes wegen gespenstische Maskeraden aufführt, wie im Woodstock. Ueberblicken wir sein Verhältniß zu den frühern und spätern englischen Novellisten, so ist er gegen die ersten im entschiedenen Vortheil. Wir.lassen dem Humor und der Anschaulichkeit eines Fielding, Smollet u. A. in. volle Ge¬ rechtigkeit angedeihen, aber man wird zugestehen müssen, daß ihr Gegenstand im Ganzen doch ein sehr einförmiger ist. Die Wirthshäuser und dergleichen nehmen kein Ende. Bei Walter Scott werden auch diejenigen Romane, die sich in der modernen Gesellschaft bewegen, durch den Anflug des Geschichtlichen gefärbt, wenn dieses zuweilen auch in der unverarbeiteten Form der Volkslieder, Balla¬ den, der landschaftlichen Localschilderungen auftritt. Außerdem zeichnet er sich durch eine strenge Oeconomie in der Hamburg aus, die freilich nach seinem eignen Geständniß mehr Instinkt als Absicht war, und wenn man ihm eine zu weit getriebene epische Breite vorwirft, so muß man, um gerecht zu sein, einer¬ seits die früheren Novellisten und den Geschmack des englischen Publicums in Rechnung bringen, andrerseits die ganze Methode seiner Dichtung in Betracht ziehen, die überall ans Klarheit, Deutlichkeit und Vollständigkeit ausgeht, nicht ans die glänzende, aber incorrccte Rapidität der französischen Erfindungen. Die späteren Dichter haben meistens nur einzelne Seiten seines Wesens mit Virtuosität aus¬ gebildet, wenn sie ihn auch in dieser Einseitigkeit in mancher Beziehung über¬ treffen. Von Dickens habe ich schou gesprochen. Ich möchte, um einen schlagen¬ den Vergleich zwischen Beiden anzudeuten, die Lofer auf die Sarah Gamp des Einen mit ihr Verhältniß zu dem Leichenweib in der Braut von Lammermoor hinweisen. Von Cooper (der 1820 auftrat), Bulwer (1828) u. f. w. behalte ich mir noch vor, das Verhältniß festzustellen. In Einem ist Walter Scott schwächer, als mancher seiner Zeitgenossen, ge¬ rade weil er maßvoller ist, als sie: in der Darstellung der Leidenschaft. Zwar fehlt es nicht an leidenschaftlichen Charakteren, Motiven und Handlungen, aber diese Leidenschaft wird nicht mit der fieberhaften Gluth ausgemalt und detaillirt, wie wir es bei den Franzosen gewohnt sind. Es hängt damit zusammen, daß seine Frauengestalten im Ganzen weniger Interesse haben. Wo man das geschlecht¬ liche Verhältniß nur schonend berührt, wird auch die Darstellung des Weibes etwas Schattenhaftes haben; dafür finden wir aber reichliche Entschädigung an dem Behagen, welches uns seine idealen Gestalten einflößen, namentlich seine Jenny im Herzen von Midlothian, an dem heitern Muthwillen seiner jungen Mädchen und an der Energie, mit welcher ausnahmsweise die stolzerem Frauen¬ 1, 8- gestalten gezeichnet sind, z. B. Lady Ashton in der „Braut".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/65
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/65>, abgerufen am 15.05.2024.