Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

licher Natur. -- Freilich hat die gestimmte Berliner Demokratie den berühmten
passiven Widerstand geleistet; aber der bei dieser Gelegenheit aufgewandte Hel¬
denmuth) war mehr ein Schauspiel für Engel, als für Menschen, es war ein Helden¬
muth in Schlafrock und Pantoffeln, oder, wenn man lieber will, in Glacehand¬
schuhen. -- Nachher hat die Demokratie noch einen großen Act ausgeübt: das
Nichtwähleu, ein Act, bei dem ebenfalls keine Todesfurcht zu überwinden war,
namentlich da die demokratischen Beamten nachher die von der "günstiger gestellten
Minorität^ angenommene Verfassung beschworen, und die gesammte Demokratie die
von der "günstiger gestellten Minorität" bewilligten Steuern gezahlt hat. --

So steht es mit unsern Freunden, den Demokraten. Wo ist aber das Buch,
in welchem die Heldenthaten der Herren v. Gerlach, v. Bismark, Stahl n. s. w.
aufgezeichnet stehn? -- Allerdings haben sie gegen die Revolution Front gemacht,
aber in Schlafrock und Pantoffeln, oder in Glacehandschuhen, d. h. im Bureau
der Kreuzzeitung. -- Und was die Affairen betrifft, in denen wirklich von Spitz-
kngeln die Rede gewesen ist, so hat das ganze bewaffnete Volk daran Theil ge¬
nommen, Absolutisten, Liberale, Demokraten, ohne Unterschied des Standes und
der Person. Die Lorbeeren, die -- bei Bronzell gewonnen sind, kommen keiner
Partei besonders zu. -- Daß Gott erbarm!

Dagegen rechnen wir die Haltung eines Stammes, der sich durch seine
neuesten Thaten in die erste Reihe der Deutschen gestellt hat, ganz und aus¬
schließlich unserer Partei zu: die Haltung der Schleswig-Holsteiuer. Denn unsere
Partei besteht uicht aus deu 2 -- 300 ehrenwerthen Männern, die uns in Frank¬
furt und Berlin vertreten haben, sondern ans allen, denen die Ehre ihres Vater¬
landes sowohl über deu Herrendienst und die sogenannten conservativen Interessen,
als über das Gelüst augenblicklicher, schrankenloser Freiheit geht. Ju uuserer baby-
lonischen Sprachverwirrung, wo man mit Ideen so verschwenderisch umgegangen
war, daß zuletzt der Erfolg als einziges Kriterium übrig blieb, hat man es ge¬
wagt, über Heinrich Gagern's letzten edlen Entschluß zu spotten. Aber Gagern
hat sich doch wirklich deu Spitzkugelu ausgesetzt, die Andern haben sich nur in
den Träumen von Spitzkngeln gewiegt.


2.
Die Centren.

Die neuesten Vorgänge in unsern Kammern sind nicht eben geeignet, den
Respect vor dem parlamentarischen Wesen zu erhöhen. Zwar müssen wir fort¬
während daran erinnern, daß auch das Parlament seine Schule haben will, daß
man uicht erwarten darf, bei dem ersten parlamentarischen Versuch eines politisch
noch jungen Volkes werde sofort eine Gliederung eintreten, die an Correctheit
mit den beiden Häusern Großbritanniens wetteifern könnte; wir müssen ferner bei
einer Kammer, die unter den abnormsten Umständen zur Welt gekommen ist, und


licher Natur. — Freilich hat die gestimmte Berliner Demokratie den berühmten
passiven Widerstand geleistet; aber der bei dieser Gelegenheit aufgewandte Hel¬
denmuth) war mehr ein Schauspiel für Engel, als für Menschen, es war ein Helden¬
muth in Schlafrock und Pantoffeln, oder, wenn man lieber will, in Glacehand¬
schuhen. — Nachher hat die Demokratie noch einen großen Act ausgeübt: das
Nichtwähleu, ein Act, bei dem ebenfalls keine Todesfurcht zu überwinden war,
namentlich da die demokratischen Beamten nachher die von der „günstiger gestellten
Minorität^ angenommene Verfassung beschworen, und die gesammte Demokratie die
von der „günstiger gestellten Minorität" bewilligten Steuern gezahlt hat. —

So steht es mit unsern Freunden, den Demokraten. Wo ist aber das Buch,
in welchem die Heldenthaten der Herren v. Gerlach, v. Bismark, Stahl n. s. w.
aufgezeichnet stehn? — Allerdings haben sie gegen die Revolution Front gemacht,
aber in Schlafrock und Pantoffeln, oder in Glacehandschuhen, d. h. im Bureau
der Kreuzzeitung. — Und was die Affairen betrifft, in denen wirklich von Spitz-
kngeln die Rede gewesen ist, so hat das ganze bewaffnete Volk daran Theil ge¬
nommen, Absolutisten, Liberale, Demokraten, ohne Unterschied des Standes und
der Person. Die Lorbeeren, die — bei Bronzell gewonnen sind, kommen keiner
Partei besonders zu. — Daß Gott erbarm!

Dagegen rechnen wir die Haltung eines Stammes, der sich durch seine
neuesten Thaten in die erste Reihe der Deutschen gestellt hat, ganz und aus¬
schließlich unserer Partei zu: die Haltung der Schleswig-Holsteiuer. Denn unsere
Partei besteht uicht aus deu 2 — 300 ehrenwerthen Männern, die uns in Frank¬
furt und Berlin vertreten haben, sondern ans allen, denen die Ehre ihres Vater¬
landes sowohl über deu Herrendienst und die sogenannten conservativen Interessen,
als über das Gelüst augenblicklicher, schrankenloser Freiheit geht. Ju uuserer baby-
lonischen Sprachverwirrung, wo man mit Ideen so verschwenderisch umgegangen
war, daß zuletzt der Erfolg als einziges Kriterium übrig blieb, hat man es ge¬
wagt, über Heinrich Gagern's letzten edlen Entschluß zu spotten. Aber Gagern
hat sich doch wirklich deu Spitzkugelu ausgesetzt, die Andern haben sich nur in
den Träumen von Spitzkngeln gewiegt.


2.
Die Centren.

Die neuesten Vorgänge in unsern Kammern sind nicht eben geeignet, den
Respect vor dem parlamentarischen Wesen zu erhöhen. Zwar müssen wir fort¬
während daran erinnern, daß auch das Parlament seine Schule haben will, daß
man uicht erwarten darf, bei dem ersten parlamentarischen Versuch eines politisch
noch jungen Volkes werde sofort eine Gliederung eintreten, die an Correctheit
mit den beiden Häusern Großbritanniens wetteifern könnte; wir müssen ferner bei
einer Kammer, die unter den abnormsten Umständen zur Welt gekommen ist, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91965"/>
            <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683"> licher Natur. &#x2014; Freilich hat die gestimmte Berliner Demokratie den berühmten<lb/>
passiven Widerstand geleistet; aber der bei dieser Gelegenheit aufgewandte Hel¬<lb/>
denmuth) war mehr ein Schauspiel für Engel, als für Menschen, es war ein Helden¬<lb/>
muth in Schlafrock und Pantoffeln, oder, wenn man lieber will, in Glacehand¬<lb/>
schuhen. &#x2014; Nachher hat die Demokratie noch einen großen Act ausgeübt: das<lb/>
Nichtwähleu, ein Act, bei dem ebenfalls keine Todesfurcht zu überwinden war,<lb/>
namentlich da die demokratischen Beamten nachher die von der &#x201E;günstiger gestellten<lb/>
Minorität^ angenommene Verfassung beschworen, und die gesammte Demokratie die<lb/>
von der &#x201E;günstiger gestellten Minorität" bewilligten Steuern gezahlt hat. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_685"> So steht es mit unsern Freunden, den Demokraten. Wo ist aber das Buch,<lb/>
in welchem die Heldenthaten der Herren v. Gerlach, v. Bismark, Stahl n. s. w.<lb/>
aufgezeichnet stehn? &#x2014; Allerdings haben sie gegen die Revolution Front gemacht,<lb/>
aber in Schlafrock und Pantoffeln, oder in Glacehandschuhen, d. h. im Bureau<lb/>
der Kreuzzeitung. &#x2014; Und was die Affairen betrifft, in denen wirklich von Spitz-<lb/>
kngeln die Rede gewesen ist, so hat das ganze bewaffnete Volk daran Theil ge¬<lb/>
nommen, Absolutisten, Liberale, Demokraten, ohne Unterschied des Standes und<lb/>
der Person. Die Lorbeeren, die &#x2014; bei Bronzell gewonnen sind, kommen keiner<lb/>
Partei besonders zu. &#x2014; Daß Gott erbarm!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_686"> Dagegen rechnen wir die Haltung eines Stammes, der sich durch seine<lb/>
neuesten Thaten in die erste Reihe der Deutschen gestellt hat, ganz und aus¬<lb/>
schließlich unserer Partei zu: die Haltung der Schleswig-Holsteiuer. Denn unsere<lb/>
Partei besteht uicht aus deu 2 &#x2014; 300 ehrenwerthen Männern, die uns in Frank¬<lb/>
furt und Berlin vertreten haben, sondern ans allen, denen die Ehre ihres Vater¬<lb/>
landes sowohl über deu Herrendienst und die sogenannten conservativen Interessen,<lb/>
als über das Gelüst augenblicklicher, schrankenloser Freiheit geht. Ju uuserer baby-<lb/>
lonischen Sprachverwirrung, wo man mit Ideen so verschwenderisch umgegangen<lb/>
war, daß zuletzt der Erfolg als einziges Kriterium übrig blieb, hat man es ge¬<lb/>
wagt, über Heinrich Gagern's letzten edlen Entschluß zu spotten. Aber Gagern<lb/>
hat sich doch wirklich deu Spitzkugelu ausgesetzt, die Andern haben sich nur in<lb/>
den Träumen von Spitzkngeln gewiegt.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.<lb/>
Die Centren.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_687" next="#ID_688"> Die neuesten Vorgänge in unsern Kammern sind nicht eben geeignet, den<lb/>
Respect vor dem parlamentarischen Wesen zu erhöhen. Zwar müssen wir fort¬<lb/>
während daran erinnern, daß auch das Parlament seine Schule haben will, daß<lb/>
man uicht erwarten darf, bei dem ersten parlamentarischen Versuch eines politisch<lb/>
noch jungen Volkes werde sofort eine Gliederung eintreten, die an Correctheit<lb/>
mit den beiden Häusern Großbritanniens wetteifern könnte; wir müssen ferner bei<lb/>
einer Kammer, die unter den abnormsten Umständen zur Welt gekommen ist, und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] licher Natur. — Freilich hat die gestimmte Berliner Demokratie den berühmten passiven Widerstand geleistet; aber der bei dieser Gelegenheit aufgewandte Hel¬ denmuth) war mehr ein Schauspiel für Engel, als für Menschen, es war ein Helden¬ muth in Schlafrock und Pantoffeln, oder, wenn man lieber will, in Glacehand¬ schuhen. — Nachher hat die Demokratie noch einen großen Act ausgeübt: das Nichtwähleu, ein Act, bei dem ebenfalls keine Todesfurcht zu überwinden war, namentlich da die demokratischen Beamten nachher die von der „günstiger gestellten Minorität^ angenommene Verfassung beschworen, und die gesammte Demokratie die von der „günstiger gestellten Minorität" bewilligten Steuern gezahlt hat. — So steht es mit unsern Freunden, den Demokraten. Wo ist aber das Buch, in welchem die Heldenthaten der Herren v. Gerlach, v. Bismark, Stahl n. s. w. aufgezeichnet stehn? — Allerdings haben sie gegen die Revolution Front gemacht, aber in Schlafrock und Pantoffeln, oder in Glacehandschuhen, d. h. im Bureau der Kreuzzeitung. — Und was die Affairen betrifft, in denen wirklich von Spitz- kngeln die Rede gewesen ist, so hat das ganze bewaffnete Volk daran Theil ge¬ nommen, Absolutisten, Liberale, Demokraten, ohne Unterschied des Standes und der Person. Die Lorbeeren, die — bei Bronzell gewonnen sind, kommen keiner Partei besonders zu. — Daß Gott erbarm! Dagegen rechnen wir die Haltung eines Stammes, der sich durch seine neuesten Thaten in die erste Reihe der Deutschen gestellt hat, ganz und aus¬ schließlich unserer Partei zu: die Haltung der Schleswig-Holsteiuer. Denn unsere Partei besteht uicht aus deu 2 — 300 ehrenwerthen Männern, die uns in Frank¬ furt und Berlin vertreten haben, sondern ans allen, denen die Ehre ihres Vater¬ landes sowohl über deu Herrendienst und die sogenannten conservativen Interessen, als über das Gelüst augenblicklicher, schrankenloser Freiheit geht. Ju uuserer baby- lonischen Sprachverwirrung, wo man mit Ideen so verschwenderisch umgegangen war, daß zuletzt der Erfolg als einziges Kriterium übrig blieb, hat man es ge¬ wagt, über Heinrich Gagern's letzten edlen Entschluß zu spotten. Aber Gagern hat sich doch wirklich deu Spitzkugelu ausgesetzt, die Andern haben sich nur in den Träumen von Spitzkngeln gewiegt. 2. Die Centren. Die neuesten Vorgänge in unsern Kammern sind nicht eben geeignet, den Respect vor dem parlamentarischen Wesen zu erhöhen. Zwar müssen wir fort¬ während daran erinnern, daß auch das Parlament seine Schule haben will, daß man uicht erwarten darf, bei dem ersten parlamentarischen Versuch eines politisch noch jungen Volkes werde sofort eine Gliederung eintreten, die an Correctheit mit den beiden Häusern Großbritanniens wetteifern könnte; wir müssen ferner bei einer Kammer, die unter den abnormsten Umständen zur Welt gekommen ist, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/227>, abgerufen am 04.05.2024.