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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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deren Beschlüsse praktisch ohne alle Bedeutung sind, nachsichtiger sein; aber wir
dürfen nie die Principien aus den Augen lassen, und müssen einen Fehlgriff um
so schärfer hervorheben, wenn wir die Gefahr vor uns sehen, daß er in der
parlamentarischen Gewohnheit Wurzeln schlägt. Das ist der Fall mit unserer
Centrenbildung.

Zwar wird die Regierung und die Partei, deren Principien sie vertritt, und
auf deren Einfluß sie sich stützt, stets in der Mitte zwischen den Extremen ihren
Platz haben. Denn sie hat es mit der concreten Wirklichkeit zu thun, die äußerste
Rechte dagegen und die äußerste Linke verfolgen ihrer Natur nach ein abstractes,
also einseitiges Princip.

Allein die wesentliche Bedingung eines lebensfähigen gouvernementalen
Centrums ist die Selbständigkeit. Ein principloses Schwanken zwischen zwei
entgegengesetzten Ansichten, das sich durch weiter nichts bestimmen läßt, als durch
die Rücksichten der Bonhommie oder geradezu durch augenblickliche Einfälle, ist ein
Krebsschaden für das parlamentarische Wesen. Ein solches Centrum hat weder
die Festigkeit, gegen die Regierung Opposition zu machen, noch sie zu stützen,
denn es ist ein leerer, lebloser Schatten. So verhält es sich in diesem Augen¬
blick mit dem Centrum unserer zweiten Kammer, der Fraction Bodelschwingh
Geppert. Gestern macht es entschieden gegen die Olmützer Punctationen Front,
morgen ist es ganz damit einverstanden. Es wählt, um unparteiisch zu sein,
den Präsidenten aus der Linken, weil er ein guter, braver Maun ist, den Vice-
präsidenten aus der Rechten, oder,noch besser, aus seiner eigenen Mitte. Wo
über die Grundbegriffe des parlamentarischen Lebens noch so viel Unklarheit
herrscht, kaun man die Regierung nicht verdammen, wenn sie dem Parlament keinen
wesentlichen Einfluß auf ihre Handlungsweise verstattet.

Aber diese Abnormität ist noch nichts gegen eine zweite, die einzig in der
constitutionellen Geschichte dasteht. Das ist die Bildung eines allercentralsten
Centrums von 12--20 Personen, die, wenn die rechte und linke Seite gleich
stark besetzt sind, unter der Voraussetzung, daß die Beschlüsse des Parlaments
Gesetzeskraft haben würden, ausschließlich die Negierung des Landes
in ihren Händen hätte n. Einen so sinnlosen Zustand kann keine Negierung
dulden, und wenn das Parlament nicht im Stande ist, durch eigue Kraft diese
Sinnlosigkeit zu corrigiren, so spricht es sich damit sein Todesurtheil.

Aber auch das ist nicht genug. Wer siud diese 20 Personen, die bei der
letzten Präsidentenwahl zuerst mit der Prätension einer selbständigen Stellung
hervorgetreten sind? Es ist dieselbe Nuance, welche in den Berliner
Kammern von 49 die nämliche Rolle spielte. Damals wie jetzt stand
Herr Ost er rath an der Spitze. Aber damals war die ganze jetzige Kammer
rechts, die Demokraten links. Herr Osterrath also mehr links, als die heu¬
tigen Linken. -- Das ist ^ doch eine Centrumbildung, die ihres Gleichen sucht!


deren Beschlüsse praktisch ohne alle Bedeutung sind, nachsichtiger sein; aber wir
dürfen nie die Principien aus den Augen lassen, und müssen einen Fehlgriff um
so schärfer hervorheben, wenn wir die Gefahr vor uns sehen, daß er in der
parlamentarischen Gewohnheit Wurzeln schlägt. Das ist der Fall mit unserer
Centrenbildung.

Zwar wird die Regierung und die Partei, deren Principien sie vertritt, und
auf deren Einfluß sie sich stützt, stets in der Mitte zwischen den Extremen ihren
Platz haben. Denn sie hat es mit der concreten Wirklichkeit zu thun, die äußerste
Rechte dagegen und die äußerste Linke verfolgen ihrer Natur nach ein abstractes,
also einseitiges Princip.

Allein die wesentliche Bedingung eines lebensfähigen gouvernementalen
Centrums ist die Selbständigkeit. Ein principloses Schwanken zwischen zwei
entgegengesetzten Ansichten, das sich durch weiter nichts bestimmen läßt, als durch
die Rücksichten der Bonhommie oder geradezu durch augenblickliche Einfälle, ist ein
Krebsschaden für das parlamentarische Wesen. Ein solches Centrum hat weder
die Festigkeit, gegen die Regierung Opposition zu machen, noch sie zu stützen,
denn es ist ein leerer, lebloser Schatten. So verhält es sich in diesem Augen¬
blick mit dem Centrum unserer zweiten Kammer, der Fraction Bodelschwingh
Geppert. Gestern macht es entschieden gegen die Olmützer Punctationen Front,
morgen ist es ganz damit einverstanden. Es wählt, um unparteiisch zu sein,
den Präsidenten aus der Linken, weil er ein guter, braver Maun ist, den Vice-
präsidenten aus der Rechten, oder,noch besser, aus seiner eigenen Mitte. Wo
über die Grundbegriffe des parlamentarischen Lebens noch so viel Unklarheit
herrscht, kaun man die Regierung nicht verdammen, wenn sie dem Parlament keinen
wesentlichen Einfluß auf ihre Handlungsweise verstattet.

Aber diese Abnormität ist noch nichts gegen eine zweite, die einzig in der
constitutionellen Geschichte dasteht. Das ist die Bildung eines allercentralsten
Centrums von 12—20 Personen, die, wenn die rechte und linke Seite gleich
stark besetzt sind, unter der Voraussetzung, daß die Beschlüsse des Parlaments
Gesetzeskraft haben würden, ausschließlich die Negierung des Landes
in ihren Händen hätte n. Einen so sinnlosen Zustand kann keine Negierung
dulden, und wenn das Parlament nicht im Stande ist, durch eigue Kraft diese
Sinnlosigkeit zu corrigiren, so spricht es sich damit sein Todesurtheil.

Aber auch das ist nicht genug. Wer siud diese 20 Personen, die bei der
letzten Präsidentenwahl zuerst mit der Prätension einer selbständigen Stellung
hervorgetreten sind? Es ist dieselbe Nuance, welche in den Berliner
Kammern von 49 die nämliche Rolle spielte. Damals wie jetzt stand
Herr Ost er rath an der Spitze. Aber damals war die ganze jetzige Kammer
rechts, die Demokraten links. Herr Osterrath also mehr links, als die heu¬
tigen Linken. — Das ist ^ doch eine Centrumbildung, die ihres Gleichen sucht!


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[0228] deren Beschlüsse praktisch ohne alle Bedeutung sind, nachsichtiger sein; aber wir dürfen nie die Principien aus den Augen lassen, und müssen einen Fehlgriff um so schärfer hervorheben, wenn wir die Gefahr vor uns sehen, daß er in der parlamentarischen Gewohnheit Wurzeln schlägt. Das ist der Fall mit unserer Centrenbildung. Zwar wird die Regierung und die Partei, deren Principien sie vertritt, und auf deren Einfluß sie sich stützt, stets in der Mitte zwischen den Extremen ihren Platz haben. Denn sie hat es mit der concreten Wirklichkeit zu thun, die äußerste Rechte dagegen und die äußerste Linke verfolgen ihrer Natur nach ein abstractes, also einseitiges Princip. Allein die wesentliche Bedingung eines lebensfähigen gouvernementalen Centrums ist die Selbständigkeit. Ein principloses Schwanken zwischen zwei entgegengesetzten Ansichten, das sich durch weiter nichts bestimmen läßt, als durch die Rücksichten der Bonhommie oder geradezu durch augenblickliche Einfälle, ist ein Krebsschaden für das parlamentarische Wesen. Ein solches Centrum hat weder die Festigkeit, gegen die Regierung Opposition zu machen, noch sie zu stützen, denn es ist ein leerer, lebloser Schatten. So verhält es sich in diesem Augen¬ blick mit dem Centrum unserer zweiten Kammer, der Fraction Bodelschwingh Geppert. Gestern macht es entschieden gegen die Olmützer Punctationen Front, morgen ist es ganz damit einverstanden. Es wählt, um unparteiisch zu sein, den Präsidenten aus der Linken, weil er ein guter, braver Maun ist, den Vice- präsidenten aus der Rechten, oder,noch besser, aus seiner eigenen Mitte. Wo über die Grundbegriffe des parlamentarischen Lebens noch so viel Unklarheit herrscht, kaun man die Regierung nicht verdammen, wenn sie dem Parlament keinen wesentlichen Einfluß auf ihre Handlungsweise verstattet. Aber diese Abnormität ist noch nichts gegen eine zweite, die einzig in der constitutionellen Geschichte dasteht. Das ist die Bildung eines allercentralsten Centrums von 12—20 Personen, die, wenn die rechte und linke Seite gleich stark besetzt sind, unter der Voraussetzung, daß die Beschlüsse des Parlaments Gesetzeskraft haben würden, ausschließlich die Negierung des Landes in ihren Händen hätte n. Einen so sinnlosen Zustand kann keine Negierung dulden, und wenn das Parlament nicht im Stande ist, durch eigue Kraft diese Sinnlosigkeit zu corrigiren, so spricht es sich damit sein Todesurtheil. Aber auch das ist nicht genug. Wer siud diese 20 Personen, die bei der letzten Präsidentenwahl zuerst mit der Prätension einer selbständigen Stellung hervorgetreten sind? Es ist dieselbe Nuance, welche in den Berliner Kammern von 49 die nämliche Rolle spielte. Damals wie jetzt stand Herr Ost er rath an der Spitze. Aber damals war die ganze jetzige Kammer rechts, die Demokraten links. Herr Osterrath also mehr links, als die heu¬ tigen Linken. — Das ist ^ doch eine Centrumbildung, die ihres Gleichen sucht!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/228>, abgerufen am 22.05.2024.