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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Deutsche ZT o in ane.

Neues Leben. Eine Erzählung von Berthold An erd ach. Mannheim, Friedrich
Bassermann. 18?)2.

Als Auerbach durch die Dorfgeschichten seinem Talent einen großen Kreis
von Freunden gewann, da war es nicht sowol der künstlerische Werth dieser
Erzählungen, sondern zunächst eine Eigenthümlichkeit seiner Dichterseele, welche
die deutsche" Leser lebhast zu ihm hinzog. Gegenüber dem prätensiösen
Wesen anderer Schriftsteller, welche innere Kälte und Mangel an Begeisterung
sür ihre Stoffe durch eine forcirte Frivolität nud eine nachlässige, vornehme Behand¬
lung ihrer Charaktere und Situationen zu verdecken suchten, und die Wirkungen
der Situatwueu durch selbstgefälliges Heraustreibe" unpassender Bemerkungen
und kleiner Witze vernichteten, zeigte Auerbach eine liebenswürdige Zärtlichkeit
für seine Dorfhelden und deren Situationen, große Wärme beim Schaffen und
eine herzliche Freude an dem gefundenen Stoff. Das fühlte sich schnell heraus.
Man nannte diese Eigenschaft Ursprünglichkeit, Frische, und empfand sie mit Recht
gegenüber der Kälte der Anderen als einen Fortschritt. Dazu kam, daß die
Stoffe, welche er behandelte, die Reaction eröffneten gegen die nichtsnutzige Thee¬
tisch- und Salonliteratur, bei welcher alles poetische Charakterifiren aufgehört hatte.
Seine Gestalten waren aus dem Volke genommen, euggeschlvsseue Kreise, aber
deutsches Wesen und nationaler Boden. Auch sein Styl zeigte im Satzbau und
logischer Composition sehr einfache Sprache, welche sich durch Annäherung an die
naiven Klänge des VvlkSdialektes Charakter und Wärme zu geben bestrebte, in
zweckmäßigem Gegensatz zu dem Styl der Geistreiche", Blastrteu. Im Allge¬
meinen sah mau deu Geschichten von Auerbach an, daß ein ehrliches Menschenherz
lebhaft und mit großem Behagen empfunden hatte, was eine ungewöhnliche, fast
ängstliche Sorgfalt in der Schrift wiederzugeben versuchte. Bescheiden und
anekdotenartig war ihr Inhalt; auch Ton, Haltung und Charakteristik waren
uoch nicht genial und musterhaft.

Wer mit Frcuudesaugeu die Leistungen Auerbachs beurtheilte, der mußte
sich sagen, daß gerade in dem, was ihm so glänzenden Erfolg gesichert hatte,
in der großen treuherzigen Liebe, mit welcher er die einzelnen Lebensäußerungen
und charakteristische" Züge seiner Personen ausmalte, auch eine Gefahr für seine
Zukunft lag. Die Gefahr war eine doppelte. Der ungewöhnlich lebhafte Ein¬
druck, welchen auf seine reizbare Phantasie ein einzelner charakteristischer Zug,
ja ein einzelner Einfall ausübte, setzten ihn der Gefahr ans, sich in Einzelheiten
die er gefunden, zu verlieben -- ein gewöhnlicher Fehler der deutschen Schrift¬
steller -- dies mußte ihm schwer machen, eine größere zusammenhängende Hand¬
lung mit innerer Freiheit zu beherrschen; es blieb fraglich, ob er die Kraft habe,


Deutsche ZT o in ane.

Neues Leben. Eine Erzählung von Berthold An erd ach. Mannheim, Friedrich
Bassermann. 18?)2.

Als Auerbach durch die Dorfgeschichten seinem Talent einen großen Kreis
von Freunden gewann, da war es nicht sowol der künstlerische Werth dieser
Erzählungen, sondern zunächst eine Eigenthümlichkeit seiner Dichterseele, welche
die deutsche« Leser lebhast zu ihm hinzog. Gegenüber dem prätensiösen
Wesen anderer Schriftsteller, welche innere Kälte und Mangel an Begeisterung
sür ihre Stoffe durch eine forcirte Frivolität nud eine nachlässige, vornehme Behand¬
lung ihrer Charaktere und Situationen zu verdecken suchten, und die Wirkungen
der Situatwueu durch selbstgefälliges Heraustreibe» unpassender Bemerkungen
und kleiner Witze vernichteten, zeigte Auerbach eine liebenswürdige Zärtlichkeit
für seine Dorfhelden und deren Situationen, große Wärme beim Schaffen und
eine herzliche Freude an dem gefundenen Stoff. Das fühlte sich schnell heraus.
Man nannte diese Eigenschaft Ursprünglichkeit, Frische, und empfand sie mit Recht
gegenüber der Kälte der Anderen als einen Fortschritt. Dazu kam, daß die
Stoffe, welche er behandelte, die Reaction eröffneten gegen die nichtsnutzige Thee¬
tisch- und Salonliteratur, bei welcher alles poetische Charakterifiren aufgehört hatte.
Seine Gestalten waren aus dem Volke genommen, euggeschlvsseue Kreise, aber
deutsches Wesen und nationaler Boden. Auch sein Styl zeigte im Satzbau und
logischer Composition sehr einfache Sprache, welche sich durch Annäherung an die
naiven Klänge des VvlkSdialektes Charakter und Wärme zu geben bestrebte, in
zweckmäßigem Gegensatz zu dem Styl der Geistreiche», Blastrteu. Im Allge¬
meinen sah mau deu Geschichten von Auerbach an, daß ein ehrliches Menschenherz
lebhaft und mit großem Behagen empfunden hatte, was eine ungewöhnliche, fast
ängstliche Sorgfalt in der Schrift wiederzugeben versuchte. Bescheiden und
anekdotenartig war ihr Inhalt; auch Ton, Haltung und Charakteristik waren
uoch nicht genial und musterhaft.

Wer mit Frcuudesaugeu die Leistungen Auerbachs beurtheilte, der mußte
sich sagen, daß gerade in dem, was ihm so glänzenden Erfolg gesichert hatte,
in der großen treuherzigen Liebe, mit welcher er die einzelnen Lebensäußerungen
und charakteristische« Züge seiner Personen ausmalte, auch eine Gefahr für seine
Zukunft lag. Die Gefahr war eine doppelte. Der ungewöhnlich lebhafte Ein¬
druck, welchen auf seine reizbare Phantasie ein einzelner charakteristischer Zug,
ja ein einzelner Einfall ausübte, setzten ihn der Gefahr ans, sich in Einzelheiten
die er gefunden, zu verlieben — ein gewöhnlicher Fehler der deutschen Schrift¬
steller — dies mußte ihm schwer machen, eine größere zusammenhängende Hand¬
lung mit innerer Freiheit zu beherrschen; es blieb fraglich, ob er die Kraft habe,


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[0105] Deutsche ZT o in ane. Neues Leben. Eine Erzählung von Berthold An erd ach. Mannheim, Friedrich Bassermann. 18?)2. Als Auerbach durch die Dorfgeschichten seinem Talent einen großen Kreis von Freunden gewann, da war es nicht sowol der künstlerische Werth dieser Erzählungen, sondern zunächst eine Eigenthümlichkeit seiner Dichterseele, welche die deutsche« Leser lebhast zu ihm hinzog. Gegenüber dem prätensiösen Wesen anderer Schriftsteller, welche innere Kälte und Mangel an Begeisterung sür ihre Stoffe durch eine forcirte Frivolität nud eine nachlässige, vornehme Behand¬ lung ihrer Charaktere und Situationen zu verdecken suchten, und die Wirkungen der Situatwueu durch selbstgefälliges Heraustreibe» unpassender Bemerkungen und kleiner Witze vernichteten, zeigte Auerbach eine liebenswürdige Zärtlichkeit für seine Dorfhelden und deren Situationen, große Wärme beim Schaffen und eine herzliche Freude an dem gefundenen Stoff. Das fühlte sich schnell heraus. Man nannte diese Eigenschaft Ursprünglichkeit, Frische, und empfand sie mit Recht gegenüber der Kälte der Anderen als einen Fortschritt. Dazu kam, daß die Stoffe, welche er behandelte, die Reaction eröffneten gegen die nichtsnutzige Thee¬ tisch- und Salonliteratur, bei welcher alles poetische Charakterifiren aufgehört hatte. Seine Gestalten waren aus dem Volke genommen, euggeschlvsseue Kreise, aber deutsches Wesen und nationaler Boden. Auch sein Styl zeigte im Satzbau und logischer Composition sehr einfache Sprache, welche sich durch Annäherung an die naiven Klänge des VvlkSdialektes Charakter und Wärme zu geben bestrebte, in zweckmäßigem Gegensatz zu dem Styl der Geistreiche», Blastrteu. Im Allge¬ meinen sah mau deu Geschichten von Auerbach an, daß ein ehrliches Menschenherz lebhaft und mit großem Behagen empfunden hatte, was eine ungewöhnliche, fast ängstliche Sorgfalt in der Schrift wiederzugeben versuchte. Bescheiden und anekdotenartig war ihr Inhalt; auch Ton, Haltung und Charakteristik waren uoch nicht genial und musterhaft. Wer mit Frcuudesaugeu die Leistungen Auerbachs beurtheilte, der mußte sich sagen, daß gerade in dem, was ihm so glänzenden Erfolg gesichert hatte, in der großen treuherzigen Liebe, mit welcher er die einzelnen Lebensäußerungen und charakteristische« Züge seiner Personen ausmalte, auch eine Gefahr für seine Zukunft lag. Die Gefahr war eine doppelte. Der ungewöhnlich lebhafte Ein¬ druck, welchen auf seine reizbare Phantasie ein einzelner charakteristischer Zug, ja ein einzelner Einfall ausübte, setzten ihn der Gefahr ans, sich in Einzelheiten die er gefunden, zu verlieben — ein gewöhnlicher Fehler der deutschen Schrift¬ steller — dies mußte ihm schwer machen, eine größere zusammenhängende Hand¬ lung mit innerer Freiheit zu beherrschen; es blieb fraglich, ob er die Kraft habe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/105>, abgerufen am 28.04.2024.